Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
allgemein wirken (b). Dahin aber können sie offenbar nur kommen, indem sie jene Einschränkung (die selbst schon die Ausnahme einer Ausnahme ist) durch eine neue Ausnahme beseitigen, also gleichsam eine Ausnahme dritter Potenz an- nehmen. So wird es aber immer augenscheinlicher, wie unnatürlich eine Auffassung ist, die zu solchen Rettungs- mitteln hindrängt.
Sehr charakteristisch ist die ganz verschiedene Art, in welcher ein anderer Schriftsteller die angegebene Schwierig- keit zu lösen sucht (c). Dieser läßt keine exceptionelle Rückwirkung, ja überhaupt keine Einwirkung des Gesetz- gebers auf zeitliche Collisionen der Gesetze zu (§ 387. i). Bei der gegenwärtig vorliegenden Schwierigkeit aber hilft er sich damit, daß er blos die ihm besonders mißliebigen Institute, wie Leibeigenschaft, Steuerfreiheit des Adels, in's Auge faßt. Diese nennt er Gräuel, moralische Schändlich- keiten, Ungerechtigkeiten, die an sich kein rechtliches Daseyn haben. Wenn ein Gesetz sie aufhebt, so soll es des Zu- satzes der rückwirkenden Kraft nicht bedürfen. Vielmehr soll jede der drei Staatsgewalten (die gesetzgebende, richter- liche, vollziehende) für sich allein die Macht haben, jene Institute zu ignoriren, und dadurch praktisch zu vernichten. -- Eine Widerlegung dieser Ansicht wird man wohl nicht verlangen. Nur auf die praktische Schwierigkeit in der
(b)Weber S. 213--215. Bergmann S. 259.
(c)Struve S. 150--152. 274--276.
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
allgemein wirken (b). Dahin aber können ſie offenbar nur kommen, indem ſie jene Einſchränkung (die ſelbſt ſchon die Ausnahme einer Ausnahme iſt) durch eine neue Ausnahme beſeitigen, alſo gleichſam eine Ausnahme dritter Potenz an- nehmen. So wird es aber immer augenſcheinlicher, wie unnatürlich eine Auffaſſung iſt, die zu ſolchen Rettungs- mitteln hindrängt.
Sehr charakteriſtiſch iſt die ganz verſchiedene Art, in welcher ein anderer Schriftſteller die angegebene Schwierig- keit zu löſen ſucht (c). Dieſer läßt keine exceptionelle Rückwirkung, ja überhaupt keine Einwirkung des Geſetz- gebers auf zeitliche Colliſionen der Geſetze zu (§ 387. i). Bei der gegenwärtig vorliegenden Schwierigkeit aber hilft er ſich damit, daß er blos die ihm beſonders mißliebigen Inſtitute, wie Leibeigenſchaft, Steuerfreiheit des Adels, in’s Auge faßt. Dieſe nennt er Gräuel, moraliſche Schändlich- keiten, Ungerechtigkeiten, die an ſich kein rechtliches Daſeyn haben. Wenn ein Geſetz ſie aufhebt, ſo ſoll es des Zu- ſatzes der rückwirkenden Kraft nicht bedürfen. Vielmehr ſoll jede der drei Staatsgewalten (die geſetzgebende, richter- liche, vollziehende) für ſich allein die Macht haben, jene Inſtitute zu ignoriren, und dadurch praktiſch zu vernichten. — Eine Widerlegung dieſer Anſicht wird man wohl nicht verlangen. Nur auf die praktiſche Schwierigkeit in der
(b)Weber S. 213—215. Bergmann S. 259.
(c)Struve S. 150—152. 274—276.
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
allgemein wirken (b). Dahin aber können ſie offenbar nur
kommen, indem ſie jene Einſchränkung (die ſelbſt ſchon die
Ausnahme einer Ausnahme iſt) durch eine neue Ausnahme
beſeitigen, alſo gleichſam eine Ausnahme dritter Potenz an-
nehmen. So wird es aber immer augenſcheinlicher, wie
unnatürlich eine Auffaſſung iſt, die zu ſolchen Rettungs-
mitteln hindrängt.
Sehr charakteriſtiſch iſt die ganz verſchiedene Art, in
welcher ein anderer Schriftſteller die angegebene Schwierig-
keit zu löſen ſucht (c). Dieſer läßt keine exceptionelle
Rückwirkung, ja überhaupt keine Einwirkung des Geſetz-
gebers auf zeitliche Colliſionen der Geſetze zu (§ 387. i).
Bei der gegenwärtig vorliegenden Schwierigkeit aber hilft
er ſich damit, daß er blos die ihm beſonders mißliebigen
Inſtitute, wie Leibeigenſchaft, Steuerfreiheit des Adels, in’s
Auge faßt. Dieſe nennt er Gräuel, moraliſche Schändlich-
keiten, Ungerechtigkeiten, die an ſich kein rechtliches Daſeyn
haben. Wenn ein Geſetz ſie aufhebt, ſo ſoll es des Zu-
ſatzes der rückwirkenden Kraft nicht bedürfen. Vielmehr
ſoll jede der drei Staatsgewalten (die geſetzgebende, richter-
liche, vollziehende) für ſich allein die Macht haben, jene
Inſtitute zu ignoriren, und dadurch praktiſch zu vernichten.
— Eine Widerlegung dieſer Anſicht wird man wohl nicht
verlangen. Nur auf die praktiſche Schwierigkeit in der
(b) Weber S. 213—215. Bergmann S. 259.
(c) Struve S. 150—152. 274—276.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/542>, abgerufen am 25.11.2024.
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