Wollte man etwa eine Widerlegung dieser Auslegung des Gesetzes aus dem Umstande hernehmen, daß in der Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach dieser Auslegung des § 36 geschehen müßte, fo könnte ich diese Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin von dem Gesetz abgewichen ist, ja ob sie vielleicht durch Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieser Abweichung bestimmt seyn mag, ist für unsere Frage völlig gleichgültig. Es kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Gesetzes selbst an, und aus diesem von mir festgestellten Sinn folgt, daß unser Prozeßgesetz die Rechtskraft der objectiven Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat diese Rechtskraft sogar dadurch zu sichern gesucht, daß es solche Stücke, die in der That die objectiven Gründe in sich schließen, in die Urtheilsformel selbst aufzunehmen vorge- schrieben hat.
Ich will nun in chronologischer Ordnung zusammen- stellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge- setze erwachsenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen
Präjudicialpunkte vgl. Beth- mann-Hollweg Versuche S. 123 bis 137, und A. G. O. I. 5 § 29. -- Ich habe geglaubt, diese Frage etwas ausführlich behandeln zu müssen, weil neuerlich eine will- kührlich einschränkende Erklärung des § 36 versucht worden ist. Waldeck im neuen Archiv für Preußisches Recht, Jahrg. 7 (1841) S. 469 -- 471. Er selbst giebt aber zu, daß die legitimatio ad causam zu den Präjudicial- punkten gehört (worüber der § 36 einen Ausspruch verlangt), und wenn diese ein Gegenstand des Urtheils, also rechtskräftig wird, so ist eigentlich schon die ganze Rechtskraft der Gründe im Prin- zip anerkannt.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wollte man etwa eine Widerlegung dieſer Auslegung des Geſetzes aus dem Umſtande hernehmen, daß in der Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach dieſer Auslegung des § 36 geſchehen müßte, fo könnte ich dieſe Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin von dem Geſetz abgewichen iſt, ja ob ſie vielleicht durch Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieſer Abweichung beſtimmt ſeyn mag, iſt für unſere Frage völlig gleichgültig. Es kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Geſetzes ſelbſt an, und aus dieſem von mir feſtgeſtellten Sinn folgt, daß unſer Prozeßgeſetz die Rechtskraft der objectiven Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat dieſe Rechtskraft ſogar dadurch zu ſichern geſucht, daß es ſolche Stücke, die in der That die objectiven Gründe in ſich ſchließen, in die Urtheilsformel ſelbſt aufzunehmen vorge- ſchrieben hat.
Ich will nun in chronologiſcher Ordnung zuſammen- ſtellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge- ſetze erwachſenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen
Präjudicialpunkte vgl. Beth- mann-Hollweg Verſuche S. 123 bis 137, und A. G. O. I. 5 § 29. — Ich habe geglaubt, dieſe Frage etwas ausführlich behandeln zu müſſen, weil neuerlich eine will- kührlich einſchränkende Erklärung des § 36 verſucht worden iſt. Waldeck im neuen Archiv für Preußiſches Recht, Jahrg. 7 (1841) S. 469 — 471. Er ſelbſt giebt aber zu, daß die legitimatio ad causam zu den Präjudicial- punkten gehört (worüber der § 36 einen Ausſpruch verlangt), und wenn dieſe ein Gegenſtand des Urtheils, alſo rechtskräftig wird, ſo iſt eigentlich ſchon die ganze Rechtskraft der Gründe im Prin- zip anerkannt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0418"n="400"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hirendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/><p>Wollte man etwa eine Widerlegung dieſer Auslegung<lb/>
des Geſetzes aus dem Umſtande hernehmen, daß in der<lb/>
Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach<lb/>
dieſer Auslegung des § 36 geſchehen müßte, fo könnte ich<lb/>
dieſe Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin<lb/>
von dem Geſetz abgewichen iſt, ja ob ſie vielleicht durch<lb/>
Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieſer Abweichung beſtimmt<lb/>ſeyn mag, iſt für unſere Frage völlig gleichgültig. Es<lb/>
kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Geſetzes<lb/>ſelbſt an, und aus dieſem von mir feſtgeſtellten Sinn folgt,<lb/>
daß unſer Prozeßgeſetz die Rechtskraft der objectiven<lb/>
Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat dieſe<lb/>
Rechtskraft ſogar dadurch zu ſichern geſucht, daß es ſolche<lb/>
Stücke, die in der That die objectiven Gründe in ſich<lb/>ſchließen, in die Urtheilsformel ſelbſt aufzunehmen vorge-<lb/>ſchrieben hat.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Ich will nun in chronologiſcher Ordnung zuſammen-<lb/>ſtellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge-<lb/>ſetze erwachſenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen<lb/><notexml:id="seg2pn_48_2"prev="#seg2pn_48_1"place="foot"n="(i)"><hirendition="#g">Präjudicialpunkte</hi> vgl. <hirendition="#g">Beth-<lb/>
mann-Hollweg</hi> Verſuche S. 123<lb/>
bis 137, und A. G. O. <hirendition="#aq">I.</hi> 5 § 29. —<lb/>
Ich habe geglaubt, dieſe Frage<lb/>
etwas ausführlich behandeln zu<lb/>
müſſen, weil neuerlich eine will-<lb/>
kührlich einſchränkende Erklärung<lb/>
des § 36 verſucht worden iſt.<lb/><hirendition="#g">Waldeck</hi> im neuen Archiv für<lb/>
Preußiſches Recht, Jahrg. 7 (1841)<lb/>
S. 469 — 471. Er ſelbſt giebt<lb/>
aber zu, daß die <hirendition="#aq">legitimatio<lb/>
ad causam</hi> zu den Präjudicial-<lb/>
punkten gehört (worüber der § 36<lb/>
einen <hirendition="#g">Ausſpruch</hi> verlangt), und<lb/>
wenn dieſe ein Gegenſtand des<lb/>
Urtheils, alſo rechtskräftig wird,<lb/>ſo iſt eigentlich ſchon die ganze<lb/>
Rechtskraft der Gründe im Prin-<lb/>
zip anerkannt.</note><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[400/0418]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wollte man etwa eine Widerlegung dieſer Auslegung
des Geſetzes aus dem Umſtande hernehmen, daß in der
Praxis die Urtheile anders abgefaßt werden, als es nach
dieſer Auslegung des § 36 geſchehen müßte, fo könnte ich
dieſe Widerlegung nicht anerkennen. Ob die Praxis hierin
von dem Geſetz abgewichen iſt, ja ob ſie vielleicht durch
Gründe der Zweckmäßigkeit zu dieſer Abweichung beſtimmt
ſeyn mag, iſt für unſere Frage völlig gleichgültig. Es
kommt dabei lediglich auf den wahren Sinn des Geſetzes
ſelbſt an, und aus dieſem von mir feſtgeſtellten Sinn folgt,
daß unſer Prozeßgeſetz die Rechtskraft der objectiven
Gründe deutlich gedacht und gewollt hat. Es hat dieſe
Rechtskraft ſogar dadurch zu ſichern geſucht, daß es ſolche
Stücke, die in der That die objectiven Gründe in ſich
ſchließen, in die Urtheilsformel ſelbſt aufzunehmen vorge-
ſchrieben hat.
Ich will nun in chronologiſcher Ordnung zuſammen-
ſtellen, welche Äußerungen der, auf dem Boden jener Ge-
ſetze erwachſenen Praxis zur öffentlichen Kunde gekommen
(i)
(i) Präjudicialpunkte vgl. Beth-
mann-Hollweg Verſuche S. 123
bis 137, und A. G. O. I. 5 § 29. —
Ich habe geglaubt, dieſe Frage
etwas ausführlich behandeln zu
müſſen, weil neuerlich eine will-
kührlich einſchränkende Erklärung
des § 36 verſucht worden iſt.
Waldeck im neuen Archiv für
Preußiſches Recht, Jahrg. 7 (1841)
S. 469 — 471. Er ſelbſt giebt
aber zu, daß die legitimatio
ad causam zu den Präjudicial-
punkten gehört (worüber der § 36
einen Ausſpruch verlangt), und
wenn dieſe ein Gegenſtand des
Urtheils, alſo rechtskräftig wird,
ſo iſt eigentlich ſchon die ganze
Rechtskraft der Gründe im Prin-
zip anerkannt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/418>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.