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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792.

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bilden wollen, vernachlässigt werden solle;
ich verlange vielmehr von jedem derselben
eine genaue und gründliche Kenntniss dessen,
was die Schule und der Gesetzgeber festge-
sezt haben; nur soll man es hiemit nicht ge-
nug seyn lassen; nur soll man die kriminali-
stischen Regeln und Lehren nicht so isolirt,
sondern mit Beziehung auf den Menschen und
menschliche Handlungen auffassen; nur soll
man nicht aus dem willkührlichen Gesichts-
punkt des Gesetzes, sondern aus dem natür-
lichen Gesichtspunkt des Menschen über Men-
schen urtheilen lernen: denn nichts steht der
freyen Menschenbeobachtung so sehr im We-
ge, als wenn man sich gewöhnt, alle äusser-
lich ähnliche Handlungen aller Menschen aus
einem Gesichtspunkt und in derselben Form
zu sehen. Man muss nichts vor Augen haben,
als den Handelnden, wenn man seine Hand-
lung beurtheilen will. Jeder Mensch hat sein
eignes System; aus diesem, nicht aus dem

Sy-

bilden wollen, vernachläſſigt werden ſolle;
ich verlange vielmehr von jedem derſelben
eine genaue und gründliche Kenntniſs deſſen,
was die Schule und der Geſetzgeber feſtge-
ſezt haben; nur ſoll man es hiemit nicht ge-
nug ſeyn laſſen; nur ſoll man die kriminali-
ſtiſchen Regeln und Lehren nicht ſo iſolirt,
ſondern mit Beziehung auf den Menſchen und
menſchliche Handlungen auffaſſen; nur ſoll
man nicht aus dem willkührlichen Geſichts-
punkt des Geſetzes, ſondern aus dem natür-
lichen Geſichtspunkt des Menſchen über Men-
ſchen urtheilen lernen: denn nichts ſteht der
freyen Menſchenbeobachtung ſo ſehr im We-
ge, als wenn man ſich gewöhnt, alle äuſser-
lich ähnliche Handlungen aller Menſchen aus
einem Geſichtspunkt und in derſelben Form
zu ſehen. Man muſs nichts vor Augen haben,
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lung beurtheilen will. Jeder Menſch hat ſein
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[61/0063] bilden wollen, vernachläſſigt werden ſolle; ich verlange vielmehr von jedem derſelben eine genaue und gründliche Kenntniſs deſſen, was die Schule und der Geſetzgeber feſtge- ſezt haben; nur ſoll man es hiemit nicht ge- nug ſeyn laſſen; nur ſoll man die kriminali- ſtiſchen Regeln und Lehren nicht ſo iſolirt, ſondern mit Beziehung auf den Menſchen und menſchliche Handlungen auffaſſen; nur ſoll man nicht aus dem willkührlichen Geſichts- punkt des Geſetzes, ſondern aus dem natür- lichen Geſichtspunkt des Menſchen über Men- ſchen urtheilen lernen: denn nichts ſteht der freyen Menſchenbeobachtung ſo ſehr im We- ge, als wenn man ſich gewöhnt, alle äuſser- lich ähnliche Handlungen aller Menſchen aus einem Geſichtspunkt und in derſelben Form zu ſehen. Man muſs nichts vor Augen haben, als den Handelnden, wenn man ſeine Hand- lung beurtheilen will. Jeder Menſch hat ſein eignes Syſtem; aus dieſem, nicht aus dem Sy-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_crimipsyche_1792/63>, abgerufen am 02.10.2024.