Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848.§. 306. Surrogate. I. Geständniß. Widerruf. werden, welche sich auf beide Institute, als verschiedeneZweige des gerichtlichen Geständnisses, gemeinschaftlich be- zieht. Dies ist die Frage, ob es dem Geständigen erlaubt ist, das Geständniß durch Widerruf zu entkräften, wenn er es unternimmt, das Eingestandene als unwahr darzu- thun, also einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweisen. Diese Frage ist bei unsern Schriftstellern in hohem Grade bestritten, welches seinen Grund in den scheinbar sehr wider- sprechenden Aussprüchen der Römischen Juristen hat. Um in dieser Untersuchung einen festen Boden zu ge- Zwischen diesen äußersten Ansichten liegt die Wahrheit §. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. werden, welche ſich auf beide Inſtitute, als verſchiedeneZweige des gerichtlichen Geſtändniſſes, gemeinſchaftlich be- zieht. Dies iſt die Frage, ob es dem Geſtändigen erlaubt iſt, das Geſtändniß durch Widerruf zu entkräften, wenn er es unternimmt, das Eingeſtandene als unwahr darzu- thun, alſo einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweiſen. Dieſe Frage iſt bei unſern Schriftſtellern in hohem Grade beſtritten, welches ſeinen Grund in den ſcheinbar ſehr wider- ſprechenden Ausſprüchen der Römiſchen Juriſten hat. Um in dieſer Unterſuchung einen feſten Boden zu ge- Zwiſchen dieſen äußerſten Anſichten liegt die Wahrheit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0051" n="29"/><fw place="top" type="header">§. 306. Surrogate. <hi rendition="#aq">I.</hi> Geſtändniß. Widerruf.</fw><lb/> werden, welche ſich auf beide Inſtitute, als verſchiedene<lb/> Zweige des gerichtlichen Geſtändniſſes, gemeinſchaftlich be-<lb/> zieht. Dies iſt die Frage, ob es dem Geſtändigen erlaubt<lb/> iſt, das Geſtändniß durch Widerruf zu entkräften, wenn<lb/> er es unternimmt, das Eingeſtandene als unwahr darzu-<lb/> thun, alſo einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweiſen.<lb/> Dieſe Frage iſt bei unſern Schriftſtellern in hohem Grade<lb/> beſtritten, welches ſeinen Grund in den ſcheinbar ſehr wider-<lb/> ſprechenden Ausſprüchen der Römiſchen Juriſten hat.</p><lb/> <p>Um in dieſer Unterſuchung einen feſten Boden zu ge-<lb/> winnen, iſt es nöthig, auf allgemeine, leitende Grundſätze<lb/> zurück zu gehen. Hier begegnen wir aber zwei äußerſten,<lb/> völlig entgegen geſetzten Anſichten. Nach der einen iſt das<lb/> gerichtliche Geſtändniß ein reines Beweismittel, ähnlich dem<lb/> außergerichtlichen (nur vielleicht dem Grade nach ſtärker),<lb/> ſo wie dem Zeugenbeweiſe. Nach dieſer Anſicht iſt es<lb/> folgerecht, einen einfachen Gegenbeweis als Entkräftung<lb/> zuzulaſſen. — Nach der zweiten Anſicht bildet jenes Ge-<lb/> ſtändniß förmliches Recht, ähnlich dem rechtskräftigen Ur-<lb/> theil. Von dieſem Standpunkt aus ſcheint jede Anfechtung,<lb/> jeder Widerruf verneint werden zu müſſen, auch wenn der<lb/> Geſtändige die Unwahrheit des Geſtändniſſes zu beweiſen<lb/> unternehmen wollte.</p><lb/> <p>Zwiſchen dieſen äußerſten Anſichten liegt die Wahrheit<lb/> in der Mitte. Allerdings bildet das gerichtliche Geſtändniß<lb/> förmliches Recht, mit bindender Kraft für den Geſtändigen,<lb/> und iſt nicht ein bloßes Beweismittel, das heißt, ein Mittel<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0051]
§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.
werden, welche ſich auf beide Inſtitute, als verſchiedene
Zweige des gerichtlichen Geſtändniſſes, gemeinſchaftlich be-
zieht. Dies iſt die Frage, ob es dem Geſtändigen erlaubt
iſt, das Geſtändniß durch Widerruf zu entkräften, wenn
er es unternimmt, das Eingeſtandene als unwahr darzu-
thun, alſo einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweiſen.
Dieſe Frage iſt bei unſern Schriftſtellern in hohem Grade
beſtritten, welches ſeinen Grund in den ſcheinbar ſehr wider-
ſprechenden Ausſprüchen der Römiſchen Juriſten hat.
Um in dieſer Unterſuchung einen feſten Boden zu ge-
winnen, iſt es nöthig, auf allgemeine, leitende Grundſätze
zurück zu gehen. Hier begegnen wir aber zwei äußerſten,
völlig entgegen geſetzten Anſichten. Nach der einen iſt das
gerichtliche Geſtändniß ein reines Beweismittel, ähnlich dem
außergerichtlichen (nur vielleicht dem Grade nach ſtärker),
ſo wie dem Zeugenbeweiſe. Nach dieſer Anſicht iſt es
folgerecht, einen einfachen Gegenbeweis als Entkräftung
zuzulaſſen. — Nach der zweiten Anſicht bildet jenes Ge-
ſtändniß förmliches Recht, ähnlich dem rechtskräftigen Ur-
theil. Von dieſem Standpunkt aus ſcheint jede Anfechtung,
jeder Widerruf verneint werden zu müſſen, auch wenn der
Geſtändige die Unwahrheit des Geſtändniſſes zu beweiſen
unternehmen wollte.
Zwiſchen dieſen äußerſten Anſichten liegt die Wahrheit
in der Mitte. Allerdings bildet das gerichtliche Geſtändniß
förmliches Recht, mit bindender Kraft für den Geſtändigen,
und iſt nicht ein bloßes Beweismittel, das heißt, ein Mittel
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