Hippias nemlich lud Danaen und ihren Aga- thon zu einem Feste ein, welches er alle Jahr zu feiern pflegte. Agathon erschien und scherzte bey der Tafel so sehr nach dem Wunsche des Hippias, daß dieser ihm sagte: Jch bin erfreut, daß du einer von den unsrigen worden bist. Diese Worte trafen das Herz des jungen Mannes von der empfindlichsten Seite. Was muß aus mir geworden seyn? sagte er, daß der, den meine Seele verabscheut, mich den Seinigen nennt? -- Jndeß, der Gedanke an Danaen bezauberte von neuem seine Vernunft, daß sie seine Leidenschaft mit der Vorzüglichkeit des Gegen- standes derselben entschuldigte. Doch waren die Ergötzlichkeiten dieses Festes, besonders die pantomimischen Tänze, zu sehr gegen seinen ehe- maligen sittlichen Geschmack, "als daß nicht mit- ten unter den flüchtigen Vergnügungen, womit sie gleichsam über die Oberfläche seiner Seele hin- glitscheten, ein geheimes Gefühl seiner Erniedri- gung seine Wangen mit Schamröthe vor sich selbst, dem Vorboten der wiederkehrenden Tugend, hätte überziehn sollen.
Er hatte nun keine Ruhe, bis er Danaen bewog, sich mit ihm aus diesem Hause zu schlei- chen, und unterhielt auf der Rückkehr seine Göt- tin mit einer scharfen Beurtheilung des verdorbe- nen Geschmacks des Sophisten, denn einen
andern
Hippias nemlich lud Danaen und ihren Aga- thon zu einem Feſte ein, welches er alle Jahr zu feiern pflegte. Agathon erſchien und ſcherzte bey der Tafel ſo ſehr nach dem Wunſche des Hippias, daß dieſer ihm ſagte: Jch bin erfreut, daß du einer von den unſrigen worden biſt. Dieſe Worte trafen das Herz des jungen Mannes von der empfindlichſten Seite. Was muß aus mir geworden ſeyn? ſagte er, daß der, den meine Seele verabſcheut, mich den Seinigen nennt? — Jndeß, der Gedanke an Danaen bezauberte von neuem ſeine Vernunft, daß ſie ſeine Leidenſchaft mit der Vorzuͤglichkeit des Gegen- ſtandes derſelben entſchuldigte. Doch waren die Ergoͤtzlichkeiten dieſes Feſtes, beſonders die pantomimiſchen Taͤnze, zu ſehr gegen ſeinen ehe- maligen ſittlichen Geſchmack, „als daß nicht mit- ten unter den fluͤchtigen Vergnuͤgungen, womit ſie gleichſam uͤber die Oberflaͤche ſeiner Seele hin- glitſcheten, ein geheimes Gefuͤhl ſeiner Erniedri- gung ſeine Wangen mit Schamroͤthe vor ſich ſelbſt, dem Vorboten der wiederkehrenden Tugend, haͤtte uͤberziehn ſollen.
Er hatte nun keine Ruhe, bis er Danaen bewog, ſich mit ihm aus dieſem Hauſe zu ſchlei- chen, und unterhielt auf der Ruͤckkehr ſeine Goͤt- tin mit einer ſcharfen Beurtheilung des verdorbe- nen Geſchmacks des Sophiſten, denn einen
andern
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0101"n="77"/><lb/><p>Hippias nemlich lud Danaen und ihren Aga-<lb/>
thon zu einem Feſte ein, welches er alle Jahr zu<lb/>
feiern pflegte. Agathon erſchien und ſcherzte bey<lb/>
der Tafel ſo ſehr nach dem Wunſche des Hippias,<lb/>
daß dieſer ihm ſagte: <hirendition="#b">Jch bin erfreut, daß du<lb/>
einer von den unſrigen worden biſt.</hi> Dieſe<lb/>
Worte trafen das Herz des jungen Mannes von<lb/>
der empfindlichſten Seite. Was muß aus mir<lb/>
geworden ſeyn? ſagte er, daß der, den meine<lb/>
Seele verabſcheut, mich den Seinigen nennt? —<lb/>
Jndeß, der Gedanke an Danaen bezauberte<lb/>
von neuem ſeine Vernunft, daß ſie ſeine<lb/>
Leidenſchaft mit der Vorzuͤglichkeit des Gegen-<lb/>ſtandes derſelben entſchuldigte. Doch waren<lb/>
die Ergoͤtzlichkeiten dieſes Feſtes, beſonders die<lb/>
pantomimiſchen Taͤnze, zu ſehr gegen ſeinen ehe-<lb/>
maligen ſittlichen Geſchmack, „als daß nicht mit-<lb/>
ten unter den fluͤchtigen Vergnuͤgungen, womit<lb/>ſie gleichſam uͤber die Oberflaͤche ſeiner Seele hin-<lb/>
glitſcheten, ein geheimes Gefuͤhl ſeiner Erniedri-<lb/>
gung ſeine Wangen mit Schamroͤthe vor ſich<lb/>ſelbſt, dem Vorboten der wiederkehrenden Tugend,<lb/>
haͤtte uͤberziehn ſollen.</p><lb/><p>Er hatte nun keine Ruhe, bis er Danaen<lb/>
bewog, ſich mit ihm aus dieſem Hauſe zu ſchlei-<lb/>
chen, und unterhielt auf der Ruͤckkehr ſeine Goͤt-<lb/>
tin mit einer ſcharfen Beurtheilung des <hirendition="#b">verdorbe-<lb/>
nen Geſchmacks</hi> des Sophiſten, denn einen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">andern</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[77/0101]
Hippias nemlich lud Danaen und ihren Aga-
thon zu einem Feſte ein, welches er alle Jahr zu
feiern pflegte. Agathon erſchien und ſcherzte bey
der Tafel ſo ſehr nach dem Wunſche des Hippias,
daß dieſer ihm ſagte: Jch bin erfreut, daß du
einer von den unſrigen worden biſt. Dieſe
Worte trafen das Herz des jungen Mannes von
der empfindlichſten Seite. Was muß aus mir
geworden ſeyn? ſagte er, daß der, den meine
Seele verabſcheut, mich den Seinigen nennt? —
Jndeß, der Gedanke an Danaen bezauberte
von neuem ſeine Vernunft, daß ſie ſeine
Leidenſchaft mit der Vorzuͤglichkeit des Gegen-
ſtandes derſelben entſchuldigte. Doch waren
die Ergoͤtzlichkeiten dieſes Feſtes, beſonders die
pantomimiſchen Taͤnze, zu ſehr gegen ſeinen ehe-
maligen ſittlichen Geſchmack, „als daß nicht mit-
ten unter den fluͤchtigen Vergnuͤgungen, womit
ſie gleichſam uͤber die Oberflaͤche ſeiner Seele hin-
glitſcheten, ein geheimes Gefuͤhl ſeiner Erniedri-
gung ſeine Wangen mit Schamroͤthe vor ſich
ſelbſt, dem Vorboten der wiederkehrenden Tugend,
haͤtte uͤberziehn ſollen.
Er hatte nun keine Ruhe, bis er Danaen
bewog, ſich mit ihm aus dieſem Hauſe zu ſchlei-
chen, und unterhielt auf der Ruͤckkehr ſeine Goͤt-
tin mit einer ſcharfen Beurtheilung des verdorbe-
nen Geſchmacks des Sophiſten, denn einen
andern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/101>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.