den engen Fesseln des Formularprozesses und der darauf beruhenden Consumtion der Klagen befreien können, und auch noch im Justinianischen Recht soll dieser unfreie Geist herrschen. Erst die Erleuchtung der neueren Praxis, be- haupten sie, habe jene Fesseln abgeworfen, jetzt herrsche die reine aequitas, und Alles sey nun in solcher Ordnung, wie man es nur wünschen könne.
Bei dieser Auffassung sind zwei Dinge schwer zu be- greifen. Erstens, daß die späteren Kaiser, unter deren Rathgebern mitunter sehr verständige Leute waren, gar nicht gemerkt haben sollten, daß mit der Aufhebung des ordo judiciorum, d. h. des Formularprozesses, jeder Grund zu jener beklagenswerthen Knechtschaft völlig aufgehört hatte. Zweitens, daß die Juristen neuerer Zeit, deren Lehre und Praxis zuerst die Fesseln des R. R. nach jener An- sicht bewältigt hat, dieses gleichfalls nicht gemerkt haben sollten; denn es ist augenscheinlich, daß diese neueren Ju- risten ihre Lehre nicht etwa im Widerstreit mit dem R. R. durchzuführen suchten, sondern ohne alle Ausnahme gerade aus den Quellen des R. R. ableiteten. Man müßte also annehmen, daß sie einsichtiger waren, als sie selbst ahneten, und daß es erst der neuesten Zeit vorbehalten war, sie hierüber zu belehren. -- Übrigens ist auch diese irrige Auffassung mehr geschichtlicher, als praktischer Natur, indem für das heutige Recht die Lehre, die in der That schon im R. R. enthalten ist, anerkannt wird. Sie ist aber gefähr- licher, als die vorher erwähnte, indem sie die richtige Be-
§. 283. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)
den engen Feſſeln des Formularprozeſſes und der darauf beruhenden Conſumtion der Klagen befreien können, und auch noch im Juſtinianiſchen Recht ſoll dieſer unfreie Geiſt herrſchen. Erſt die Erleuchtung der neueren Praxis, be- haupten ſie, habe jene Feſſeln abgeworfen, jetzt herrſche die reine aequitas, und Alles ſey nun in ſolcher Ordnung, wie man es nur wünſchen könne.
Bei dieſer Auffaſſung ſind zwei Dinge ſchwer zu be- greifen. Erſtens, daß die ſpäteren Kaiſer, unter deren Rathgebern mitunter ſehr verſtändige Leute waren, gar nicht gemerkt haben ſollten, daß mit der Aufhebung des ordo judiciorum, d. h. des Formularprozeſſes, jeder Grund zu jener beklagenswerthen Knechtſchaft völlig aufgehört hatte. Zweitens, daß die Juriſten neuerer Zeit, deren Lehre und Praxis zuerſt die Feſſeln des R. R. nach jener An- ſicht bewältigt hat, dieſes gleichfalls nicht gemerkt haben ſollten; denn es iſt augenſcheinlich, daß dieſe neueren Ju- riſten ihre Lehre nicht etwa im Widerſtreit mit dem R. R. durchzuführen ſuchten, ſondern ohne alle Ausnahme gerade aus den Quellen des R. R. ableiteten. Man müßte alſo annehmen, daß ſie einſichtiger waren, als ſie ſelbſt ahneten, und daß es erſt der neueſten Zeit vorbehalten war, ſie hierüber zu belehren. — Übrigens iſt auch dieſe irrige Auffaſſung mehr geſchichtlicher, als praktiſcher Natur, indem für das heutige Recht die Lehre, die in der That ſchon im R. R. enthalten iſt, anerkannt wird. Sie iſt aber gefähr- licher, als die vorher erwähnte, indem ſie die richtige Be-
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§. 283. Rechtskraft. Geſchichte. (Fortſetzung.)
den engen Feſſeln des Formularprozeſſes und der darauf
beruhenden Conſumtion der Klagen befreien können, und
auch noch im Juſtinianiſchen Recht ſoll dieſer unfreie Geiſt
herrſchen. Erſt die Erleuchtung der neueren Praxis, be-
haupten ſie, habe jene Feſſeln abgeworfen, jetzt herrſche die
reine aequitas, und Alles ſey nun in ſolcher Ordnung,
wie man es nur wünſchen könne.
Bei dieſer Auffaſſung ſind zwei Dinge ſchwer zu be-
greifen. Erſtens, daß die ſpäteren Kaiſer, unter deren
Rathgebern mitunter ſehr verſtändige Leute waren, gar
nicht gemerkt haben ſollten, daß mit der Aufhebung des
ordo judiciorum, d. h. des Formularprozeſſes, jeder Grund
zu jener beklagenswerthen Knechtſchaft völlig aufgehört
hatte. Zweitens, daß die Juriſten neuerer Zeit, deren Lehre
und Praxis zuerſt die Feſſeln des R. R. nach jener An-
ſicht bewältigt hat, dieſes gleichfalls nicht gemerkt haben
ſollten; denn es iſt augenſcheinlich, daß dieſe neueren Ju-
riſten ihre Lehre nicht etwa im Widerſtreit mit dem R. R.
durchzuführen ſuchten, ſondern ohne alle Ausnahme gerade
aus den Quellen des R. R. ableiteten. Man müßte alſo
annehmen, daß ſie einſichtiger waren, als ſie ſelbſt ahneten,
und daß es erſt der neueſten Zeit vorbehalten war, ſie
hierüber zu belehren. — Übrigens iſt auch dieſe irrige
Auffaſſung mehr geſchichtlicher, als praktiſcher Natur, indem
für das heutige Recht die Lehre, die in der That ſchon im
R. R. enthalten iſt, anerkannt wird. Sie iſt aber gefähr-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/301>, abgerufen am 25.11.2024.
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