Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.Er schwört ihr unverfälschte Treu, Er stellt sich fromm und ehrlich, Und sinkt auf seine Knie dabey; Man sagt in solcher Stellung sey Ein Jüngling sehr gefährlich. Jetzt trotzt er ihrem Ach und Weh, Trotzt auf der Thüre Riegel; Sie fällt im Kampf aufs Kanapee, So schwer ist's, daß man sicher steh' Auf Boden, glatt wie Spiegel. Wenn wir die Ehrfurcht so entweihn Schweigt nie ein Weibchen stille; Doch der muß doppelt strafbar seyn, Den ihre Blicke nicht verzeihn Jn des Vergnügens Fülle. Lukrezia, zu treugesinnt, Jst ihrer Wuth nicht Meister. Sie bringt sich um vor Schaam, das Kind. Heil unsrer Zeit! die Damen sind Nicht mehr so schwache Geister. Der Dichter giebt uns den Tarquin und die Ob sich nun gleich diese beyden Seelenkräfte ist
Er ſchwoͤrt ihr unverfaͤlſchte Treu, Er ſtellt ſich fromm und ehrlich, Und ſinkt auf ſeine Knie dabey; Man ſagt in ſolcher Stellung ſey Ein Juͤngling ſehr gefaͤhrlich. Jetzt trotzt er ihrem Ach und Weh, Trotzt auf der Thuͤre Riegel; Sie faͤllt im Kampf aufs Kanapee, So ſchwer iſt's, daß man ſicher ſteh' Auf Boden, glatt wie Spiegel. Wenn wir die Ehrfurcht ſo entweihn Schweigt nie ein Weibchen ſtille; Doch der muß doppelt ſtrafbar ſeyn, Den ihre Blicke nicht verzeihn Jn des Vergnuͤgens Fuͤlle. Lukrezia, zu treugeſinnt, Jſt ihrer Wuth nicht Meiſter. Sie bringt ſich um vor Schaam, das Kind. Heil unſrer Zeit! die Damen ſind Nicht mehr ſo ſchwache Geiſter. Der Dichter giebt uns den Tarquin und die Ob ſich nun gleich dieſe beyden Seelenkraͤfte iſt
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0151" n="127"/><lb/> <lg n="5"> <l>Er ſchwoͤrt ihr unverfaͤlſchte Treu,</l><lb/> <l>Er ſtellt ſich fromm und ehrlich,</l><lb/> <l>Und ſinkt auf ſeine Knie dabey;</l><lb/> <l>Man ſagt in ſolcher Stellung ſey</l><lb/> <l>Ein Juͤngling ſehr gefaͤhrlich.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Jetzt trotzt er ihrem Ach und Weh,</l><lb/> <l>Trotzt auf der Thuͤre Riegel;</l><lb/> <l>Sie faͤllt im Kampf aufs Kanapee,</l><lb/> <l>So ſchwer iſt's, daß man ſicher ſteh'</l><lb/> <l>Auf Boden, glatt wie Spiegel.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Wenn wir die Ehrfurcht ſo entweihn</l><lb/> <l>Schweigt nie ein Weibchen ſtille;</l><lb/> <l>Doch der muß doppelt ſtrafbar ſeyn,</l><lb/> <l>Den ihre Blicke nicht verzeihn</l><lb/> <l>Jn des Vergnuͤgens Fuͤlle.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Lukrezia, zu treugeſinnt,</l><lb/> <l>Jſt ihrer Wuth nicht Meiſter.</l><lb/> <l>Sie bringt ſich um vor Schaam, das Kind.</l><lb/> <l>Heil unſrer Zeit! die Damen ſind</l><lb/> <l>Nicht mehr ſo ſchwache Geiſter.</l> </lg> </lg><lb/> <p>Der Dichter giebt uns den Tarquin und die<lb/> Lukretia ſeiner Phantaſie. Brutus ſo, wie ſie<lb/> wirklich ſind. Dieſer muß hiſtoriſche Wahrheit<lb/> ſagen — jenem genuͤgt es, aͤſthetiſch wahr zu<lb/> reden. —</p><lb/> <p>Ob ſich nun gleich dieſe beyden Seelenkraͤfte<lb/> durch die angegebnen Merkmale unterſcheiden; ſo<lb/> <fw place="bottom" type="catch">iſt</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0151]
Er ſchwoͤrt ihr unverfaͤlſchte Treu,
Er ſtellt ſich fromm und ehrlich,
Und ſinkt auf ſeine Knie dabey;
Man ſagt in ſolcher Stellung ſey
Ein Juͤngling ſehr gefaͤhrlich.
Jetzt trotzt er ihrem Ach und Weh,
Trotzt auf der Thuͤre Riegel;
Sie faͤllt im Kampf aufs Kanapee,
So ſchwer iſt's, daß man ſicher ſteh'
Auf Boden, glatt wie Spiegel.
Wenn wir die Ehrfurcht ſo entweihn
Schweigt nie ein Weibchen ſtille;
Doch der muß doppelt ſtrafbar ſeyn,
Den ihre Blicke nicht verzeihn
Jn des Vergnuͤgens Fuͤlle.
Lukrezia, zu treugeſinnt,
Jſt ihrer Wuth nicht Meiſter.
Sie bringt ſich um vor Schaam, das Kind.
Heil unſrer Zeit! die Damen ſind
Nicht mehr ſo ſchwache Geiſter.
Der Dichter giebt uns den Tarquin und die
Lukretia ſeiner Phantaſie. Brutus ſo, wie ſie
wirklich ſind. Dieſer muß hiſtoriſche Wahrheit
ſagen — jenem genuͤgt es, aͤſthetiſch wahr zu
reden. —
Ob ſich nun gleich dieſe beyden Seelenkraͤfte
durch die angegebnen Merkmale unterſcheiden; ſo
iſt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |