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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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§. 399. B. Daseyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen.

Diese Auffassung muß jedoch verworfen werden, weil
die Gesetze über die Ehescheidung sittliche Gründe und
Zwecke, mithin eine zwingende Natur haben, und daher
zu den Gesetzen über das Daseyn der Ehe gehören (c).
Dieses ist gleich wahr, das neue Gesetz mag die Scheidung
erschweren oder erleichtern. Das erste setzt den überwie-
genden Werth auf Erhaltung der Reinheit und Heiligkeit
der Ehen; das zweite auf unbeschränkte Erhaltung der in-
dividuellen Freiheit (d); beides sind sittliche Principien,
deren relativer Werth oder Unwerth hier ganz dahin ge-
stellt bleiben muß, wo es blos darauf ankommt, die Natur
der darauf bezüglichen Gesetze zu bestimmen.

Die hier aufgestellte Ansicht ist in der Preußischen
transitorischen Gesetzgebung, wiewohl mit einer geringen

(c) Man könnte es für ein-
seitig und unbegründet halten, daß
hier nur der Ehescheidung dieser
Charakter zugeschrieben werde,
nicht auch dem ganzen übrigen
rein persönlichen Recht der Ehe,
namentlich den persönlichen Rech-
ten und Pflichten während der
Ehe. Der Unterschied ist jedoch
der, daß auf diese der Gesetzgeber
und der Richter sehr wenig mög-
lichen Einfluß haben, anstatt daß
der Ausspruch über Daseyn oder
Nichtdaseyn der Ehe (also die
Ehescheidung) sehr wohl mit Er-
folg durchgeführt werden kann.
(d) Die Freiheit braucht hier
nicht gedacht zu werden als bloße
Willkür, als Verneinung unbe-
quemer Schranken, welche aller-
dings keine besonders sittliche Na-
tur hat; sie kann auch gedacht
werden als Schutz der sittlichen
Freiheit in der Ehe gegen jeden
äußeren, diese Freiheit störenden,
und dadurch die Reinheit der Ehe
gefährdenden, Zwang. Dieses war
die ursprüngliche Ansicht der Rö-
mer, wurzelnd in der Zeit alter
Sittenreinheit. L. 134 pr. de V.
O.
(45. 1), L. 14 C. de nupt.
(5. 4), L. 2 C. de inut. stip.

(8. 39).
§. 399. B. Daſeyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen.

Dieſe Auffaſſung muß jedoch verworfen werden, weil
die Geſetze über die Eheſcheidung ſittliche Gründe und
Zwecke, mithin eine zwingende Natur haben, und daher
zu den Geſetzen über das Daſeyn der Ehe gehören (c).
Dieſes iſt gleich wahr, das neue Geſetz mag die Scheidung
erſchweren oder erleichtern. Das erſte ſetzt den überwie-
genden Werth auf Erhaltung der Reinheit und Heiligkeit
der Ehen; das zweite auf unbeſchränkte Erhaltung der in-
dividuellen Freiheit (d); beides ſind ſittliche Principien,
deren relativer Werth oder Unwerth hier ganz dahin ge-
ſtellt bleiben muß, wo es blos darauf ankommt, die Natur
der darauf bezüglichen Geſetze zu beſtimmen.

Die hier aufgeſtellte Anſicht iſt in der Preußiſchen
tranſitoriſchen Geſetzgebung, wiewohl mit einer geringen

(c) Man könnte es für ein-
ſeitig und unbegründet halten, daß
hier nur der Eheſcheidung dieſer
Charakter zugeſchrieben werde,
nicht auch dem ganzen übrigen
rein perſönlichen Recht der Ehe,
namentlich den perſönlichen Rech-
ten und Pflichten während der
Ehe. Der Unterſchied iſt jedoch
der, daß auf dieſe der Geſetzgeber
und der Richter ſehr wenig mög-
lichen Einfluß haben, anſtatt daß
der Ausſpruch über Daſeyn oder
Nichtdaſeyn der Ehe (alſo die
Eheſcheidung) ſehr wohl mit Er-
folg durchgeführt werden kann.
(d) Die Freiheit braucht hier
nicht gedacht zu werden als bloße
Willkür, als Verneinung unbe-
quemer Schranken, welche aller-
dings keine beſonders ſittliche Na-
tur hat; ſie kann auch gedacht
werden als Schutz der ſittlichen
Freiheit in der Ehe gegen jeden
äußeren, dieſe Freiheit ſtörenden,
und dadurch die Reinheit der Ehe
gefährdenden, Zwang. Dieſes war
die urſprüngliche Anſicht der Rö-
mer, wurzelnd in der Zeit alter
Sittenreinheit. L. 134 pr. de V.
O.
(45. 1), L. 14 C. de nupt.
(5. 4), L. 2 C. de inut. stip.

(8. 39).
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[525/0547] §. 399. B. Daſeyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen. Dieſe Auffaſſung muß jedoch verworfen werden, weil die Geſetze über die Eheſcheidung ſittliche Gründe und Zwecke, mithin eine zwingende Natur haben, und daher zu den Geſetzen über das Daſeyn der Ehe gehören (c). Dieſes iſt gleich wahr, das neue Geſetz mag die Scheidung erſchweren oder erleichtern. Das erſte ſetzt den überwie- genden Werth auf Erhaltung der Reinheit und Heiligkeit der Ehen; das zweite auf unbeſchränkte Erhaltung der in- dividuellen Freiheit (d); beides ſind ſittliche Principien, deren relativer Werth oder Unwerth hier ganz dahin ge- ſtellt bleiben muß, wo es blos darauf ankommt, die Natur der darauf bezüglichen Geſetze zu beſtimmen. Die hier aufgeſtellte Anſicht iſt in der Preußiſchen tranſitoriſchen Geſetzgebung, wiewohl mit einer geringen (c) Man könnte es für ein- ſeitig und unbegründet halten, daß hier nur der Eheſcheidung dieſer Charakter zugeſchrieben werde, nicht auch dem ganzen übrigen rein perſönlichen Recht der Ehe, namentlich den perſönlichen Rech- ten und Pflichten während der Ehe. Der Unterſchied iſt jedoch der, daß auf dieſe der Geſetzgeber und der Richter ſehr wenig mög- lichen Einfluß haben, anſtatt daß der Ausſpruch über Daſeyn oder Nichtdaſeyn der Ehe (alſo die Eheſcheidung) ſehr wohl mit Er- folg durchgeführt werden kann. (d) Die Freiheit braucht hier nicht gedacht zu werden als bloße Willkür, als Verneinung unbe- quemer Schranken, welche aller- dings keine beſonders ſittliche Na- tur hat; ſie kann auch gedacht werden als Schutz der ſittlichen Freiheit in der Ehe gegen jeden äußeren, dieſe Freiheit ſtörenden, und dadurch die Reinheit der Ehe gefährdenden, Zwang. Dieſes war die urſprüngliche Anſicht der Rö- mer, wurzelnd in der Zeit alter Sittenreinheit. L. 134 pr. de V. O. (45. 1), L. 14 C. de nupt. (5. 4), L. 2 C. de inut. stip. (8. 39).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/547>, abgerufen am 22.11.2024.