Prozesses liegt Richts, das einer vollständigen Anwendung jener Regeln hinderlich seyn könnte
Dagegen sind allerdings einige Stücke des Römischen Rechts in dieser Lehre, jedoch gerade die unbedeutendsten, so beschaffen, daß davon im heutigen Recht keine An- wendung gemacht werden kann. Ueber diese Unanwendbar- keit ist auch unsere Praxis niemals im Zweifel gewesen. Ich will sie hier in einzelnen Sätzen zusammenstellen.
1. Von einem Unterschied zwischen confessio in jure und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede seyn; schon im Römischen Recht war kein praktischer Unterschied, und die Unterscheidung in Formen und Ausdrücken hatte eine blos geschichtliche Bedeutung. Es ist also ganz gleich- gültig, ob ein gerichtliches Geständniß veranlaßt wird durch eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß- leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenstand des Rechts- streites felbst.
2. Die Strafen, welche das Römische Recht bei den In- terrogationen auf die wissentliche Unwahrheit und auf die verweigerte Antwort androht (§ 305), sind unserm heutigen Prozeß gewiß fremd.
3. Eben so ist demselben völlig fremd die unbedingte, jeder Restitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht- liche Geständniß ausnahmsweise mit sich führen soll bei der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem legatum damnationis (§ 307). Diese mußte verschwinden
§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.
Prozeſſes liegt Richts, das einer vollſtändigen Anwendung jener Regeln hinderlich ſeyn könnte
Dagegen ſind allerdings einige Stücke des Römiſchen Rechts in dieſer Lehre, jedoch gerade die unbedeutendſten, ſo beſchaffen, daß davon im heutigen Recht keine An- wendung gemacht werden kann. Ueber dieſe Unanwendbar- keit iſt auch unſere Praxis niemals im Zweifel geweſen. Ich will ſie hier in einzelnen Sätzen zuſammenſtellen.
1. Von einem Unterſchied zwiſchen confessio in jure und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede ſeyn; ſchon im Römiſchen Recht war kein praktiſcher Unterſchied, und die Unterſcheidung in Formen und Ausdrücken hatte eine blos geſchichtliche Bedeutung. Es iſt alſo ganz gleich- gültig, ob ein gerichtliches Geſtändniß veranlaßt wird durch eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß- leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenſtand des Rechts- ſtreites felbſt.
2. Die Strafen, welche das Römiſche Recht bei den In- terrogationen auf die wiſſentliche Unwahrheit und auf die verweigerte Antwort androht (§ 305), ſind unſerm heutigen Prozeß gewiß fremd.
3. Eben ſo iſt demſelben völlig fremd die unbedingte, jeder Reſtitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht- liche Geſtändniß ausnahmsweiſe mit ſich führen ſoll bei der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem legatum damnationis (§ 307). Dieſe mußte verſchwinden
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0065"n="43"/><fwplace="top"type="header">§. 308. Surrogate. <hirendition="#aq">I.</hi> Geſtändniß. Heutiges Recht.</fw><lb/>
Prozeſſes liegt Richts, das einer vollſtändigen Anwendung<lb/>
jener Regeln hinderlich ſeyn könnte</p><lb/><p>Dagegen ſind allerdings einige Stücke des Römiſchen<lb/>
Rechts in dieſer Lehre, jedoch gerade die unbedeutendſten,<lb/>ſo beſchaffen, daß davon im heutigen Recht keine An-<lb/>
wendung gemacht werden kann. Ueber dieſe Unanwendbar-<lb/>
keit iſt auch unſere Praxis niemals im Zweifel geweſen.<lb/>
Ich will ſie hier in einzelnen Sätzen zuſammenſtellen.</p><lb/><p>1. Von einem Unterſchied zwiſchen <hirendition="#aq">confessio in jure</hi><lb/>
und <hirendition="#aq">interrogatio in jure</hi> kann nicht mehr die Rede ſeyn;<lb/>ſchon im Römiſchen Recht war kein praktiſcher Unterſchied,<lb/>
und die Unterſcheidung in Formen und Ausdrücken hatte<lb/>
eine blos geſchichtliche Bedeutung. Es iſt alſo ganz gleich-<lb/>
gültig, ob ein gerichtliches Geſtändniß veranlaßt wird durch<lb/>
eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß-<lb/>
leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße<lb/>
Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenſtand des Rechts-<lb/>ſtreites felbſt.</p><lb/><p>2. Die Strafen, welche das Römiſche Recht bei den In-<lb/>
terrogationen auf die wiſſentliche Unwahrheit und auf die<lb/>
verweigerte Antwort androht (§ 305), ſind unſerm heutigen<lb/>
Prozeß gewiß fremd.</p><lb/><p>3. Eben ſo iſt demſelben völlig fremd die unbedingte,<lb/>
jeder Reſtitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht-<lb/>
liche Geſtändniß ausnahmsweiſe mit ſich führen ſoll bei<lb/>
der <hirendition="#aq">actio legis Aquiliae</hi> und bei der Klage aus einem<lb/><hirendition="#aq">legatum damnationis</hi> (§ 307). Dieſe mußte verſchwinden<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[43/0065]
§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.
Prozeſſes liegt Richts, das einer vollſtändigen Anwendung
jener Regeln hinderlich ſeyn könnte
Dagegen ſind allerdings einige Stücke des Römiſchen
Rechts in dieſer Lehre, jedoch gerade die unbedeutendſten,
ſo beſchaffen, daß davon im heutigen Recht keine An-
wendung gemacht werden kann. Ueber dieſe Unanwendbar-
keit iſt auch unſere Praxis niemals im Zweifel geweſen.
Ich will ſie hier in einzelnen Sätzen zuſammenſtellen.
1. Von einem Unterſchied zwiſchen confessio in jure
und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede ſeyn;
ſchon im Römiſchen Recht war kein praktiſcher Unterſchied,
und die Unterſcheidung in Formen und Ausdrücken hatte
eine blos geſchichtliche Bedeutung. Es iſt alſo ganz gleich-
gültig, ob ein gerichtliches Geſtändniß veranlaßt wird durch
eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß-
leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße
Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenſtand des Rechts-
ſtreites felbſt.
2. Die Strafen, welche das Römiſche Recht bei den In-
terrogationen auf die wiſſentliche Unwahrheit und auf die
verweigerte Antwort androht (§ 305), ſind unſerm heutigen
Prozeß gewiß fremd.
3. Eben ſo iſt demſelben völlig fremd die unbedingte,
jeder Reſtitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht-
liche Geſtändniß ausnahmsweiſe mit ſich führen ſoll bei
der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem
legatum damnationis (§ 307). Dieſe mußte verſchwinden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system07_1848/65>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.