then, daß der genannte Arzt die hier erzählten Handlungen nicht im eigentlichen Traume, sondern vielmehr wirklich wachend vorgenommen, und sich derselben, wegen seines vorhergegangenen, und gleich darauf fortgesetzten tiefen Schlafes, nur nicht habe erinnern können. Es ist bey sehr ermüde- ten und daher fest schlafenden Personen dies oft der Fall, daß sie geweckt werden, mit andern sprechen, wohl gar aufstehen, am Morgen aber nichts davon wissen: weil die gar zu große Be- gierde zu schlafen, selbst mitten unter dem, was sie vornehmen, ihre Gedanken füllt; sie daher so gar nicht auf dasselbe aufmerken, und sich deswe- gen am Morgen oft gar nicht daran erinnern. Es geht so mit allem dem, was man so hin thut, indem man mit seinen Gedanken bey ganz andern Gegenständen ist; man vergißt es, und glaubt nachher kaum, daß man es gethan haben könne.
So stelle ich mir den Zustand des seligen Osann vor. Er hatte mehrere Nächte ohne Schlaf zubringen müssen, war daher ganz er- schöpft, und befahl ausdrücklich, ihn diese Nacht nicht aufzuwecken. Mit dem Gedanken und dem Wunsche also, endlich einmal wieder ungestört ru- hen zu können, legte er sich zu Bette, -- und wurde doch geweckt. Daß er nun hiedurch auch wirklich aufgeweckt worden sey, schließ ich einmal aus dem deutlichen Bewußtseyn, daß es itzt Nacht
sey,
then, daß der genannte Arzt die hier erzaͤhlten Handlungen nicht im eigentlichen Traume, ſondern vielmehr wirklich wachend vorgenommen, und ſich derſelben, wegen ſeines vorhergegangenen, und gleich darauf fortgeſetzten tiefen Schlafes, nur nicht habe erinnern koͤnnen. Es iſt bey ſehr ermuͤde- ten und daher feſt ſchlafenden Perſonen dies oft der Fall, daß ſie geweckt werden, mit andern ſprechen, wohl gar aufſtehen, am Morgen aber nichts davon wiſſen: weil die gar zu große Be- gierde zu ſchlafen, ſelbſt mitten unter dem, was ſie vornehmen, ihre Gedanken fuͤllt; ſie daher ſo gar nicht auf daſſelbe aufmerken, und ſich deswe- gen am Morgen oft gar nicht daran erinnern. Es geht ſo mit allem dem, was man ſo hin thut, indem man mit ſeinen Gedanken bey ganz andern Gegenſtaͤnden iſt; man vergißt es, und glaubt nachher kaum, daß man es gethan haben koͤnne.
So ſtelle ich mir den Zuſtand des ſeligen Oſann vor. Er hatte mehrere Naͤchte ohne Schlaf zubringen muͤſſen, war daher ganz er- ſchoͤpft, und befahl ausdruͤcklich, ihn dieſe Nacht nicht aufzuwecken. Mit dem Gedanken und dem Wunſche alſo, endlich einmal wieder ungeſtoͤrt ru- hen zu koͤnnen, legte er ſich zu Bette, — und wurde doch geweckt. Daß er nun hiedurch auch wirklich aufgeweckt worden ſey, ſchließ ich einmal aus dem deutlichen Bewußtſeyn, daß es itzt Nacht
ſey,
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then, daß der genannte Arzt die hier erzaͤhlten
Handlungen nicht im eigentlichen Traume, ſondern
vielmehr wirklich wachend vorgenommen, und ſich
derſelben, wegen ſeines vorhergegangenen, und gleich
darauf fortgeſetzten tiefen Schlafes, nur nicht
habe erinnern koͤnnen. Es iſt bey ſehr ermuͤde-
ten und daher feſt ſchlafenden Perſonen dies oft
der Fall, daß ſie geweckt werden, mit andern
ſprechen, wohl gar aufſtehen, am Morgen aber
nichts davon wiſſen: weil die gar zu große Be-
gierde zu ſchlafen, ſelbſt mitten unter dem, was
ſie vornehmen, ihre Gedanken fuͤllt; ſie daher ſo
gar nicht auf daſſelbe aufmerken, und ſich deswe-
gen am Morgen oft gar nicht daran erinnern.
Es geht ſo mit allem dem, was man ſo hin thut,
indem man mit ſeinen Gedanken bey ganz andern
Gegenſtaͤnden iſt; man vergißt es, und glaubt
nachher kaum, daß man es gethan haben koͤnne.
So ſtelle ich mir den Zuſtand des ſeligen
Oſann vor. Er hatte mehrere Naͤchte ohne
Schlaf zubringen muͤſſen, war daher ganz er-
ſchoͤpft, und befahl ausdruͤcklich, ihn dieſe Nacht
nicht aufzuwecken. Mit dem Gedanken und dem
Wunſche alſo, endlich einmal wieder ungeſtoͤrt ru-
hen zu koͤnnen, legte er ſich zu Bette, — und
wurde doch geweckt. Daß er nun hiedurch auch
wirklich aufgeweckt worden ſey, ſchließ ich einmal
aus dem deutlichen Bewußtſeyn, daß es itzt Nacht
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/130>, abgerufen am 21.11.2024.
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