Hauptstücke zurückführen: Sammlung des Stoffes, und Bildung des Urtheils. In erster Instanz nimmt jenes erste Stück vorzugsweise Zeit und Arbeit in Anspruch, und dazu gebrauchte der Prätor eine große Zahl von Privatrich- tern als Gehülfen, denen er das Urtheil hypothetisch vor- schrieb. Die höheren Instanzen dagegen benutzen den in erster Instanz gesammelten Stoff, und was in ihnen zu dessen Ergänzung vielleicht geschehen muß, ist verhältniß- mäßig von geringer Bedeutung. Darum war hier der Judex entbehrlich.
Es ist hier als bloße Thatsache angenommen worden, daß ein höchstes Richteramt des Kaisers, vom Anfang der neuen Verfassung an, ausgeübt wurde, und daß sich hieran die vollständige Einrichtung eines Instanzenzuges anknüpfte. Bekanntlich gehört es aber zu der eigenthüm- lichen Natur der ganzen Staatsveränderung, daß man den äußeren Schein einer ganz neuen Gewalt überall zu ver- meiden, und die wirkliche neue Macht auf alte, bekannte obrigkeitliche Würden zu gründen suchte, die nur, im Widerspruch mit dem Wesen der alten Verfassung, in Einer Person vereinigt wurden. Zur Zeit der Republik nun hatten die höchste richterliche Gewalt in Civilsachen zwei Prätoren, und unter den obrigkeitlichen Gewalten,
Hauptſtücke zurückführen: Sammlung des Stoffes, und Bildung des Urtheils. In erſter Inſtanz nimmt jenes erſte Stück vorzugsweiſe Zeit und Arbeit in Anſpruch, und dazu gebrauchte der Prätor eine große Zahl von Privatrich- tern als Gehülfen, denen er das Urtheil hypothetiſch vor- ſchrieb. Die höheren Inſtanzen dagegen benutzen den in erſter Inſtanz geſammelten Stoff, und was in ihnen zu deſſen Ergänzung vielleicht geſchehen muß, iſt verhältniß- mäßig von geringer Bedeutung. Darum war hier der Judex entbehrlich.
Es iſt hier als bloße Thatſache angenommen worden, daß ein höchſtes Richteramt des Kaiſers, vom Anfang der neuen Verfaſſung an, ausgeübt wurde, und daß ſich hieran die vollſtändige Einrichtung eines Inſtanzenzuges anknüpfte. Bekanntlich gehört es aber zu der eigenthüm- lichen Natur der ganzen Staatsveränderung, daß man den äußeren Schein einer ganz neuen Gewalt überall zu ver- meiden, und die wirkliche neue Macht auf alte, bekannte obrigkeitliche Würden zu gründen ſuchte, die nur, im Widerſpruch mit dem Weſen der alten Verfaſſung, in Einer Perſon vereinigt wurden. Zur Zeit der Republik nun hatten die höchſte richterliche Gewalt in Civilſachen zwei Prätoren, und unter den obrigkeitlichen Gewalten,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0313"n="295"/><fwplace="top"type="header">§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)</fw><lb/>
Hauptſtücke zurückführen: Sammlung des Stoffes, und<lb/>
Bildung des Urtheils. In erſter Inſtanz nimmt jenes erſte<lb/>
Stück vorzugsweiſe Zeit und Arbeit in Anſpruch, und dazu<lb/>
gebrauchte der Prätor eine große Zahl von Privatrich-<lb/>
tern als Gehülfen, denen er das Urtheil hypothetiſch vor-<lb/>ſchrieb. Die höheren Inſtanzen dagegen benutzen den in<lb/>
erſter Inſtanz geſammelten Stoff, und was in ihnen zu<lb/>
deſſen Ergänzung vielleicht geſchehen muß, iſt verhältniß-<lb/>
mäßig von geringer Bedeutung. Darum war hier der<lb/>
Judex entbehrlich.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 285.<lb/><hirendition="#g">Rechtskraft</hi>. <hirendition="#aq">I.</hi><hirendition="#g">Bedingungen</hi>. <hirendition="#aq">A.</hi><hirendition="#g">Formelle.<lb/>
(Fortſetzung.)</hi></head><lb/><p>Es iſt hier als bloße Thatſache angenommen worden,<lb/>
daß ein höchſtes Richteramt des Kaiſers, vom Anfang der<lb/>
neuen Verfaſſung an, ausgeübt wurde, und daß ſich<lb/>
hieran die vollſtändige Einrichtung eines Inſtanzenzuges<lb/>
anknüpfte. Bekanntlich gehört es aber zu der eigenthüm-<lb/>
lichen Natur der ganzen Staatsveränderung, daß man den<lb/>
äußeren Schein einer ganz neuen Gewalt überall zu ver-<lb/>
meiden, und die wirkliche neue Macht auf alte, bekannte<lb/>
obrigkeitliche Würden zu gründen ſuchte, die nur, im<lb/>
Widerſpruch mit dem Weſen der alten Verfaſſung, in<lb/>
Einer Perſon vereinigt wurden. Zur Zeit der Republik<lb/>
nun hatten die höchſte richterliche Gewalt in Civilſachen<lb/>
zwei Prätoren, und unter den obrigkeitlichen Gewalten,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[295/0313]
§. 285. Rechtskraft. Formelle Bedingungen. (Fortſ.)
Hauptſtücke zurückführen: Sammlung des Stoffes, und
Bildung des Urtheils. In erſter Inſtanz nimmt jenes erſte
Stück vorzugsweiſe Zeit und Arbeit in Anſpruch, und dazu
gebrauchte der Prätor eine große Zahl von Privatrich-
tern als Gehülfen, denen er das Urtheil hypothetiſch vor-
ſchrieb. Die höheren Inſtanzen dagegen benutzen den in
erſter Inſtanz geſammelten Stoff, und was in ihnen zu
deſſen Ergänzung vielleicht geſchehen muß, iſt verhältniß-
mäßig von geringer Bedeutung. Darum war hier der
Judex entbehrlich.
§. 285.
Rechtskraft. I. Bedingungen. A. Formelle.
(Fortſetzung.)
Es iſt hier als bloße Thatſache angenommen worden,
daß ein höchſtes Richteramt des Kaiſers, vom Anfang der
neuen Verfaſſung an, ausgeübt wurde, und daß ſich
hieran die vollſtändige Einrichtung eines Inſtanzenzuges
anknüpfte. Bekanntlich gehört es aber zu der eigenthüm-
lichen Natur der ganzen Staatsveränderung, daß man den
äußeren Schein einer ganz neuen Gewalt überall zu ver-
meiden, und die wirkliche neue Macht auf alte, bekannte
obrigkeitliche Würden zu gründen ſuchte, die nur, im
Widerſpruch mit dem Weſen der alten Verfaſſung, in
Einer Perſon vereinigt wurden. Zur Zeit der Republik
nun hatten die höchſte richterliche Gewalt in Civilſachen
zwei Prätoren, und unter den obrigkeitlichen Gewalten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/313>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.