Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

der Sonne mit dem daraus hervorgehenden ewigen Umschwung und Wechsel des Erd- und Naturlebens, - ihr Abwärtssteigen in der Mitte des Sommers bis zur endlichen Rückkehr, bis zum Beginnen des Wiederaufsteigens gegen Ende des Monats Dezember. Auf den finstern und rauhen Winter folgte ein lichteres, wärmeres, blumen- und früchtereiches neues Jahr; aus dem Grabe des untergegangenen Jahres erhob verjüngend das neue sich, die alte Welt diente nur zur Wiege der zweiten schönern. Das scheidende Jahr ist nur der ägyptische Vogel Phönix, welcher sich in der Sonnenstadt selbst verbrennt, um schöner und neu aus seiner Asche wiederzuerstehen.1) Dieser Gang des Jahreslaufes und der Jahresverjüngung, das Absterben und Wiederaufleben der Sonne und Natur, die Sehnsucht und Hoffnung nach dem nahenden neuen Jahre beim Untergange des alten wurde der ersten Menschheit und den ersten Völkern bald und leicht zum Gange und Bilde des grossen Weltlebens und 'Weltjahres, zur Trauer über den Weltuntergang und zur Hoffnung, zur Mythe des Entstehens einer neuen, schönern und bessern Welt. Der untergehende Tag und das untergehende Jahr mit der dahinsterbenden reichen Naturpracht musste den ersten Völkern die Ansicht und den Glauben bringen und tief in das Herz prägen, dass dereinst auch diese Erde und diese Welt vergehen und zu einer neuen vollkommeneren sich verjüngen werde. Diese Ansicht und dieser Glaube wurde um so allgemeiner, tiefer und sittlicher, je mehr man die Unvollkommenheiten und Gebrechen der gegenwärtigen Welt fühlte und erkannte, je mehr man das Wahre, Gute und Schöne hier vermisste, - je winterlicher, kälter und lichtarmer man sich jetzt wusste. Die in fast allen Religionen und Mythologien des Alterthums erscheinende Vorstellung von einer zweiten besseren Welt, welche an die Stelle der untergehenden gegenwärtigen treten werde, ist durchaus nur die auf das Weltgeschick übertragene und in dasselbe verflochtene oder umgestaltete Erfahrung über die Rückkehr der fortgegangenen Sonne und Jahrespracht.

1) Gfrörer, Urgeschichte, Il. S. 225.

der Sonne mit dem daraus hervorgehenden ewigen Umschwung und Wechsel des Erd- und Naturlebens, – ihr Abwärtssteigen in der Mitte des Sommers bis zur endlichen Rückkehr, bis zum Beginnen des Wiederaufsteigens gegen Ende des Monats Dezember. Auf den finstern und rauhen Winter folgte ein lichteres, wärmeres, blumen- und früchtereiches neues Jahr; aus dem Grabe des untergegangenen Jahres erhob verjüngend das neue sich, die alte Welt diente nur zur Wiege der zweiten schönern. Das scheidende Jahr ist nur der ägyptische Vogel Phönix, welcher sich in der Sonnenstadt selbst verbrennt, um schöner und neu aus seiner Asche wiederzuerstehen.1) Dieser Gang des Jahreslaufes und der Jahresverjüngung, das Absterben und Wiederaufleben der Sonne und Natur, die Sehnsucht und Hoffnung nach dem nahenden neuen Jahre beim Untergange des alten wurde der ersten Menschheit und den ersten Völkern bald und leicht zum Gange und Bilde des grossen Weltlebens und ’Weltjahres, zur Trauer über den Weltuntergang und zur Hoffnung, zur Mythe des Entstehens einer neuen, schönern und bessern Welt. Der untergehende Tag und das untergehende Jahr mit der dahinsterbenden reichen Naturpracht musste den ersten Völkern die Ansicht und den Glauben bringen und tief in das Herz prägen, dass dereinst auch diese Erde und diese Welt vergehen und zu einer neuen vollkommeneren sich verjüngen werde. Diese Ansicht und dieser Glaube wurde um so allgemeiner, tiefer und sittlicher, je mehr man die Unvollkommenheiten und Gebrechen der gegenwärtigen Welt fühlte und erkannte, je mehr man das Wahre, Gute und Schöne hier vermisste, – je winterlicher, kälter und lichtarmer man sich jetzt wusste. Die in fast allen Religionen und Mythologien des Alterthums erscheinende Vorstellung von einer zweiten besseren Welt, welche an die Stelle der untergehenden gegenwärtigen treten werde, ist durchaus nur die auf das Weltgeschick übertragene und in dasselbe verflochtene oder umgestaltete Erfahrung über die Rückkehr der fortgegangenen Sonne und Jahrespracht.

1) Gfrörer, Urgeschichte, Il. S. 225.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0199" n="183"/>
der Sonne mit dem daraus
 hervorgehenden ewigen Umschwung und Wechsel des Erd- und Naturlebens, &#x2013; ihr Abwärtssteigen in der
 Mitte des Sommers bis zur endlichen Rückkehr, bis zum Beginnen des Wiederaufsteigens gegen Ende des
 Monats Dezember. Auf den finstern und rauhen Winter folgte ein lichteres, wärmeres, blumen- und
 früchtereiches neues Jahr; aus dem Grabe des untergegangenen Jahres erhob verjüngend das neue sich,
 die alte Welt diente nur zur Wiege der zweiten schönern. Das scheidende Jahr ist nur der ägyptische
 Vogel Phönix, welcher sich in der Sonnenstadt selbst verbrennt, um schöner und neu aus seiner Asche
 wiederzuerstehen.<note place="foot" n="1)">Gfrörer, Urgeschichte, Il. S. 225. </note> Dieser Gang
 des Jahreslaufes und der Jahresverjüngung, das Absterben und Wiederaufleben der Sonne und Natur, die
 Sehnsucht und Hoffnung nach dem nahenden neuen Jahre beim Untergange des alten wurde der ersten
 Menschheit und den ersten Völkern bald und leicht zum Gange und Bilde des grossen Weltlebens und
 &#x2019;Weltjahres, zur Trauer über den Weltuntergang und zur Hoffnung, zur Mythe des Entstehens einer
 neuen, schönern und bessern Welt. Der untergehende Tag und das untergehende Jahr mit der
 dahinsterbenden reichen Naturpracht musste den ersten Völkern die Ansicht und den Glauben bringen
 und tief in das Herz prägen, dass dereinst auch diese Erde und diese Welt vergehen und zu einer
 neuen vollkommeneren sich verjüngen werde. Diese Ansicht und dieser Glaube wurde um so allgemeiner,
 tiefer und sittlicher, je mehr man die Unvollkommenheiten und Gebrechen der gegenwärtigen Welt
 fühlte und erkannte, je mehr man das Wahre, Gute und Schöne hier vermisste, &#x2013; je winterlicher,
 kälter und lichtarmer man sich jetzt wusste. Die in fast allen Religionen und Mythologien des
 Alterthums erscheinende Vorstellung von einer zweiten besseren Welt, welche an die Stelle der
 untergehenden gegenwärtigen treten werde, ist durchaus nur die auf das Weltgeschick übertragene und
 in dasselbe verflochtene oder umgestaltete Erfahrung über die Rückkehr der fortgegangenen Sonne und
 Jahrespracht.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0199] der Sonne mit dem daraus hervorgehenden ewigen Umschwung und Wechsel des Erd- und Naturlebens, – ihr Abwärtssteigen in der Mitte des Sommers bis zur endlichen Rückkehr, bis zum Beginnen des Wiederaufsteigens gegen Ende des Monats Dezember. Auf den finstern und rauhen Winter folgte ein lichteres, wärmeres, blumen- und früchtereiches neues Jahr; aus dem Grabe des untergegangenen Jahres erhob verjüngend das neue sich, die alte Welt diente nur zur Wiege der zweiten schönern. Das scheidende Jahr ist nur der ägyptische Vogel Phönix, welcher sich in der Sonnenstadt selbst verbrennt, um schöner und neu aus seiner Asche wiederzuerstehen. 1) Dieser Gang des Jahreslaufes und der Jahresverjüngung, das Absterben und Wiederaufleben der Sonne und Natur, die Sehnsucht und Hoffnung nach dem nahenden neuen Jahre beim Untergange des alten wurde der ersten Menschheit und den ersten Völkern bald und leicht zum Gange und Bilde des grossen Weltlebens und ’Weltjahres, zur Trauer über den Weltuntergang und zur Hoffnung, zur Mythe des Entstehens einer neuen, schönern und bessern Welt. Der untergehende Tag und das untergehende Jahr mit der dahinsterbenden reichen Naturpracht musste den ersten Völkern die Ansicht und den Glauben bringen und tief in das Herz prägen, dass dereinst auch diese Erde und diese Welt vergehen und zu einer neuen vollkommeneren sich verjüngen werde. Diese Ansicht und dieser Glaube wurde um so allgemeiner, tiefer und sittlicher, je mehr man die Unvollkommenheiten und Gebrechen der gegenwärtigen Welt fühlte und erkannte, je mehr man das Wahre, Gute und Schöne hier vermisste, – je winterlicher, kälter und lichtarmer man sich jetzt wusste. Die in fast allen Religionen und Mythologien des Alterthums erscheinende Vorstellung von einer zweiten besseren Welt, welche an die Stelle der untergehenden gegenwärtigen treten werde, ist durchaus nur die auf das Weltgeschick übertragene und in dasselbe verflochtene oder umgestaltete Erfahrung über die Rückkehr der fortgegangenen Sonne und Jahrespracht. 1) Gfrörer, Urgeschichte, Il. S. 225.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/199
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/199>, abgerufen am 23.11.2024.