Ich bin weit entfernt, die Einwürfe zu verkennen, die sich gegen diese Erklärung erheben lassen, und die ich nun- mehr einzeln prüfen will.
1. Man kann sagen, Ulpian würde sich durch die Wahl dieses Ausdrucks einer gefährlichen Zweideutigkeit schuldig gemacht haben, indem er den Gegensatz gegen das rei judicatae tempus durch ein Wort bezeichnet hätte, welches eben so leicht gerade von dieser Zeit, die er ausschließen wollte, verstanden werden konnte.
Dieser Einwurf würde Gewicht haben, wenn noth- wendig angenommen werden müßte, daß dem Schrift- steller gerade dieser Gegensatz vorgeschwebt habe. Allein bei der Stipulation, wie sie hier vorauszusetzen ist, lag ein anderer Gegensatz sogar viel näher: dieses ist die Zeit des geschlossenen Contracts, an welche man bei der buchstäblich bindenden Natur der Stipulation sehr leicht denken konnte. Die vorherrschende Rücksicht auf diesen Gegensatz erscheint noch durch folgende Betrachtung beson- ders natürlich und wahrscheinlich. Zwischen dem Contract und der L. C. konnte eine lange Zeit in der Mitte liegen, und in dieser konnten viele Veränderungen mit dem Gegen- stand vorgegangen seyn. Dagegen ist dem Zeitraum zwischen der L. C. und dem Urtheil, bei einer so ein- fachen Sache wie die Stipulationsklage auf einen Sclaven, im Römischen Prozeß nur eine geringe Dauer zuzuschreiben,
emti an, wohin sie gar nicht ge- hört, und die durch dieses irrige Verfahren einen ganz falschen Sinn erhält.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ich bin weit entfernt, die Einwürfe zu verkennen, die ſich gegen dieſe Erklärung erheben laſſen, und die ich nun- mehr einzeln prüfen will.
1. Man kann ſagen, Ulpian würde ſich durch die Wahl dieſes Ausdrucks einer gefährlichen Zweideutigkeit ſchuldig gemacht haben, indem er den Gegenſatz gegen das rei judicatae tempus durch ein Wort bezeichnet hätte, welches eben ſo leicht gerade von dieſer Zeit, die er ausſchließen wollte, verſtanden werden konnte.
Dieſer Einwurf würde Gewicht haben, wenn noth- wendig angenommen werden müßte, daß dem Schrift- ſteller gerade dieſer Gegenſatz vorgeſchwebt habe. Allein bei der Stipulation, wie ſie hier vorauszuſetzen iſt, lag ein anderer Gegenſatz ſogar viel näher: dieſes iſt die Zeit des geſchloſſenen Contracts, an welche man bei der buchſtäblich bindenden Natur der Stipulation ſehr leicht denken konnte. Die vorherrſchende Rückſicht auf dieſen Gegenſatz erſcheint noch durch folgende Betrachtung beſon- ders natürlich und wahrſcheinlich. Zwiſchen dem Contract und der L. C. konnte eine lange Zeit in der Mitte liegen, und in dieſer konnten viele Veränderungen mit dem Gegen- ſtand vorgegangen ſeyn. Dagegen iſt dem Zeitraum zwiſchen der L. C. und dem Urtheil, bei einer ſo ein- fachen Sache wie die Stipulationsklage auf einen Sclaven, im Römiſchen Prozeß nur eine geringe Dauer zuzuſchreiben,
emti an, wohin ſie gar nicht ge- hört, und die durch dieſes irrige Verfahren einen ganz falſchen Sinn erhält.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0240"n="222"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hirendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/><p>Ich bin weit entfernt, die Einwürfe zu verkennen, die<lb/>ſich gegen dieſe Erklärung erheben laſſen, und die ich nun-<lb/>
mehr einzeln prüfen will.</p><lb/><p>1. Man kann ſagen, <hirendition="#g">Ulpian</hi> würde ſich durch die Wahl<lb/>
dieſes Ausdrucks einer gefährlichen Zweideutigkeit ſchuldig<lb/>
gemacht haben, indem er den Gegenſatz gegen das <hirendition="#aq">rei judicatae<lb/>
tempus</hi> durch ein Wort bezeichnet hätte, welches eben ſo<lb/>
leicht gerade von dieſer Zeit, die er ausſchließen wollte,<lb/>
verſtanden werden konnte.</p><lb/><p>Dieſer Einwurf würde Gewicht haben, wenn noth-<lb/>
wendig angenommen werden müßte, daß dem Schrift-<lb/>ſteller gerade dieſer Gegenſatz vorgeſchwebt habe. Allein<lb/>
bei der Stipulation, wie ſie hier vorauszuſetzen iſt, lag<lb/>
ein anderer Gegenſatz ſogar viel näher: dieſes iſt die Zeit<lb/><hirendition="#g">des geſchloſſenen Contracts</hi>, an welche man bei der<lb/>
buchſtäblich bindenden Natur der Stipulation ſehr leicht<lb/>
denken konnte. Die vorherrſchende Rückſicht auf <hirendition="#g">dieſen</hi><lb/>
Gegenſatz erſcheint noch durch folgende Betrachtung beſon-<lb/>
ders natürlich und wahrſcheinlich. Zwiſchen dem Contract<lb/>
und der L. C. konnte eine lange Zeit in der Mitte liegen,<lb/>
und in dieſer konnten viele Veränderungen mit dem Gegen-<lb/>ſtand vorgegangen ſeyn. Dagegen iſt dem Zeitraum<lb/>
zwiſchen der L. C. und dem Urtheil, bei einer ſo ein-<lb/>
fachen Sache wie die Stipulationsklage auf einen Sclaven,<lb/>
im Römiſchen Prozeß nur eine geringe Dauer zuzuſchreiben,<lb/><notexml:id="seg2pn_34_2"prev="#seg2pn_34_1"place="foot"n="(m)"><hirendition="#i"><hirendition="#aq">emti</hi></hi> an, wohin ſie gar nicht ge-<lb/>
hört, und die durch dieſes irrige<lb/>
Verfahren einen ganz falſchen<lb/>
Sinn erhält.</note><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[222/0240]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ich bin weit entfernt, die Einwürfe zu verkennen, die
ſich gegen dieſe Erklärung erheben laſſen, und die ich nun-
mehr einzeln prüfen will.
1. Man kann ſagen, Ulpian würde ſich durch die Wahl
dieſes Ausdrucks einer gefährlichen Zweideutigkeit ſchuldig
gemacht haben, indem er den Gegenſatz gegen das rei judicatae
tempus durch ein Wort bezeichnet hätte, welches eben ſo
leicht gerade von dieſer Zeit, die er ausſchließen wollte,
verſtanden werden konnte.
Dieſer Einwurf würde Gewicht haben, wenn noth-
wendig angenommen werden müßte, daß dem Schrift-
ſteller gerade dieſer Gegenſatz vorgeſchwebt habe. Allein
bei der Stipulation, wie ſie hier vorauszuſetzen iſt, lag
ein anderer Gegenſatz ſogar viel näher: dieſes iſt die Zeit
des geſchloſſenen Contracts, an welche man bei der
buchſtäblich bindenden Natur der Stipulation ſehr leicht
denken konnte. Die vorherrſchende Rückſicht auf dieſen
Gegenſatz erſcheint noch durch folgende Betrachtung beſon-
ders natürlich und wahrſcheinlich. Zwiſchen dem Contract
und der L. C. konnte eine lange Zeit in der Mitte liegen,
und in dieſer konnten viele Veränderungen mit dem Gegen-
ſtand vorgegangen ſeyn. Dagegen iſt dem Zeitraum
zwiſchen der L. C. und dem Urtheil, bei einer ſo ein-
fachen Sache wie die Stipulationsklage auf einen Sclaven,
im Römiſchen Prozeß nur eine geringe Dauer zuzuſchreiben,
(m)
(m) emti an, wohin ſie gar nicht ge-
hört, und die durch dieſes irrige
Verfahren einen ganz falſchen
Sinn erhält.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/240>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.