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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863.

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wenn ein romanisches genannt wird, da das Romanische unbestimmter und vieldeutiger, getheilter ist. Der gothische Meister und Geselle ist durch seine Kunst weltbürgerlicher, d. h. seiner Kunst und seinem Gewerbe sind die Länder und Völker zugänglicher geworden, - er kann überall leben und arbeiten, wo die Kunst blüht, - wo Bauhütten stehen, - wo man Arbeiter fördert. Die weltbürgerlichen Lehren und Grundsätze der Bauleute sind demnach gleichfalls keine zufällige und willkührliche, sondern wenn nicht nothwendige, doch wenigstens natürliche und werden gleichmässig in allen ältesten ächten und unächten Urkunden verkündet. Die Gothik und das Weltbürgerthum sind der gleich lebendige Ausfluss des germanischen Gottglaubens, des germanischen Christenthums und mussten sich vereint als die zwei Grundsäulen des Lebens erheben, wo germanische Christen bauten; mussten die Bauten auch aufhören, blieb doch das Weltbürgerthum zurück. Die schnelle Entwickelung und Ausbreitung des gothischen Baustyls von Frankreich aus muss wohl ebenIalls aus seiner innern festern und abgeschlossenern Natur abgeleitet werden, indem diese eine schnellere und sichere Uebertragung und Aneignung ermöglichte. So schnell, so leicht und so vollständig eigneten sich verschiedene Völker den neuen nordfranzösischen Baustyl an, dass die Franzosen, Normannen, Engländer1) und Deutschen sich lange die Ehre der Erfindung streitig machen konnten, bis man sie neuerlich den Nordfranzosen oder ihnen und den Deutschen überlassen hat. Nach England haben, wie Schnaase (S. 236) meint, die französischen Cisterciensermönche den Spitzbogen in der Mitte des 12ten Jahrh. in die dort von ihnen damals zahlreich gebauten Klöster hinübergetragen, ohne dass er jedoch hier anfänglich eine constructive Wirkung geäussert hätte. Im wirklichen gothischen Style baute in England an der Kathedrale von Canterbury, dessen Chor im J. 1174 ein Raub der Flammen geworden war, zuerst der als neuer Baumeister aus Frankreich berufene Wilhelm von Sens.2) Gervasius,

1) Vergl. Schnaase, V. S. 228 ff.
2) Schnaase, V. S. 240 ff.; Lübke, Gesch., S. 433 ff. und S. 442; Bauhütte für 1862, Nr. 41 und 42.

wenn ein romanisches genannt wird, da das Romanische unbestimmter und vieldeutiger, getheilter ist. Der gothische Meister und Geselle ist durch seine Kunst weltbürgerlicher, d. h. seiner Kunst und seinem Gewerbe sind die Länder und Völker zugänglicher geworden, – er kann überall leben und arbeiten, wo die Kunst blüht, – wo Bauhütten stehen, – wo man Arbeiter fördert. Die weltbürgerlichen Lehren und Grundsätze der Bauleute sind demnach gleichfalls keine zufällige und willkührliche, sondern wenn nicht nothwendige, doch wenigstens natürliche und werden gleichmässig in allen ältesten ächten und unächten Urkunden verkündet. Die Gothik und das Weltbürgerthum sind der gleich lebendige Ausfluss des germanischen Gottglaubens, des germanischen Christenthums und mussten sich vereint als die zwei Grundsäulen des Lebens erheben, wo germanische Christen bauten; mussten die Bauten auch aufhören, blieb doch das Weltbürgerthum zurück. Die schnelle Entwickelung und Ausbreitung des gothischen Baustyls von Frankreich aus muss wohl ebenIalls aus seiner innern festern und abgeschlossenern Natur abgeleitet werden, indem diese eine schnellere und sichere Uebertragung und Aneignung ermöglichte. So schnell, so leicht und so vollständig eigneten sich verschiedene Völker den neuen nordfranzösischen Baustyl an, dass die Franzosen, Normannen, Engländer1) und Deutschen sich lange die Ehre der Erfindung streitig machen konnten, bis man sie neuerlich den Nordfranzosen oder ihnen und den Deutschen überlassen hat. Nach England haben, wie Schnaase (S. 236) meint, die französischen Cisterciensermönche den Spitzbogen in der Mitte des 12ten Jahrh. in die dort von ihnen damals zahlreich gebauten Klöster hinübergetragen, ohne dass er jedoch hier anfänglich eine constructive Wirkung geäussert hätte. Im wirklichen gothischen Style baute in England an der Kathedrale von Canterbury, dessen Chor im J. 1174 ein Raub der Flammen geworden war, zuerst der als neuer Baumeister aus Frankreich berufene Wilhelm von Sens.2) Gervasius,

1) Vergl. Schnaase, V. S. 228 ff.
2) Schnaase, V. S. 240 ff.; Lübke, Gesch., S. 433 ff. und S. 442; Bauhütte für 1862, Nr. 41 und 42.
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[621/0641] wenn ein romanisches genannt wird, da das Romanische unbestimmter und vieldeutiger, getheilter ist. Der gothische Meister und Geselle ist durch seine Kunst weltbürgerlicher, d. h. seiner Kunst und seinem Gewerbe sind die Länder und Völker zugänglicher geworden, – er kann überall leben und arbeiten, wo die Kunst blüht, – wo Bauhütten stehen, – wo man Arbeiter fördert. Die weltbürgerlichen Lehren und Grundsätze der Bauleute sind demnach gleichfalls keine zufällige und willkührliche, sondern wenn nicht nothwendige, doch wenigstens natürliche und werden gleichmässig in allen ältesten ächten und unächten Urkunden verkündet. Die Gothik und das Weltbürgerthum sind der gleich lebendige Ausfluss des germanischen Gottglaubens, des germanischen Christenthums und mussten sich vereint als die zwei Grundsäulen des Lebens erheben, wo germanische Christen bauten; mussten die Bauten auch aufhören, blieb doch das Weltbürgerthum zurück. Die schnelle Entwickelung und Ausbreitung des gothischen Baustyls von Frankreich aus muss wohl ebenIalls aus seiner innern festern und abgeschlossenern Natur abgeleitet werden, indem diese eine schnellere und sichere Uebertragung und Aneignung ermöglichte. So schnell, so leicht und so vollständig eigneten sich verschiedene Völker den neuen nordfranzösischen Baustyl an, dass die Franzosen, Normannen, Engländer 1) und Deutschen sich lange die Ehre der Erfindung streitig machen konnten, bis man sie neuerlich den Nordfranzosen oder ihnen und den Deutschen überlassen hat. Nach England haben, wie Schnaase (S. 236) meint, die französischen Cisterciensermönche den Spitzbogen in der Mitte des 12ten Jahrh. in die dort von ihnen damals zahlreich gebauten Klöster hinübergetragen, ohne dass er jedoch hier anfänglich eine constructive Wirkung geäussert hätte. Im wirklichen gothischen Style baute in England an der Kathedrale von Canterbury, dessen Chor im J. 1174 ein Raub der Flammen geworden war, zuerst der als neuer Baumeister aus Frankreich berufene Wilhelm von Sens. 2) Gervasius, 1) Vergl. Schnaase, V. S. 228 ff. 2) Schnaase, V. S. 240 ff.; Lübke, Gesch., S. 433 ff. und S. 442; Bauhütte für 1862, Nr. 41 und 42.

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei03_1863/641>, abgerufen am 22.11.2024.