Beantwortung einiger Zweifel. Benehmen des Richters gegen den Inquisiten, dessen Vergehen klar ist, der sich aber nicht zum aufrichtigen Bekenntniss bewe- gen lassen will. Klugheitsregeln für die Untersuchung. Inquisitional-Artikel. Der Richter soll nicht bloss auf die Indicia, die wider den Inculpaten sprechen, sondern auch auf das, was für ihn spricht, merken.
Ich scheine es doch zu vergessen, meynen Sie, mein prüfender Freund, dass der Rich- ter es mit Verbrechern zu thun habe, die, mit den Gefühlen der Menschlichkeit unbekannt, für ihre Aeusserungen nicht empfänglich sind; dass das menschenfreundliche Verfahren des Richters auf solche Verbrecher eine dem be- zielten Zwecke zuwiderlaufende Wirkung haben, und der verbrecherische Inquisit desto kecker seyn werde, je sanfter der Untersucher ist; dass endlich doch auch der Richter ein Mensch sey, dem es bey mancherley andern
Ge-
Zweyter Brief.
Beantwortung einiger Zweifel. Benehmen des Richters gegen den Inquiſiten, deſſen Vergehen klar iſt, der ſich aber nicht zum aufrichtigen Bekenntniſs bewe- gen laſſen will. Klugheitsregeln für die Unterſuchung. Inquiſitional-Artikel. Der Richter ſoll nicht bloſs auf die Indicia, die wider den Inculpaten ſprechen, ſondern auch auf das, was für ihn ſpricht, merken.
Ich ſcheine es doch zu vergeſſen, meynen Sie, mein prüfender Freund, daſs der Rich- ter es mit Verbrechern zu thun habe, die, mit den Gefühlen der Menſchlichkeit unbekannt, für ihre Aeuſserungen nicht empfänglich ſind; daſs das menſchenfreundliche Verfahren des Richters auf ſolche Verbrecher eine dem be- zielten Zwecke zuwiderlaufende Wirkung haben, und der verbrecheriſche Inquiſit deſto kecker ſeyn werde, je ſanfter der Unterſucher iſt; daſs endlich doch auch der Richter ein Menſch ſey, dem es bey mancherley andern
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Zweyter Brief.
Beantwortung einiger Zweifel. Benehmen des
Richters gegen den Inquiſiten, deſſen Vergehen klar iſt,
der ſich aber nicht zum aufrichtigen Bekenntniſs bewe-
gen laſſen will. Klugheitsregeln für die Unterſuchung.
Inquiſitional-Artikel. Der Richter ſoll nicht bloſs auf
die Indicia, die wider den Inculpaten ſprechen, ſondern
auch auf das, was für ihn ſpricht, merken.
Ich ſcheine es doch zu vergeſſen, meynen
Sie, mein prüfender Freund, daſs der Rich-
ter es mit Verbrechern zu thun habe, die, mit
den Gefühlen der Menſchlichkeit unbekannt,
für ihre Aeuſserungen nicht empfänglich ſind;
daſs das menſchenfreundliche Verfahren des
Richters auf ſolche Verbrecher eine dem be-
zielten Zwecke zuwiderlaufende Wirkung
haben, und der verbrecheriſche Inquiſit deſto
kecker ſeyn werde, je ſanfter der Unterſucher
iſt; daſs endlich doch auch der Richter ein
Menſch ſey, dem es bey mancherley andern
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Ideen zu einer Kriminalpsychologie. Halle, 1792, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_crimipsyche_1792/38>, abgerufen am 28.07.2024.
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