Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.tem reinen Erdenleben wieder über die Brücke Tschinewad oder die Milchstrasse nach ihrer Himmelsheimath zurückkehren. Diese himmlischen Geister sind nun zugleich das Urbild, die Uridee nach Plato, der Schutzgeist des Menschen, weshalb auch Ormuzd selbst einen Ferwer hat, d. h. der ewige Geist das Urbild seiner selbst ist. Auch nach altitalischem Glauben hatten selbst die Götter ihre Genien, und jedem Gotte entsprechend, wurde in Italien ein eigener Genius desselben angenommen.1) Es ist daher unrichtig, neben dem eigenen Geiste des Menschen noch einen besonderen Schutzgeist anzunehmen; denn der in ihm wohnende ursprüngliche und reine Geist ist sein Schutzgeist und muss es sein, weil sonst Ormuzd keinen Ferwer und die Götter keine Genien haben könnten. Der Himmels- und Gottesfunke in der Menschenbrust ist sein Schutzgeist, er erleuchtet und überwacht ihn, weshalb wir auch noch heute sagen: "Dich möge dein guter Geist leiten!" Mit Recht sagt deshalb Döllinger, S. 360, dass in den Ferwers sich die Begriffe von Schutzengeln, göttlichen Seelenbestandtheilen und himmlischen Urbildern der geschaffenen Wesen vereinigen; der Ferwer ist der vollkommenste Ausdruck, in welchem sich der auf Einzelnwesen gerichtete Gedanken des Schöpfers verwirklicht hat, sie sind die uranfänglichen, ewigen Gedanken und Schöpfungen aller Einzelnwesen und bilden das himmlische Reich, die himmlischen Heerschaaren, die Boten und die Engel Gottes, zu denen deshalb auch gebetet wurde: Ich rühme, preise und liebe die reinen, starken, vortrefflichen Ferwer.2) Dass übrigens der Volksglaube die eigentliche und reine Ansicht nicht festgehalten und den Genius des Menschen doch oft oder gewöhnlich von ihm verschieden, ausser und über ihm gedacht habe, ist begreiflich - eine weitere Entwickelung dieser Volksansicht war es dann, dem Menschen zwei Genien, einen guten und einen bösen, beizugeben, welche sich gleichsam um ihn stritten. Diese beiden sind die fravashi die Seelen der Abgeschiedenen, welche die Ihrigen
schützend und segnend umgeben. 1) Preller, röm. Mythologie, S. 67 u. 14 ff. 2) Vergl. auch Furtwängler, die Idee des Todes, S. 193, Anm. 12.
tem reinen Erdenleben wieder über die Brücke Tschinewad oder die Milchstrasse nach ihrer Himmelsheimath zurückkehren. Diese himmlischen Geister sind nun zugleich das Urbild, die Uridee nach Plato, der Schutzgeist des Menschen, weshalb auch Ormuzd selbst einen Ferwer hat, d. h. der ewige Geist das Urbild seiner selbst ist. Auch nach altitalischem Glauben hatten selbst die Götter ihre Genien, und jedem Gotte entsprechend, wurde in Italien ein eigener Genius desselben angenommen.1) Es ist daher unrichtig, neben dem eigenen Geiste des Menschen noch einen besonderen Schutzgeist anzunehmen; denn der in ihm wohnende ursprüngliche und reine Geist ist sein Schutzgeist und muss es sein, weil sonst Ormuzd keinen Ferwer und die Götter keine Genien haben könnten. Der Himmels- und Gottesfunke in der Menschenbrust ist sein Schutzgeist, er erleuchtet und überwacht ihn, weshalb wir auch noch heute sagen: „Dich möge dein guter Geist leiten!“ Mit Recht sagt deshalb Döllinger, S. 360, dass in den Ferwers sich die Begriffe von Schutzengeln, göttlichen Seelenbestandtheilen und himmlischen Urbildern der geschaffenen Wesen vereinigen; der Ferwer ist der vollkommenste Ausdruck, in welchem sich der auf Einzelnwesen gerichtete Gedanken des Schöpfers verwirklicht hat, sie sind die uranfänglichen, ewigen Gedanken und Schöpfungen aller Einzelnwesen und bilden das himmlische Reich, die himmlischen Heerschaaren, die Boten und die Engel Gottes, zu denen deshalb auch gebetet wurde: Ich rühme, preise und liebe die reinen, starken, vortrefflichen Ferwer.2) Dass übrigens der Volksglaube die eigentliche und reine Ansicht nicht festgehalten und den Genius des Menschen doch oft oder gewöhnlich von ihm verschieden, ausser und über ihm gedacht habe, ist begreiflich – eine weitere Entwickelung dieser Volksansicht war es dann, dem Menschen zwei Genien, einen guten und einen bösen, beizugeben, welche sich gleichsam um ihn stritten. Diese beiden sind die fravashi die Seelen der Abgeschiedenen, welche die Ihrigen
schützend und segnend umgeben. 1) Preller, röm. Mythologie, S. 67 u. 14 ff. 2) Vergl. auch Furtwängler, die Idee des Todes, S. 193, Anm. 12.
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tem reinen Erdenleben wieder über die Brücke Tschinewad oder die Milchstrasse nach ihrer Himmelsheimath zurückkehren. Diese himmlischen Geister sind nun zugleich das Urbild, die Uridee nach Plato, der Schutzgeist des Menschen, weshalb auch Ormuzd selbst einen Ferwer hat, d. h. der ewige Geist das Urbild seiner selbst ist. Auch nach altitalischem Glauben hatten selbst die Götter ihre Genien, und jedem Gotte entsprechend, wurde in Italien ein eigener Genius desselben angenommen. 1) Es ist daher unrichtig, neben dem eigenen Geiste des Menschen noch einen besonderen Schutzgeist anzunehmen; denn der in ihm wohnende ursprüngliche und reine Geist ist sein Schutzgeist und muss es sein, weil sonst Ormuzd keinen Ferwer und die Götter keine Genien haben könnten. Der Himmels- und Gottesfunke in der Menschenbrust ist sein Schutzgeist, er erleuchtet und überwacht ihn, weshalb wir auch noch heute sagen: „Dich möge dein guter Geist leiten!“ Mit Recht sagt deshalb Döllinger, S. 360, dass in den Ferwers sich die Begriffe von Schutzengeln, göttlichen Seelenbestandtheilen und himmlischen Urbildern der geschaffenen Wesen vereinigen; der Ferwer ist der vollkommenste Ausdruck, in welchem sich der auf Einzelnwesen gerichtete Gedanken des Schöpfers verwirklicht hat, sie sind die uranfänglichen, ewigen Gedanken und Schöpfungen aller Einzelnwesen und bilden das himmlische Reich, die himmlischen Heerschaaren, die Boten und die Engel Gottes, zu denen deshalb auch gebetet wurde: Ich rühme, preise und liebe die reinen, starken, vortrefflichen Ferwer. 2) Dass übrigens der Volksglaube die eigentliche und reine Ansicht nicht festgehalten und den Genius des Menschen doch oft oder gewöhnlich von ihm verschieden, ausser und über ihm gedacht habe, ist begreiflich – eine weitere Entwickelung dieser Volksansicht war es dann, dem Menschen zwei Genien, einen guten und einen bösen, beizugeben, welche sich gleichsam um ihn stritten. Diese beiden 4
1) Preller, röm. Mythologie, S. 67 u. 14 ff.
2) Vergl. auch Furtwängler, die Idee des Todes, S. 193, Anm. 12.
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Zitationshilfe: | Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/613>, abgerufen am 16.02.2025. |