Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.
§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundsatz. gesetzten Grundsatz strenge durchführen, so müßte ein neuesGesetz, welches zur Veräußerung des Eigenthums, anstatt des bisher genügenden bloßen Vertrags, die Tradition er- forderte, die Folge haben, daß nun auch alle vergangene Veräußerungen unwirksam würden, oder durch nachgeholte Traditionen ergänzt werden müßten. Die völlige Unmöglich- keit eines solchen Rechtszustandes ist so einleuchtend, daß gewiß Niemand daran gedacht hat, in die Annahme einer rückwirkenden Kraft, die von Manchen nach der Natur der Sache als richtig angesehen, und nur nach positiven Ge- setzen verworfen wird, auch diese Folgen mit aufzunehmen. Man glaubte also die Rückwirkung allgemein in Frage zu stellen, dachte aber dabei in der That nur an eingeleitete, noch unerledigte Rechtsgeschäfte, namentlich an früher ge- schlossene obligatorische Verträge, deren Erfüllung erst nach dem Erlaß des neuen Gesetzes gefordert wird (k). In dieser beschränkten Anwendung ist es allerdings denkbar, die Rückwirkung durchzuführen; aber eben diese ganz zu- fällige und willkürliche Beschränkung beweist, daß die An- nahme der Rückwirkung zu einem allgemeinen Grundsatz ganz untauglich, und in der zufällig beschränkten Anwen- dung, worin sie möglich wäre, ungerecht ist. (k) Dieses ist namentlich die
Ansicht von Weber, S. 108, der das unter dem früheren Gesetz durch bloßen Vertrag erworbene Eigen- thum fortwirken läßt, auch wenn ein neues Gesetz die Tradition zur Veräußerung erfordert. Er wird aber dadurch seinem Grund- satz in der That untreu, indem er unvermerkt die Anwendung desselben inconsequent und willkürlich be- schränkt. §. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. geſetzten Grundſatz ſtrenge durchführen, ſo müßte ein neuesGeſetz, welches zur Veräußerung des Eigenthums, anſtatt des bisher genügenden bloßen Vertrags, die Tradition er- forderte, die Folge haben, daß nun auch alle vergangene Veräußerungen unwirkſam würden, oder durch nachgeholte Traditionen ergänzt werden müßten. Die völlige Unmöglich- keit eines ſolchen Rechtszuſtandes iſt ſo einleuchtend, daß gewiß Niemand daran gedacht hat, in die Annahme einer rückwirkenden Kraft, die von Manchen nach der Natur der Sache als richtig angeſehen, und nur nach poſitiven Ge- ſetzen verworfen wird, auch dieſe Folgen mit aufzunehmen. Man glaubte alſo die Rückwirkung allgemein in Frage zu ſtellen, dachte aber dabei in der That nur an eingeleitete, noch unerledigte Rechtsgeſchäfte, namentlich an früher ge- ſchloſſene obligatoriſche Verträge, deren Erfüllung erſt nach dem Erlaß des neuen Geſetzes gefordert wird (k). In dieſer beſchränkten Anwendung iſt es allerdings denkbar, die Rückwirkung durchzuführen; aber eben dieſe ganz zu- fällige und willkürliche Beſchränkung beweiſt, daß die An- nahme der Rückwirkung zu einem allgemeinen Grundſatz ganz untauglich, und in der zufällig beſchränkten Anwen- dung, worin ſie möglich wäre, ungerecht iſt. (k) Dieſes iſt namentlich die
Anſicht von Weber, S. 108, der das unter dem früheren Geſetz durch bloßen Vertrag erworbene Eigen- thum fortwirken läßt, auch wenn ein neues Geſetz die Tradition zur Veräußerung erfordert. Er wird aber dadurch ſeinem Grund- ſatz in der That untreu, indem er unvermerkt die Anwendung deſſelben inconſequent und willkürlich be- ſchränkt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0413" n="391"/><fw place="top" type="header">§. 385. <hi rendition="#aq">A.</hi> Erwerb der Rechte. Grundſatz.</fw><lb/> geſetzten Grundſatz ſtrenge durchführen, ſo müßte ein neues<lb/> Geſetz, welches zur Veräußerung des Eigenthums, anſtatt<lb/> des bisher genügenden bloßen Vertrags, die Tradition er-<lb/> forderte, die Folge haben, daß nun auch alle vergangene<lb/> Veräußerungen unwirkſam würden, oder durch nachgeholte<lb/> Traditionen ergänzt werden müßten. Die völlige Unmöglich-<lb/> keit eines ſolchen Rechtszuſtandes iſt ſo einleuchtend, daß<lb/> gewiß Niemand daran gedacht hat, in die Annahme einer<lb/> rückwirkenden Kraft, die von Manchen nach der Natur der<lb/> Sache als richtig angeſehen, und nur nach poſitiven Ge-<lb/> ſetzen verworfen wird, auch dieſe Folgen mit aufzunehmen.<lb/> Man glaubte alſo die Rückwirkung allgemein in Frage zu<lb/> ſtellen, dachte aber dabei in der That nur an eingeleitete,<lb/> noch unerledigte Rechtsgeſchäfte, namentlich an früher ge-<lb/> ſchloſſene obligatoriſche Verträge, deren Erfüllung erſt nach<lb/> dem Erlaß des neuen Geſetzes gefordert wird <note place="foot" n="(k)">Dieſes iſt namentlich die<lb/> Anſicht von <hi rendition="#g">Weber</hi>, S. 108, der<lb/> das unter dem früheren Geſetz durch<lb/> bloßen Vertrag erworbene Eigen-<lb/> thum fortwirken läßt, auch wenn<lb/> ein neues Geſetz die <choice><sic>Traditton</sic><corr>Tradition</corr></choice><lb/> zur Veräußerung erfordert. Er<lb/> wird aber dadurch ſeinem Grund-<lb/> ſatz in der That untreu, indem er<lb/> unvermerkt <choice><sic>bie</sic><corr>die</corr></choice> Anwendung deſſelben<lb/> inconſequent und willkürlich be-<lb/> ſchränkt.</note>. In<lb/> dieſer beſchränkten Anwendung iſt es allerdings denkbar,<lb/> die Rückwirkung durchzuführen; aber eben dieſe ganz zu-<lb/> fällige und willkürliche Beſchränkung beweiſt, daß die An-<lb/> nahme der Rückwirkung zu einem allgemeinen Grundſatz<lb/> ganz untauglich, und in der zufällig beſchränkten Anwen-<lb/> dung, worin ſie möglich wäre, ungerecht iſt.</p> </div><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [391/0413]
§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz.
geſetzten Grundſatz ſtrenge durchführen, ſo müßte ein neues
Geſetz, welches zur Veräußerung des Eigenthums, anſtatt
des bisher genügenden bloßen Vertrags, die Tradition er-
forderte, die Folge haben, daß nun auch alle vergangene
Veräußerungen unwirkſam würden, oder durch nachgeholte
Traditionen ergänzt werden müßten. Die völlige Unmöglich-
keit eines ſolchen Rechtszuſtandes iſt ſo einleuchtend, daß
gewiß Niemand daran gedacht hat, in die Annahme einer
rückwirkenden Kraft, die von Manchen nach der Natur der
Sache als richtig angeſehen, und nur nach poſitiven Ge-
ſetzen verworfen wird, auch dieſe Folgen mit aufzunehmen.
Man glaubte alſo die Rückwirkung allgemein in Frage zu
ſtellen, dachte aber dabei in der That nur an eingeleitete,
noch unerledigte Rechtsgeſchäfte, namentlich an früher ge-
ſchloſſene obligatoriſche Verträge, deren Erfüllung erſt nach
dem Erlaß des neuen Geſetzes gefordert wird (k). In
dieſer beſchränkten Anwendung iſt es allerdings denkbar,
die Rückwirkung durchzuführen; aber eben dieſe ganz zu-
fällige und willkürliche Beſchränkung beweiſt, daß die An-
nahme der Rückwirkung zu einem allgemeinen Grundſatz
ganz untauglich, und in der zufällig beſchränkten Anwen-
dung, worin ſie möglich wäre, ungerecht iſt.
(k) Dieſes iſt namentlich die
Anſicht von Weber, S. 108, der
das unter dem früheren Geſetz durch
bloßen Vertrag erworbene Eigen-
thum fortwirken läßt, auch wenn
ein neues Geſetz die Tradition
zur Veräußerung erfordert. Er
wird aber dadurch ſeinem Grund-
ſatz in der That untreu, indem er
unvermerkt die Anwendung deſſelben
inconſequent und willkürlich be-
ſchränkt.
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| Zitationshilfe: | Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/413>, abgerufen am 22.11.2024. |
