Urtheils anzusehen, die eben so rechtskräftig werden, wie der ausgesprochene Theil desselben.
II. In jedem Urtheil ist stillschweigend hinzuzudenken eine gewisse Zeitbestimmung. Die Anerkennung, oder Ver- neinung eines Rechts in der Person des Klägers soll als Wahrheit gelten, und wird rechtskräftig nur für den Zeitpunkt, in welchem das Urtheil gesprochen wird.
Der Richter spricht also Etwas aus nur in Beziehung auf den gegenwärtigen Zeitpunkt; er läßt nothwendig un- berührt alle in die Zukunft fallenden Veränderungen, und die Rechtskraft des Urtheils bleibt ohne Einwirkung auf jeden Rechtsstreit, welcher auf der Behauptung von That- sachen beruht, die erst nach dem Urtheil eingetreten seyn sollen.
Dieser Satz, der in seinen einzelnen Anwendungen nie- mals bezweifelt worden ist (k), findet gerade hier seine wahre Begründung. Er beruht nämlich darauf, daß die eben erwähnte Zeitbestimmung als stillschweigender Zusatz in das Urtheil hinein zu denken ist. Daraus folgt, daß eine künftige, auf spätere Thatsachen gegründete Klage mit dem früheren Urtheil gar nicht im Widerspruch steht (l).
(k) Er kommt vor bei der causa superveniens, s. u. § 300.
(l) Die angegebene Regel ist hier abgeleitet worden aus dem richtig verstandenen Inhalt des Urtheils, also aus der Natur der Einrede der Rechtskraft in ihrer positiven Function. Dieselbe Regel wurde auch anerkannt, nur aus anderen Gründen, bei der Einrede in ihrer älteren Gestalt (der nega- tiven Function). Hier beruhte sie
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Urtheils anzuſehen, die eben ſo rechtskräftig werden, wie der ausgeſprochene Theil deſſelben.
II. In jedem Urtheil iſt ſtillſchweigend hinzuzudenken eine gewiſſe Zeitbeſtimmung. Die Anerkennung, oder Ver- neinung eines Rechts in der Perſon des Klägers ſoll als Wahrheit gelten, und wird rechtskräftig nur für den Zeitpunkt, in welchem das Urtheil geſprochen wird.
Der Richter ſpricht alſo Etwas aus nur in Beziehung auf den gegenwärtigen Zeitpunkt; er läßt nothwendig un- berührt alle in die Zukunft fallenden Veränderungen, und die Rechtskraft des Urtheils bleibt ohne Einwirkung auf jeden Rechtsſtreit, welcher auf der Behauptung von That- ſachen beruht, die erſt nach dem Urtheil eingetreten ſeyn ſollen.
Dieſer Satz, der in ſeinen einzelnen Anwendungen nie- mals bezweifelt worden iſt (k), findet gerade hier ſeine wahre Begründung. Er beruht nämlich darauf, daß die eben erwähnte Zeitbeſtimmung als ſtillſchweigender Zuſatz in das Urtheil hinein zu denken iſt. Daraus folgt, daß eine künftige, auf ſpätere Thatſachen gegründete Klage mit dem früheren Urtheil gar nicht im Widerſpruch ſteht (l).
(k) Er kommt vor bei der causa superveniens, ſ. u. § 300.
(l) Die angegebene Regel iſt hier abgeleitet worden aus dem richtig verſtandenen Inhalt des Urtheils, alſo aus der Natur der Einrede der Rechtskraft in ihrer poſitiven Function. Dieſelbe Regel wurde auch anerkannt, nur aus anderen Gründen, bei der Einrede in ihrer älteren Geſtalt (der nega- tiven Function). Hier beruhte ſie
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Urtheils anzuſehen, die eben ſo rechtskräftig werden, wie
der ausgeſprochene Theil deſſelben.
II. In jedem Urtheil iſt ſtillſchweigend hinzuzudenken
eine gewiſſe Zeitbeſtimmung. Die Anerkennung, oder Ver-
neinung eines Rechts in der Perſon des Klägers ſoll als
Wahrheit gelten, und wird rechtskräftig nur für den
Zeitpunkt, in welchem das Urtheil geſprochen
wird.
Der Richter ſpricht alſo Etwas aus nur in Beziehung
auf den gegenwärtigen Zeitpunkt; er läßt nothwendig un-
berührt alle in die Zukunft fallenden Veränderungen, und
die Rechtskraft des Urtheils bleibt ohne Einwirkung auf
jeden Rechtsſtreit, welcher auf der Behauptung von That-
ſachen beruht, die erſt nach dem Urtheil eingetreten ſeyn
ſollen.
Dieſer Satz, der in ſeinen einzelnen Anwendungen nie-
mals bezweifelt worden iſt (k), findet gerade hier ſeine
wahre Begründung. Er beruht nämlich darauf, daß die
eben erwähnte Zeitbeſtimmung als ſtillſchweigender Zuſatz
in das Urtheil hinein zu denken iſt. Daraus folgt, daß
eine künftige, auf ſpätere Thatſachen gegründete Klage mit
dem früheren Urtheil gar nicht im Widerſpruch ſteht (l).
(k) Er kommt vor bei der causa
superveniens, ſ. u. § 300.
(l) Die angegebene Regel iſt
hier abgeleitet worden aus dem
richtig verſtandenen Inhalt des
Urtheils, alſo aus der Natur der
Einrede der Rechtskraft in ihrer
poſitiven Function. Dieſelbe Regel
wurde auch anerkannt, nur aus
anderen Gründen, bei der Einrede
in ihrer älteren Geſtalt (der nega-
tiven Function). Hier beruhte ſie
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/396>, abgerufen am 04.07.2024.
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