Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
nicht geltenden Wechselrecht. An einem solchen Orte näm- lich kann nur keine Wechselklage mit Erfolg angestellt wer- den, selbst aus einem an sich vollgültigen Wechsel; dagegen hat das Recht eines solches Ortes auf die Gültigkeit der an demselben ausgestellten Wechsel keinen Einfluß, so daß diese an anderen, mit Wechselrecht versehenen Orten aller- dings wechselmäßig eingeklagt werden können (§ 364).
B. Eine andere Rechtsfrage betrifft die Auslegung der Rechtsgeschäfte, insbesondere der Verträge, aus welchen Obligationen entstehen (a).
Man kann diese Frage mit mehreren Schriftstellern in einem so weiten Sinne auffassen, daß sie alle andere Fra- gen über das örtliche Recht in sich aufnimmt, indem die Anwendung irgend einer örtlichen Rechtsregel auf einen Vertrag stets so verstanden werden kann, daß sie nach dem wahrscheinlichen Willen der Parteien zu dem Vertrag hinzu gedacht werden müsse. Das läßt sich als ergänzende Aus- legung bezeichnen, so wie sie überhaupt den vermittelnden Rechtsregeln zum Grunde liegt (b). Allein so allgemein aufgefaßt, verliert die Frage nach der Auslegung alle eigen- thümliche Bedeutung. Soll ihr diese erhalten werden, so müssen wir sie in einem engeren Sinne auffassen, indem wir sie auf die Zweifel beziehen, die aus der ungewissen
(a) Schriftsteller über diese Frage: Boullenois T. 2 obs. 46 dixieme regle. p. 489--538. Story § 272 fg. 280 fg. Wäch- ter Archiv für civil. Praxis B. 19 S. 114 bis 125.
(b) S. o. B. 1 § 16.
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
nicht geltenden Wechſelrecht. An einem ſolchen Orte näm- lich kann nur keine Wechſelklage mit Erfolg angeſtellt wer- den, ſelbſt aus einem an ſich vollgültigen Wechſel; dagegen hat das Recht eines ſolches Ortes auf die Gültigkeit der an demſelben ausgeſtellten Wechſel keinen Einfluß, ſo daß dieſe an anderen, mit Wechſelrecht verſehenen Orten aller- dings wechſelmäßig eingeklagt werden können (§ 364).
B. Eine andere Rechtsfrage betrifft die Auslegung der Rechtsgeſchäfte, insbeſondere der Verträge, aus welchen Obligationen entſtehen (a).
Man kann dieſe Frage mit mehreren Schriftſtellern in einem ſo weiten Sinne auffaſſen, daß ſie alle andere Fra- gen über das örtliche Recht in ſich aufnimmt, indem die Anwendung irgend einer örtlichen Rechtsregel auf einen Vertrag ſtets ſo verſtanden werden kann, daß ſie nach dem wahrſcheinlichen Willen der Parteien zu dem Vertrag hinzu gedacht werden müſſe. Das läßt ſich als ergänzende Aus- legung bezeichnen, ſo wie ſie überhaupt den vermittelnden Rechtsregeln zum Grunde liegt (b). Allein ſo allgemein aufgefaßt, verliert die Frage nach der Auslegung alle eigen- thümliche Bedeutung. Soll ihr dieſe erhalten werden, ſo müſſen wir ſie in einem engeren Sinne auffaſſen, indem wir ſie auf die Zweifel beziehen, die aus der ungewiſſen
(a) Schriftſteller über dieſe Frage: Boullenois T. 2 obs. 46 dixième règle. p. 489—538. Story § 272 fg. 280 fg. Wäch- ter Archiv für civil. Praxis B. 19 S. 114 bis 125.
(b) S. o. B. 1 § 16.
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
nicht geltenden Wechſelrecht. An einem ſolchen Orte näm-
lich kann nur keine Wechſelklage mit Erfolg angeſtellt wer-
den, ſelbſt aus einem an ſich vollgültigen Wechſel; dagegen
hat das Recht eines ſolches Ortes auf die Gültigkeit der
an demſelben ausgeſtellten Wechſel keinen Einfluß, ſo daß
dieſe an anderen, mit Wechſelrecht verſehenen Orten aller-
dings wechſelmäßig eingeklagt werden können (§ 364).
B. Eine andere Rechtsfrage betrifft die Auslegung
der Rechtsgeſchäfte, insbeſondere der Verträge, aus welchen
Obligationen entſtehen (a).
Man kann dieſe Frage mit mehreren Schriftſtellern in
einem ſo weiten Sinne auffaſſen, daß ſie alle andere Fra-
gen über das örtliche Recht in ſich aufnimmt, indem die
Anwendung irgend einer örtlichen Rechtsregel auf einen
Vertrag ſtets ſo verſtanden werden kann, daß ſie nach dem
wahrſcheinlichen Willen der Parteien zu dem Vertrag hinzu
gedacht werden müſſe. Das läßt ſich als ergänzende Aus-
legung bezeichnen, ſo wie ſie überhaupt den vermittelnden
Rechtsregeln zum Grunde liegt (b). Allein ſo allgemein
aufgefaßt, verliert die Frage nach der Auslegung alle eigen-
thümliche Bedeutung. Soll ihr dieſe erhalten werden, ſo
müſſen wir ſie in einem engeren Sinne auffaſſen, indem
wir ſie auf die Zweifel beziehen, die aus der ungewiſſen
(a) Schriftſteller über dieſe
Frage: Boullenois T. 2 obs. 46
dixième règle. p. 489—538.
Story § 272 fg. 280 fg. Wäch-
ter Archiv für civil. Praxis B. 19
S. 114 bis 125.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/286>, abgerufen am 17.02.2025.
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