lung dieses Processes angesetzten Morgen auf das Gerichtshaus geht, sieht er, wie gewöhnlich, sei- ne Mutter, um sich von ihrem Befinden zu un- terrichten: und wie sie ihn fragt, wo er hingehn wolle, antwortet er: Zu den Richtern. Kaum vernimmt die zärtliche Mutter dies, als sie ihn aufs angelegentlichste bittet, heute doch nicht aus dem Hause zu gehn, weil sie ihn im Traume mit seinem Widersacher in Wortwechsel und von dem- selben verwundet gesehn habe. Bembo lächelt über die Aengstlichkeit seiner zu zärtlichen Mutter, sucht sie möglichst zu beruhigen, läßt sich aber in seinem Entschluß nicht irre machen. Er geht fort, nach dem Gerichtshaus zu; stößt wirklich unterwegs auf seinen Gegner, geräth mit demsel- ben in Zank, und wird, weil es von Worten zu Thätlichkeiten kommt, zuletzt auch verwundet. Es traf also der Traum der Mutter des Cardi- nals ein; wie läßt sich dies Wunder erklären? -- Die Mutter, sagt Muratori, kannte unstreitig den mit ihrem Sohne in Streit verwickelten Ver- wandten, als einen sehr hitzigen und unbesonne- nen Mann, der sich vielleicht dadurch sehr belei- digt glaubte, daß Bembo ihn angeklagt hatte. Sie gerieth also darüber in Besorgniß, und legte sich mit derselben am Abend nieder. Die zärtli- che Liebe zu ihrem Sohne machte die Besorgniß sehr stark, und die Vorstellungen von dem, was
ihrem
lung dieſes Proceſſes angeſetzten Morgen auf das Gerichtshaus geht, ſieht er, wie gewoͤhnlich, ſei- ne Mutter, um ſich von ihrem Befinden zu un- terrichten: und wie ſie ihn fragt, wo er hingehn wolle, antwortet er: Zu den Richtern. Kaum vernimmt die zaͤrtliche Mutter dies, als ſie ihn aufs angelegentlichſte bittet, heute doch nicht aus dem Hauſe zu gehn, weil ſie ihn im Traume mit ſeinem Widerſacher in Wortwechſel und von dem- ſelben verwundet geſehn habe. Bembo laͤchelt uͤber die Aengſtlichkeit ſeiner zu zaͤrtlichen Mutter, ſucht ſie moͤglichſt zu beruhigen, laͤßt ſich aber in ſeinem Entſchluß nicht irre machen. Er geht fort, nach dem Gerichtshaus zu; ſtoͤßt wirklich unterwegs auf ſeinen Gegner, geraͤth mit demſel- ben in Zank, und wird, weil es von Worten zu Thaͤtlichkeiten kommt, zuletzt auch verwundet. Es traf alſo der Traum der Mutter des Cardi- nals ein; wie laͤßt ſich dies Wunder erklaͤren? — Die Mutter, ſagt Muratori, kannte unſtreitig den mit ihrem Sohne in Streit verwickelten Ver- wandten, als einen ſehr hitzigen und unbeſonne- nen Mann, der ſich vielleicht dadurch ſehr belei- digt glaubte, daß Bembo ihn angeklagt hatte. Sie gerieth alſo daruͤber in Beſorgniß, und legte ſich mit derſelben am Abend nieder. Die zaͤrtli- che Liebe zu ihrem Sohne machte die Beſorgniß ſehr ſtark, und die Vorſtellungen von dem, was
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lung dieſes Proceſſes angeſetzten Morgen auf das
Gerichtshaus geht, ſieht er, wie gewoͤhnlich, ſei-
ne Mutter, um ſich von ihrem Befinden zu un-
terrichten: und wie ſie ihn fragt, wo er hingehn
wolle, antwortet er: Zu den Richtern. Kaum
vernimmt die zaͤrtliche Mutter dies, als ſie ihn
aufs angelegentlichſte bittet, heute doch nicht aus
dem Hauſe zu gehn, weil ſie ihn im Traume mit
ſeinem Widerſacher in Wortwechſel und von dem-
ſelben verwundet geſehn habe. Bembo laͤchelt
uͤber die Aengſtlichkeit ſeiner zu zaͤrtlichen Mutter,
ſucht ſie moͤglichſt zu beruhigen, laͤßt ſich aber in
ſeinem Entſchluß nicht irre machen. Er geht
fort, nach dem Gerichtshaus zu; ſtoͤßt wirklich
unterwegs auf ſeinen Gegner, geraͤth mit demſel-
ben in Zank, und wird, weil es von Worten zu
Thaͤtlichkeiten kommt, zuletzt auch verwundet.
Es traf alſo der Traum der Mutter des Cardi-
nals ein; wie laͤßt ſich dies Wunder erklaͤren? —
Die Mutter, ſagt Muratori, kannte unſtreitig
den mit ihrem Sohne in Streit verwickelten Ver-
wandten, als einen ſehr hitzigen und unbeſonne-
nen Mann, der ſich vielleicht dadurch ſehr belei-
digt glaubte, daß Bembo ihn angeklagt hatte.
Sie gerieth alſo daruͤber in Beſorgniß, und legte
ſich mit derſelben am Abend nieder. Die zaͤrtli-
che Liebe zu ihrem Sohne machte die Beſorgniß
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/115>, abgerufen am 21.11.2024.
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