Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
durch den oben aufgestellten Grundsatz der nichtrückwirken- den Kraft, der Erhaltung erworbener Rechte, bezeichnet werden. Die Wahrheit dieser Behauptung aber geht aus folgenden Betrachtungen hervor.
Erstlich ist höchst wichtig und wünschenswerth das unerschütterliche Vertrauen in die Herrschaft der bestehenden Gesetze. Damit ist nicht gemeint das Vertrauen in ihre stete Fortdauer, da vielmehr nach Umständen die Erwartung und der Wunsch eines bessernden Fortschrittes wohl begründet und heilsam seyn kann. Wohl aber ist gemeint das Ver- trauen, daß ihre Herrschaft und Wirksamkeit, so lange sie bestehen, unanfechtbar seyn werde. Es soll also Jeder darauf sicher rechnen dürfen, daß die Rechtsgeschäfte, die er zum Erwerb von Rechten nach den bestehenden Gesetzen eingerichtet hat, auch in Zukunft wirksam bleiben werden.
Zweitens ist gleichfalls wichtig und wünschenswerth die Erhaltung des jederzeit bestehenden Rechts- und Vermögens- Bestandes. Diese Erhaltung aber wird, so weit die Gesetz- gebung darauf einwirken kann, befördert durch den oben aufgestellten Grundsatz, gefährdet durch den entgegen- gesetzten.
Drittens ist der entgegengesetzte Grundsatz schon deshalb verwerflich, weil eine consequente Durchführung desselben ganz unmöglich ist, so daß er nur zufällig und inconsequen- terweise (also schon deshalb ungerecht), auf einzelne Arten von Rechtsgeschäften einwirken würde, während alle anderen davon frei bleiben müßten. Wollte man jenen entgegen-
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
durch den oben aufgeſtellten Grundſatz der nichtrückwirken- den Kraft, der Erhaltung erworbener Rechte, bezeichnet werden. Die Wahrheit dieſer Behauptung aber geht aus folgenden Betrachtungen hervor.
Erſtlich iſt höchſt wichtig und wünſchenswerth das unerſchütterliche Vertrauen in die Herrſchaft der beſtehenden Geſetze. Damit iſt nicht gemeint das Vertrauen in ihre ſtete Fortdauer, da vielmehr nach Umſtänden die Erwartung und der Wunſch eines beſſernden Fortſchrittes wohl begründet und heilſam ſeyn kann. Wohl aber iſt gemeint das Ver- trauen, daß ihre Herrſchaft und Wirkſamkeit, ſo lange ſie beſtehen, unanfechtbar ſeyn werde. Es ſoll alſo Jeder darauf ſicher rechnen dürfen, daß die Rechtsgeſchäfte, die er zum Erwerb von Rechten nach den beſtehenden Geſetzen eingerichtet hat, auch in Zukunft wirkſam bleiben werden.
Zweitens iſt gleichfalls wichtig und wünſchenswerth die Erhaltung des jederzeit beſtehenden Rechts- und Vermögens- Beſtandes. Dieſe Erhaltung aber wird, ſo weit die Geſetz- gebung darauf einwirken kann, befördert durch den oben aufgeſtellten Grundſatz, gefährdet durch den entgegen- geſetzten.
Drittens iſt der entgegengeſetzte Grundſatz ſchon deshalb verwerflich, weil eine conſequente Durchführung deſſelben ganz unmöglich iſt, ſo daß er nur zufällig und inconſequen- terweiſe (alſo ſchon deshalb ungerecht), auf einzelne Arten von Rechtsgeſchäften einwirken würde, während alle anderen davon frei bleiben müßten. Wollte man jenen entgegen-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0412"n="390"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">III.</hi> Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. <hirendition="#aq">II.</hi> Zeitliche Gränzen.</fw><lb/>
durch den oben aufgeſtellten Grundſatz der nichtrückwirken-<lb/>
den Kraft, der Erhaltung erworbener Rechte, bezeichnet<lb/>
werden. Die Wahrheit dieſer Behauptung aber geht aus<lb/>
folgenden Betrachtungen hervor.</p><lb/><p>Erſtlich iſt höchſt wichtig und wünſchenswerth das<lb/>
unerſchütterliche Vertrauen in die Herrſchaft der beſtehenden<lb/>
Geſetze. Damit iſt nicht gemeint das Vertrauen in ihre<lb/>ſtete Fortdauer, da vielmehr nach Umſtänden die Erwartung<lb/>
und der Wunſch eines beſſernden Fortſchrittes wohl begründet<lb/>
und heilſam ſeyn kann. Wohl aber iſt gemeint das Ver-<lb/>
trauen, daß ihre Herrſchaft und Wirkſamkeit, ſo lange ſie<lb/>
beſtehen, unanfechtbar ſeyn werde. Es ſoll alſo Jeder<lb/>
darauf ſicher rechnen dürfen, daß die Rechtsgeſchäfte, die<lb/>
er zum Erwerb von Rechten nach den beſtehenden Geſetzen<lb/>
eingerichtet hat, auch in Zukunft wirkſam bleiben werden.</p><lb/><p>Zweitens iſt gleichfalls wichtig und wünſchenswerth die<lb/>
Erhaltung des jederzeit beſtehenden Rechts- und Vermögens-<lb/>
Beſtandes. Dieſe Erhaltung aber wird, ſo weit die Geſetz-<lb/>
gebung darauf einwirken kann, befördert durch den oben<lb/>
aufgeſtellten Grundſatz, gefährdet durch den entgegen-<lb/>
geſetzten.</p><lb/><p>Drittens iſt der entgegengeſetzte Grundſatz ſchon deshalb<lb/>
verwerflich, weil eine conſequente Durchführung deſſelben<lb/>
ganz unmöglich iſt, ſo daß er nur zufällig und inconſequen-<lb/>
terweiſe (alſo ſchon deshalb ungerecht), auf einzelne Arten<lb/>
von Rechtsgeſchäften einwirken würde, während alle anderen<lb/>
davon frei bleiben müßten. Wollte man jenen entgegen-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[390/0412]
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
durch den oben aufgeſtellten Grundſatz der nichtrückwirken-
den Kraft, der Erhaltung erworbener Rechte, bezeichnet
werden. Die Wahrheit dieſer Behauptung aber geht aus
folgenden Betrachtungen hervor.
Erſtlich iſt höchſt wichtig und wünſchenswerth das
unerſchütterliche Vertrauen in die Herrſchaft der beſtehenden
Geſetze. Damit iſt nicht gemeint das Vertrauen in ihre
ſtete Fortdauer, da vielmehr nach Umſtänden die Erwartung
und der Wunſch eines beſſernden Fortſchrittes wohl begründet
und heilſam ſeyn kann. Wohl aber iſt gemeint das Ver-
trauen, daß ihre Herrſchaft und Wirkſamkeit, ſo lange ſie
beſtehen, unanfechtbar ſeyn werde. Es ſoll alſo Jeder
darauf ſicher rechnen dürfen, daß die Rechtsgeſchäfte, die
er zum Erwerb von Rechten nach den beſtehenden Geſetzen
eingerichtet hat, auch in Zukunft wirkſam bleiben werden.
Zweitens iſt gleichfalls wichtig und wünſchenswerth die
Erhaltung des jederzeit beſtehenden Rechts- und Vermögens-
Beſtandes. Dieſe Erhaltung aber wird, ſo weit die Geſetz-
gebung darauf einwirken kann, befördert durch den oben
aufgeſtellten Grundſatz, gefährdet durch den entgegen-
geſetzten.
Drittens iſt der entgegengeſetzte Grundſatz ſchon deshalb
verwerflich, weil eine conſequente Durchführung deſſelben
ganz unmöglich iſt, ſo daß er nur zufällig und inconſequen-
terweiſe (alſo ſchon deshalb ungerecht), auf einzelne Arten
von Rechtsgeſchäften einwirken würde, während alle anderen
davon frei bleiben müßten. Wollte man jenen entgegen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/412>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.