Epidemie, der sogenannten Jnfluenza, in Göt- tingen, und so sehr mit Geschäfften überhäuft, daß er schon einige Abende, statt schlafen zu gehn, sich aufs Pferd hatte setzen müssen, um Patien- ten außerhalb der Stadt zu besorgen, von wel- cher er sich bey Tage, wegen vieler Kranken nicht hatte entfernen dürfen. Am Abend eines folgen- ges Tages fand er sich nun so ganz außerordent- lich entkräftet, daß er beym Schlafengehn aufs nachdrücklichste befahl, ihn, um keiner Ursache willen, es schicke auch wer da wolle, aufzuwe- cken. Kaum lag er im besten Schlafe, so kam ein Bote mit einem Briefe und zweyen Pferden, in der Absicht, ihn abzuholen, vor seine Thür. Sein Bedienter, welcher die menschenfreundlichen Gesinnungen seines Herrn kannte, weckte ihn, ungeachtet des vorhergegangenen Verbots. Die- ser war wider seine ganze bisherige Gewohnheit erschrecklich unwillig darüber, berief sich auf sein Verbot, und wiederholte in einem Athem, daß, da alle andre Menschen itzo schliefen, er für sei- ne Person auch der Ruhe genießen wolle. Der Bediente ließ ihm ein Licht, in dem Gedanken, daß sein Herr, wie er sonst pflegte, nun schon von selbst aufstehen würde. Wie er merkte, daß dies nicht geschähe, ging er wieder auf seines Herrn Kammer, und fand ihn in tiefem Schlafe. Er weckte ihn noch einmal. Der Arzt ließ sich
das
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Epidemie, der ſogenannten Jnfluenza, in Goͤt- tingen, und ſo ſehr mit Geſchaͤfften uͤberhaͤuft, daß er ſchon einige Abende, ſtatt ſchlafen zu gehn, ſich aufs Pferd hatte ſetzen muͤſſen, um Patien- ten außerhalb der Stadt zu beſorgen, von wel- cher er ſich bey Tage, wegen vieler Kranken nicht hatte entfernen duͤrfen. Am Abend eines folgen- ges Tages fand er ſich nun ſo ganz außerordent- lich entkraͤftet, daß er beym Schlafengehn aufs nachdruͤcklichſte befahl, ihn, um keiner Urſache willen, es ſchicke auch wer da wolle, aufzuwe- cken. Kaum lag er im beſten Schlafe, ſo kam ein Bote mit einem Briefe und zweyen Pferden, in der Abſicht, ihn abzuholen, vor ſeine Thuͤr. Sein Bedienter, welcher die menſchenfreundlichen Geſinnungen ſeines Herrn kannte, weckte ihn, ungeachtet des vorhergegangenen Verbots. Die- ſer war wider ſeine ganze bisherige Gewohnheit erſchrecklich unwillig daruͤber, berief ſich auf ſein Verbot, und wiederholte in einem Athem, daß, da alle andre Menſchen itzo ſchliefen, er fuͤr ſei- ne Perſon auch der Ruhe genießen wolle. Der Bediente ließ ihm ein Licht, in dem Gedanken, daß ſein Herr, wie er ſonſt pflegte, nun ſchon von ſelbſt aufſtehen wuͤrde. Wie er merkte, daß dies nicht geſchaͤhe, ging er wieder auf ſeines Herrn Kammer, und fand ihn in tiefem Schlafe. Er weckte ihn noch einmal. Der Arzt ließ ſich
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Epidemie, der ſogenannten Jnfluenza, in Goͤt-
tingen, und ſo ſehr mit Geſchaͤfften uͤberhaͤuft,
daß er ſchon einige Abende, ſtatt ſchlafen zu gehn,
ſich aufs Pferd hatte ſetzen muͤſſen, um Patien-
ten außerhalb der Stadt zu beſorgen, von wel-
cher er ſich bey Tage, wegen vieler Kranken nicht
hatte entfernen duͤrfen. Am Abend eines folgen-
ges Tages fand er ſich nun ſo ganz außerordent-
lich entkraͤftet, daß er beym Schlafengehn aufs
nachdruͤcklichſte befahl, ihn, um keiner Urſache
willen, es ſchicke auch wer da wolle, aufzuwe-
cken. Kaum lag er im beſten Schlafe, ſo kam
ein Bote mit einem Briefe und zweyen Pferden,
in der Abſicht, ihn abzuholen, vor ſeine Thuͤr.
Sein Bedienter, welcher die menſchenfreundlichen
Geſinnungen ſeines Herrn kannte, weckte ihn,
ungeachtet des vorhergegangenen Verbots. Die-
ſer war wider ſeine ganze bisherige Gewohnheit
erſchrecklich unwillig daruͤber, berief ſich auf ſein
Verbot, und wiederholte in einem Athem, daß,
da alle andre Menſchen itzo ſchliefen, er fuͤr ſei-
ne Perſon auch der Ruhe genießen wolle. Der
Bediente ließ ihm ein Licht, in dem Gedanken,
daß ſein Herr, wie er ſonſt pflegte, nun ſchon
von ſelbſt aufſtehen wuͤrde. Wie er merkte, daß
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Herrn Kammer, und fand ihn in tiefem Schlafe.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/127>, abgerufen am 21.11.2024.
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