kraft vollständig zu übersehen; die abgesonderten Urtheils- gründe würden dann nur dazu dienen, das Urtheil zu erläutern, und die Ueberzeugung des Richters auch in Anderen zu erwecken. Da aber diese Einrichtung bei ver- wickelten Sachen in aller Strenge kaum durchzuführen seyn möchte, so läßt sie sich nur annäherungsweise als wünschenswerthes Ziel aufstellen.
Dagegen ist es unter allen Umständen sowohl möglich, als räthlich, in den besonders abgefaßten Urtheilsgründen alle diejenigen Stücke, welche die Natur von objectiven Gründen haben, und daher nach der Absicht des Richters rechtskräftig werden sollen, als solche bestimmt anzugeben, damit über diesen Punkt kein Zweifel entstehen könne.
Zur Bestätigung der hier aufgestellten Behauptungen wird es dienen, wenn wir uns klar zu machen suchen, aus welchen Quellen die Römer in jedem Rechtsstreit den Umfang der Rechtskraft festzustellen suchten, da bei ihnen die äußeren Formen des Verfahrens mit den unsrigen durchaus keine Aehnlichkeit hatten, und doch derselbe Zweck, wie von uns, erreicht werden mußte.
Über die spätere Zeit des Römischen Rechts fehlt es uns hierin gänzlich an Nachrichten; für die Zeit des For- mularprozesses aber glaube ich darüber ziemlich sichere Auskunft geben zu können.
Im Formularprozeß wurde der Umfang der Rechtskraft, d. h. der objectiven Gründe, die als Bestandtheile des
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
kraft vollſtändig zu überſehen; die abgeſonderten Urtheils- gründe würden dann nur dazu dienen, das Urtheil zu erläutern, und die Ueberzeugung des Richters auch in Anderen zu erwecken. Da aber dieſe Einrichtung bei ver- wickelten Sachen in aller Strenge kaum durchzuführen ſeyn möchte, ſo läßt ſie ſich nur annäherungsweiſe als wünſchenswerthes Ziel aufſtellen.
Dagegen iſt es unter allen Umſtänden ſowohl möglich, als räthlich, in den beſonders abgefaßten Urtheilsgründen alle diejenigen Stücke, welche die Natur von objectiven Gründen haben, und daher nach der Abſicht des Richters rechtskräftig werden ſollen, als ſolche beſtimmt anzugeben, damit über dieſen Punkt kein Zweifel entſtehen könne.
Zur Beſtätigung der hier aufgeſtellten Behauptungen wird es dienen, wenn wir uns klar zu machen ſuchen, aus welchen Quellen die Römer in jedem Rechtsſtreit den Umfang der Rechtskraft feſtzuſtellen ſuchten, da bei ihnen die äußeren Formen des Verfahrens mit den unſrigen durchaus keine Aehnlichkeit hatten, und doch derſelbe Zweck, wie von uns, erreicht werden mußte.
Über die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts fehlt es uns hierin gänzlich an Nachrichten; für die Zeit des For- mularprozeſſes aber glaube ich darüber ziemlich ſichere Auskunft geben zu können.
Im Formularprozeß wurde der Umfang der Rechtskraft, d. h. der objectiven Gründe, die als Beſtandtheile des
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
kraft vollſtändig zu überſehen; die abgeſonderten Urtheils-
gründe würden dann nur dazu dienen, das Urtheil zu
erläutern, und die Ueberzeugung des Richters auch in
Anderen zu erwecken. Da aber dieſe Einrichtung bei ver-
wickelten Sachen in aller Strenge kaum durchzuführen
ſeyn möchte, ſo läßt ſie ſich nur annäherungsweiſe als
wünſchenswerthes Ziel aufſtellen.
Dagegen iſt es unter allen Umſtänden ſowohl möglich,
als räthlich, in den beſonders abgefaßten Urtheilsgründen
alle diejenigen Stücke, welche die Natur von objectiven
Gründen haben, und daher nach der Abſicht des Richters
rechtskräftig werden ſollen, als ſolche beſtimmt anzugeben,
damit über dieſen Punkt kein Zweifel entſtehen könne.
Zur Beſtätigung der hier aufgeſtellten Behauptungen
wird es dienen, wenn wir uns klar zu machen ſuchen,
aus welchen Quellen die Römer in jedem Rechtsſtreit den
Umfang der Rechtskraft feſtzuſtellen ſuchten, da bei ihnen
die äußeren Formen des Verfahrens mit den unſrigen
durchaus keine Aehnlichkeit hatten, und doch derſelbe Zweck,
wie von uns, erreicht werden mußte.
Über die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts fehlt es
uns hierin gänzlich an Nachrichten; für die Zeit des For-
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Im Formularprozeß wurde der Umfang der Rechtskraft,
d. h. der objectiven Gründe, die als Beſtandtheile des
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/392>, abgerufen am 24.11.2024.
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