Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Rheinlanden die Kirchweih in der Weise am Fusse des Kirchweihbaumes beerdigt, dass eine Flasche rothen Weines auf die Erde gegossen, mithin ein Todtenopfer in Wein dargebracht wird (funde merum genio), wobei zum Opferplatze, zum Grabe, die Musik folgen und das letzte Stück, ein Trauerstück, aufspielen muss. Wenn im nächsten Jahre der geschmückte grüne Kirchweihbaum in die aufgegrabene Erde unter Musikbegleitung neu gesetzt ist, wenn die Fichte (und Akazie) wieder grünet, gilt die Kirchweih selbst als ausgegraben und der Gott der Freude, des Tanzes und des Weines als wiedererstanden. Wegen des Eierschmuckes, den der grüne, beblumte und bebänderte Kirchweihbaum trägt, ist derselbe auf den herbstlichen Sonnengott, auf Wuotan, Fro, Donar, den griechischen Dionysos zu deuten. Die gefüllte Flasche rothen Weines wird in den Rheinlanden (wenn immer nur die Jugenderinnerung getreu ist) an dem Kirchweihbaume zerworfen und mit dem ausgegossenen Weine in die Erde verscharrt, was in Kurhessen sich dahin gestaltet hat, dass mit der menschenähnlichen Puppe zerbrochene Flaschen und Gläser beerdigt werden. Die zerbrochenen und zerworfenen Gefässe, welche auch noch bei den Hochzeitsgebräuchen z. B. vorkommen, beruhen auf dem letzten Gedanken, dass was zum heiligen Gebrauche, zur Freude gedient hat, nicht durch profanen Gebrauch entweiht werden solle, und dass zugleich das Brechen ein Symbol des Sterbens sei. Das Zerbrechen der Flaschen und Gläser ist ein bacchantisches Grabgeläute, der wahre Kirmesstod, wie er nach den Verhältnissen kein anderer sein kann, zumal wenn man berücksichtigt, dass die Kirchweih gleichsam die einzige Jahresfreude vieler Tausender von Dorfbewohnern ist. Mülhause, a. a. O., S. 303, spricht die sehr begründete Vermuthung aus, dass die Kirmessflasche ursprünglich ein mit Meth gefülltes Horn gewesen, welches innerhalb des heiligen Haines feierlich der Erde übergeben worden. Das Kirmessfest ist seinem Ursprunge nach ein uraltes germanisches Dionysosfest, wie es vor der Einführung des Weinbaues gefeiert wurde und allein gefeiert werden konnte; um dieses zu verdrängen und zu verchristlichen, wurden die herbstlichen Kirchweihen eingeführt,

Rheinlanden die Kirchweih in der Weise am Fusse des Kirchweihbaumes beerdigt, dass eine Flasche rothen Weines auf die Erde gegossen, mithin ein Todtenopfer in Wein dargebracht wird (funde merum genio), wobei zum Opferplatze, zum Grabe, die Musik folgen und das letzte Stück, ein Trauerstück, aufspielen muss. Wenn im nächsten Jahre der geschmückte grüne Kirchweihbaum in die aufgegrabene Erde unter Musikbegleitung neu gesetzt ist, wenn die Fichte (und Akazie) wieder grünet, gilt die Kirchweih selbst als ausgegraben und der Gott der Freude, des Tanzes und des Weines als wiedererstanden. Wegen des Eierschmuckes, den der grüne, beblumte und bebänderte Kirchweihbaum trägt, ist derselbe auf den herbstlichen Sonnengott, auf Wuotan, Frô, Donar, den griechischen Dionysos zu deuten. Die gefüllte Flasche rothen Weines wird in den Rheinlanden (wenn immer nur die Jugenderinnerung getreu ist) an dem Kirchweihbaume zerworfen und mit dem ausgegossenen Weine in die Erde verscharrt, was in Kurhessen sich dahin gestaltet hat, dass mit der menschenähnlichen Puppe zerbrochene Flaschen und Gläser beerdigt werden. Die zerbrochenen und zerworfenen Gefässe, welche auch noch bei den Hochzeitsgebräuchen z. B. vorkommen, beruhen auf dem letzten Gedanken, dass was zum heiligen Gebrauche, zur Freude gedient hat, nicht durch profanen Gebrauch entweiht werden solle, und dass zugleich das Brechen ein Symbol des Sterbens sei. Das Zerbrechen der Flaschen und Gläser ist ein bacchantisches Grabgeläute, der wahre Kirmesstod, wie er nach den Verhältnissen kein anderer sein kann, zumal wenn man berücksichtigt, dass die Kirchweih gleichsam die einzige Jahresfreude vieler Tausender von Dorfbewohnern ist. Mülhause, a. a. O., S. 303, spricht die sehr begründete Vermuthung aus, dass die Kirmessflasche ursprünglich ein mit Meth gefülltes Horn gewesen, welches innerhalb des heiligen Haines feierlich der Erde übergeben worden. Das Kirmessfest ist seinem Ursprunge nach ein uraltes germanisches Dionysosfest, wie es vor der Einführung des Weinbaues gefeiert wurde und allein gefeiert werden konnte; um dieses zu verdrängen und zu verchristlichen, wurden die herbstlichen Kirchweihen eingeführt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0633" n="617"/>
Rheinlanden die
 Kirchweih in der Weise am Fusse des Kirchweihbaumes beerdigt, dass eine Flasche rothen Weines auf
 die Erde gegossen, mithin ein Todtenopfer in Wein dargebracht wird (funde merum genio), wobei zum
 Opferplatze, zum Grabe, die Musik folgen und das letzte Stück, ein Trauerstück, aufspielen muss.
 Wenn im nächsten Jahre der geschmückte grüne Kirchweihbaum in die aufgegrabene Erde unter
 Musikbegleitung neu gesetzt ist, wenn die Fichte (und Akazie) wieder grünet, gilt die Kirchweih
 selbst als ausgegraben und der Gott der Freude, des Tanzes und des Weines als wiedererstanden. Wegen
 des Eierschmuckes, den der grüne, beblumte und bebänderte Kirchweihbaum trägt, ist derselbe auf den
 herbstlichen Sonnengott, auf Wuotan, Frô, Donar, den griechischen Dionysos zu deuten. Die gefüllte
 Flasche rothen Weines wird in den Rheinlanden (wenn immer nur die Jugenderinnerung getreu ist) an
 dem Kirchweihbaume zerworfen und mit dem ausgegossenen Weine in die Erde verscharrt, was in
 Kurhessen sich dahin gestaltet hat, dass mit der menschenähnlichen Puppe zerbrochene Flaschen und
 Gläser beerdigt werden. Die zerbrochenen und zerworfenen Gefässe, welche auch noch bei den
 Hochzeitsgebräuchen z. B. vorkommen, beruhen auf dem letzten Gedanken, dass was zum heiligen
 Gebrauche, zur Freude gedient hat, nicht durch profanen Gebrauch entweiht werden solle, und dass
 zugleich das Brechen ein Symbol des Sterbens sei. Das Zerbrechen der Flaschen und Gläser ist ein
 bacchantisches Grabgeläute, der wahre Kirmesstod, wie er nach den Verhältnissen kein anderer sein
 kann, zumal wenn man berücksichtigt, dass die Kirchweih gleichsam die einzige Jahresfreude vieler
 Tausender von Dorfbewohnern ist. Mülhause, a. a. O., S. 303, spricht die sehr begründete Vermuthung
 aus, dass die Kirmessflasche ursprünglich ein mit Meth gefülltes Horn gewesen, welches innerhalb des
 heiligen Haines feierlich der Erde übergeben worden. Das Kirmessfest ist seinem Ursprunge nach ein
 uraltes germanisches Dionysosfest, wie es vor der Einführung des Weinbaues gefeiert wurde und allein
 gefeiert werden konnte; um dieses zu verdrängen und zu verchristlichen, wurden die herbstlichen
 Kirchweihen eingeführt,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[617/0633] Rheinlanden die Kirchweih in der Weise am Fusse des Kirchweihbaumes beerdigt, dass eine Flasche rothen Weines auf die Erde gegossen, mithin ein Todtenopfer in Wein dargebracht wird (funde merum genio), wobei zum Opferplatze, zum Grabe, die Musik folgen und das letzte Stück, ein Trauerstück, aufspielen muss. Wenn im nächsten Jahre der geschmückte grüne Kirchweihbaum in die aufgegrabene Erde unter Musikbegleitung neu gesetzt ist, wenn die Fichte (und Akazie) wieder grünet, gilt die Kirchweih selbst als ausgegraben und der Gott der Freude, des Tanzes und des Weines als wiedererstanden. Wegen des Eierschmuckes, den der grüne, beblumte und bebänderte Kirchweihbaum trägt, ist derselbe auf den herbstlichen Sonnengott, auf Wuotan, Frô, Donar, den griechischen Dionysos zu deuten. Die gefüllte Flasche rothen Weines wird in den Rheinlanden (wenn immer nur die Jugenderinnerung getreu ist) an dem Kirchweihbaume zerworfen und mit dem ausgegossenen Weine in die Erde verscharrt, was in Kurhessen sich dahin gestaltet hat, dass mit der menschenähnlichen Puppe zerbrochene Flaschen und Gläser beerdigt werden. Die zerbrochenen und zerworfenen Gefässe, welche auch noch bei den Hochzeitsgebräuchen z. B. vorkommen, beruhen auf dem letzten Gedanken, dass was zum heiligen Gebrauche, zur Freude gedient hat, nicht durch profanen Gebrauch entweiht werden solle, und dass zugleich das Brechen ein Symbol des Sterbens sei. Das Zerbrechen der Flaschen und Gläser ist ein bacchantisches Grabgeläute, der wahre Kirmesstod, wie er nach den Verhältnissen kein anderer sein kann, zumal wenn man berücksichtigt, dass die Kirchweih gleichsam die einzige Jahresfreude vieler Tausender von Dorfbewohnern ist. Mülhause, a. a. O., S. 303, spricht die sehr begründete Vermuthung aus, dass die Kirmessflasche ursprünglich ein mit Meth gefülltes Horn gewesen, welches innerhalb des heiligen Haines feierlich der Erde übergeben worden. Das Kirmessfest ist seinem Ursprunge nach ein uraltes germanisches Dionysosfest, wie es vor der Einführung des Weinbaues gefeiert wurde und allein gefeiert werden konnte; um dieses zu verdrängen und zu verchristlichen, wurden die herbstlichen Kirchweihen eingeführt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/633
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/633>, abgerufen am 25.11.2024.