Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.monen befreundeter Männer lenken, und dieser versichert, dass jedem Menschen ein Dämon als "wohlthätiger Mystagog des Lebens" zur Seite stehe. Freilich wurde diese Idee vorzugsweise in den Philosophenschulen ausgebildet; im Leben und im Bewusstsein des Volkes trat sie nur wenig hervor, mehr noch die Scheu vor den bösen Dämonen. In Griechenland soll unter den Philosophen zuerst Xenokrates und dann die stoische Schule die Ansicht ausgesprochen haben, dass es böse Dämonen neben den guten, düstere und menschenfeindliche Wesen gebe.1) Bekanntlich lehrte zu Athen auch der Bildhauer Sokrates, der Begründer der attischen Philosophie und der Lehrer des Plato, welchen die Pythia den Weisesten aller Griechen genannt hatte [fremdsprachliches Material] [fremdsprachliches Material],2) dass er eine innere warnende Stimme, ein inneres Orakel, einen Genius [fremdsprachliches Material] besitze, der seine Entschlüsse und Handlungen leite, welchen er in wichtigen Augenblicken berathe. Allein dieser berühmte Genius des Sokrates ist kein ägyptischer Genius, sondern nur eine prophetische, gleichsam magnetische Sehergabe, welche Sokrates sich zuschrieb und als ein besonderes Geschenk der Gunst der Gottheit betrachtete. 3) Die Vorstellung von den menschlichen Schutzgeistern ist nicht ägyptischen, sondern asiatischen Ursprungs, wie das ganze Menschengeschlecht und die menschliche Geschichte. Die Geburtsstätte dieser Vorstellung ist das mittlere Hochasien und vor allem das alte Baktrien, das sogenannte Zendvolk. Nach dem Glauben des Zendvolkes sind die menschlichen Seelen aus dem Himmel in den menschlichen Körper niedergestiegene Geister, die sogenannten Ferwers (Fravashis)4 und sollen nach vollbrach- 1) Döllinger, a. a. O., S. 658. 2) Götte, das delphische
Orakel, S. 270, Anm. 3. 3) Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 77; Döllinger, a. a. O., S
252. 4 Vergl. auch, was Benfey in Ersch und Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd.
XVII. S. 273, über die zendischen fravashi, welche er als identisch mit den indischen purusha hält
und nach ihm ursprünglich die Urseelen bezeichnen, sagt. Haug bei Welker, griech. Götterlehre, I. S.
737, erklärt den Namen der fravashi für Beschützer von der Präposition fra = pro und var, unter
wehren. Nach Haug
monen befreundeter Männer lenken, und dieser versichert, dass jedem Menschen ein Dämon als „wohlthätiger Mystagog des Lebens“ zur Seite stehe. Freilich wurde diese Idee vorzugsweise in den Philosophenschulen ausgebildet; im Leben und im Bewusstsein des Volkes trat sie nur wenig hervor, mehr noch die Scheu vor den bösen Dämonen. In Griechenland soll unter den Philosophen zuerst Xenokrates und dann die stoische Schule die Ansicht ausgesprochen haben, dass es böse Dämonen neben den guten, düstere und menschenfeindliche Wesen gebe.1) Bekanntlich lehrte zu Athen auch der Bildhauer Sokrates, der Begründer der attischen Philosophie und der Lehrer des Plato, welchen die Pythia den Weisesten aller Griechen genannt hatte [fremdsprachliches Material] [fremdsprachliches Material],2) dass er eine innere warnende Stimme, ein inneres Orakel, einen Genius [fremdsprachliches Material] besitze, der seine Entschlüsse und Handlungen leite, welchen er in wichtigen Augenblicken berathe. Allein dieser berühmte Genius des Sokrates ist kein ägyptischer Genius, sondern nur eine prophetische, gleichsam magnetische Sehergabe, welche Sokrates sich zuschrieb und als ein besonderes Geschenk der Gunst der Gottheit betrachtete. 3) Die Vorstellung von den menschlichen Schutzgeistern ist nicht ägyptischen, sondern asiatischen Ursprungs, wie das ganze Menschengeschlecht und die menschliche Geschichte. Die Geburtsstätte dieser Vorstellung ist das mittlere Hochasien und vor allem das alte Baktrien, das sogenannte Zendvolk. Nach dem Glauben des Zendvolkes sind die menschlichen Seelen aus dem Himmel in den menschlichen Körper niedergestiegene Geister, die sogenannten Ferwers (Fravashis)4 und sollen nach vollbrach- 1) Döllinger, a. a. O., S. 658. 2) Götte, das delphische
Orakel, S. 270, Anm. 3. 3) Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 77; Döllinger, a. a. O., S
252. 4 Vergl. auch, was Benfey in Ersch und Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd.
XVII. S. 273, über die zendischen fravashi, welche er als identisch mit den indischen purusha hält
und nach ihm ursprünglich die Urseelen bezeichnen, sagt. Haug bei Welker, griech. Götterlehre, I. S.
737, erklärt den Namen der fravashi für Beschützer von der Präposition fra = pro und var, unter
wehren. Nach Haug
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monen befreundeter Männer lenken, und dieser versichert, dass jedem Menschen ein Dämon als „wohlthätiger Mystagog des Lebens“ zur Seite stehe. Freilich wurde diese Idee vorzugsweise in den Philosophenschulen ausgebildet; im Leben und im Bewusstsein des Volkes trat sie nur wenig hervor, mehr noch die Scheu vor den bösen Dämonen. In Griechenland soll unter den Philosophen zuerst Xenokrates und dann die stoische Schule die Ansicht ausgesprochen haben, dass es böse Dämonen neben den guten, düstere und menschenfeindliche Wesen gebe. 1) Bekanntlich lehrte zu Athen auch der Bildhauer Sokrates, der Begründer der attischen Philosophie und der Lehrer des Plato, welchen die Pythia den Weisesten aller Griechen genannt hatte _ _ , 2) dass er eine innere warnende Stimme, ein inneres Orakel, einen Genius _ besitze, der seine Entschlüsse und Handlungen leite, welchen er in wichtigen Augenblicken berathe. Allein dieser berühmte Genius des Sokrates ist kein ägyptischer Genius, sondern nur eine prophetische, gleichsam magnetische Sehergabe, welche Sokrates sich zuschrieb und als ein besonderes Geschenk der Gunst der Gottheit betrachtete. 3)
Die Vorstellung von den menschlichen Schutzgeistern ist nicht ägyptischen, sondern asiatischen Ursprungs, wie das ganze Menschengeschlecht und die menschliche Geschichte. Die Geburtsstätte dieser Vorstellung ist das mittlere Hochasien und vor allem das alte Baktrien, das sogenannte Zendvolk. Nach dem Glauben des Zendvolkes sind die menschlichen Seelen aus dem Himmel in den menschlichen Körper niedergestiegene Geister, die sogenannten Ferwers (Fravashis) 4 und sollen nach vollbrach-
1) Döllinger, a. a. O., S. 658.
2) Götte, das delphische Orakel, S. 270, Anm. 3.
3) Hegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 77; Döllinger, a. a. O., S 252.
4 Vergl. auch, was Benfey in Ersch und Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd. XVII. S. 273, über die zendischen fravashi, welche er als identisch mit den indischen purusha hält und nach ihm ursprünglich die Urseelen bezeichnen, sagt. Haug bei Welker, griech. Götterlehre, I. S. 737, erklärt den Namen der fravashi für Beschützer von der Präposition fra = pro und var, unter wehren. Nach Haug
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Zitationshilfe: | Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/612>, abgerufen am 16.02.2025. |