So kann es zum Beyspiel wohl treffen, daß je- mand von seinem Todestage träumt, und zu der geträumten Zeit auch stirbt. Jeder weiß, daß er sterben wird, und denkt zuweilen daran. Nun hat er vielleicht einmal diesen Gedanken vorzüglich lebhaft gedacht; die Phantasie zieht ihn bey der ersten Veranlassung im Traume hervor, und macht Zusätze dazu von dem Tage und der Stunde sei- nes Sterbens, welche zuweilen Folgerungen aus einer wahren Empfindung seiner körperlichen Ge- sundheit seyn können; zuweilen ganz zufällig sind. Er erinnert sich dieses Traums; diese Erinnerung erschreckt ihn, und dies wird die Ursach, daß er wirk- lich zu der geträumten Zeit stirbt. Denn je nä- her die Zeit kommt, desto größer wird die Furcht, und ist der entscheidende Augenblick da, so wird die Angst am gewaltigsten, und kann gar leicht den wirklichen Tod zur Folge haben.
Muratori erzählt in seiner Schrift über die Einbildungskraft*) ein Beyspiel von einem wahr- sagenden Traum der Mutter des Cardinals Bem- bo. -- Es hatte derselbe eine Streitigkeit mit einem seiner Verwandten, und war, weil er für sich nicht mit demselben einig werden konnte, ge- zwungen, den Gerichten eine Anklage wider ihn zu übergeben. Ehe er an dem für die Behand-
lung
*) Uebers. von Richerz, 1. Th. 212. S. u. ff.
So kann es zum Beyſpiel wohl treffen, daß je- mand von ſeinem Todestage traͤumt, und zu der getraͤumten Zeit auch ſtirbt. Jeder weiß, daß er ſterben wird, und denkt zuweilen daran. Nun hat er vielleicht einmal dieſen Gedanken vorzuͤglich lebhaft gedacht; die Phantaſie zieht ihn bey der erſten Veranlaſſung im Traume hervor, und macht Zuſaͤtze dazu von dem Tage und der Stunde ſei- nes Sterbens, welche zuweilen Folgerungen aus einer wahren Empfindung ſeiner koͤrperlichen Ge- ſundheit ſeyn koͤnnen; zuweilen ganz zufaͤllig ſind. Er erinnert ſich dieſes Traums; dieſe Erinnerung erſchreckt ihn, und dies wird die Urſach, daß er wirk- lich zu der getraͤumten Zeit ſtirbt. Denn je naͤ- her die Zeit kommt, deſto groͤßer wird die Furcht, und iſt der entſcheidende Augenblick da, ſo wird die Angſt am gewaltigſten, und kann gar leicht den wirklichen Tod zur Folge haben.
Muratori erzaͤhlt in ſeiner Schrift uͤber die Einbildungskraft*) ein Beyſpiel von einem wahr- ſagenden Traum der Mutter des Cardinals Bem- bo. — Es hatte derſelbe eine Streitigkeit mit einem ſeiner Verwandten, und war, weil er fuͤr ſich nicht mit demſelben einig werden konnte, ge- zwungen, den Gerichten eine Anklage wider ihn zu uͤbergeben. Ehe er an dem fuͤr die Behand-
lung
*) Ueberſ. von Richerz, 1. Th. 212. S. u. ff.
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So kann es zum Beyſpiel wohl treffen, daß je-
mand von ſeinem Todestage traͤumt, und zu der
getraͤumten Zeit auch ſtirbt. Jeder weiß, daß
er ſterben wird, und denkt zuweilen daran. Nun
hat er vielleicht einmal dieſen Gedanken vorzuͤglich
lebhaft gedacht; die Phantaſie zieht ihn bey der
erſten Veranlaſſung im Traume hervor, und macht
Zuſaͤtze dazu von dem Tage und der Stunde ſei-
nes Sterbens, welche zuweilen Folgerungen aus
einer wahren Empfindung ſeiner koͤrperlichen Ge-
ſundheit ſeyn koͤnnen; zuweilen ganz zufaͤllig ſind.
Er erinnert ſich dieſes Traums; dieſe Erinnerung
erſchreckt ihn, und dies wird die Urſach, daß er wirk-
lich zu der getraͤumten Zeit ſtirbt. Denn je naͤ-
her die Zeit kommt, deſto groͤßer wird die Furcht,
und iſt der entſcheidende Augenblick da, ſo wird
die Angſt am gewaltigſten, und kann gar leicht
den wirklichen Tod zur Folge haben.
Muratori erzaͤhlt in ſeiner Schrift uͤber die
Einbildungskraft *) ein Beyſpiel von einem wahr-
ſagenden Traum der Mutter des Cardinals Bem-
bo. — Es hatte derſelbe eine Streitigkeit mit
einem ſeiner Verwandten, und war, weil er fuͤr
ſich nicht mit demſelben einig werden konnte, ge-
zwungen, den Gerichten eine Anklage wider ihn
zu uͤbergeben. Ehe er an dem fuͤr die Behand-
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*) Ueberſ. von Richerz, 1. Th. 212. S. u. ff.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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