Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung. veranlaßte Eid die Kraft einer Entscheidung des Streiteshaben soll. Der Sinn dieses Rechtsinstituts beruht auf der Voraussetzung, daß eine Partei in die sittlich-religiöse Gesinnung der Gegenpartei das Vertrauen setzt, diese werde nicht schwören, wenn sie nicht von ihrem Rechte, also von der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt sey. Der Eid wird also meist zugeschoben, nicht damit der Gegner ihn leiste, sondern in der Erwartung und mit dem Wunsche, daß er ihn nicht leisten, vielmehr durch die Scheu vor dem Meineide zum freiwilligen Nachgeben sich bewegen lassen werde. Dieser Hergang nun läßt sich denken innerhalb der 1. Ehe noch ein Rechtsstreit angefangen hat (außer- gerichtlicher Eid). 2. In einem Rechtsstreit, und zwar vor dem Prätor (in jure). 3. In einem Rechtsstreit, und zwar vor dem Juder (in judicio). In der Hauptsache, nämlich in der, aus dem Eide her- Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu- Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. veranlaßte Eid die Kraft einer Entſcheidung des Streiteshaben ſoll. Der Sinn dieſes Rechtsinſtituts beruht auf der Vorausſetzung, daß eine Partei in die ſittlich-religiöſe Geſinnung der Gegenpartei das Vertrauen ſetzt, dieſe werde nicht ſchwören, wenn ſie nicht von ihrem Rechte, alſo von der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt ſey. Der Eid wird alſo meiſt zugeſchoben, nicht damit der Gegner ihn leiſte, ſondern in der Erwartung und mit dem Wunſche, daß er ihn nicht leiſten, vielmehr durch die Scheu vor dem Meineide zum freiwilligen Nachgeben ſich bewegen laſſen werde. Dieſer Hergang nun läßt ſich denken innerhalb der 1. Ehe noch ein Rechtsſtreit angefangen hat (außer- gerichtlicher Eid). 2. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Prätor (in jure). 3. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Juder (in judicio). In der Hauptſache, nämlich in der, aus dem Eide her- Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0076" n="54"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/> veranlaßte Eid die Kraft einer Entſcheidung des Streites<lb/> haben ſoll. Der Sinn dieſes Rechtsinſtituts beruht auf<lb/> der Vorausſetzung, daß eine Partei in die ſittlich-religiöſe<lb/> Geſinnung der Gegenpartei das Vertrauen ſetzt, dieſe werde<lb/> nicht ſchwören, wenn ſie nicht von ihrem Rechte, alſo von<lb/> der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt ſey. Der Eid<lb/> wird alſo meiſt zugeſchoben, nicht damit der Gegner ihn<lb/> leiſte, ſondern in der Erwartung und mit dem Wunſche,<lb/> daß er ihn nicht leiſten, vielmehr durch die Scheu vor dem<lb/> Meineide zum freiwilligen Nachgeben ſich bewegen laſſen<lb/> werde.</p><lb/> <p>Dieſer Hergang nun läßt ſich denken innerhalb der<lb/> folgenden drei verſchiedenen Zuſtände.</p><lb/> <list> <item>1. Ehe noch ein Rechtsſtreit angefangen hat (außer-<lb/> gerichtlicher Eid).</item><lb/> <item>2. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Prätor<lb/> (<hi rendition="#aq">in jure</hi>).</item><lb/> <item>3. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Juder<lb/> (<hi rendition="#aq">in judicio</hi>).</item> </list><lb/> <p>In der Hauptſache, nämlich in der, aus dem Eide her-<lb/> vorgehenden, formellen Wahrheit, ſtehen dieſe drei Fälle nach<lb/> Römiſchem Recht einander gleich. Beide letzte Fälle aber<lb/> haben noch folgende Eigenthümlichkeiten.</p><lb/> <p>Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu-<lb/> ſchiebung für den Gegner eine gewiſſe Nothwendigkeit, ein<lb/> Zwang, herbeigeführt, wovon im erſten Fall nicht die<lb/> Rede iſt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0076]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
veranlaßte Eid die Kraft einer Entſcheidung des Streites
haben ſoll. Der Sinn dieſes Rechtsinſtituts beruht auf
der Vorausſetzung, daß eine Partei in die ſittlich-religiöſe
Geſinnung der Gegenpartei das Vertrauen ſetzt, dieſe werde
nicht ſchwören, wenn ſie nicht von ihrem Rechte, alſo von
der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt ſey. Der Eid
wird alſo meiſt zugeſchoben, nicht damit der Gegner ihn
leiſte, ſondern in der Erwartung und mit dem Wunſche,
daß er ihn nicht leiſten, vielmehr durch die Scheu vor dem
Meineide zum freiwilligen Nachgeben ſich bewegen laſſen
werde.
Dieſer Hergang nun läßt ſich denken innerhalb der
folgenden drei verſchiedenen Zuſtände.
1. Ehe noch ein Rechtsſtreit angefangen hat (außer-
gerichtlicher Eid).
2. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Prätor
(in jure).
3. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Juder
(in judicio).
In der Hauptſache, nämlich in der, aus dem Eide her-
vorgehenden, formellen Wahrheit, ſtehen dieſe drei Fälle nach
Römiſchem Recht einander gleich. Beide letzte Fälle aber
haben noch folgende Eigenthümlichkeiten.
Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu-
ſchiebung für den Gegner eine gewiſſe Nothwendigkeit, ein
Zwang, herbeigeführt, wovon im erſten Fall nicht die
Rede iſt.
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