Surrogat, welches man bei allen extraordinären Prozessen aufzusuchen hatte, wurde in diesem Fall durch den Senats- schluß selbst in den Zeitpunkt gesetzt, in welchem entweder eine denunciatio, oder eine evocatio litteris vel edicto ein- getreten war; dieses war eine ganz positive Bestimmung, die aus der allgemeinen Natur der extraordinären Klagen keines- weges folgte (§ 257), und die einen fiscalischen Character hat.
Die beiden eben angeführten Umstände, woraus sich die Bestimmung eines besonderen Zeitpunktes, abweichend von der L. C., befriedigend erklärt, sind schon dem Justiniani- schen Recht völlig fremd, und es kann daher in der That aus diesen Stellen nicht bewiesen werden, daß im Sinn des Justinianischen Rechts ein anderer Zeitpunkt als der der L. C. für irgend eine Wirkung anzunehmen sey.
Auch wenn man die hier versuchte Lösung mit ihren Folgen nicht annehmen wollte, so kann doch auf keine Weise die Art gebilligt werden, wie die meisten neueren Schriftsteller die hier untersuchten Stellen des Ulpian zu behandeln pflegen. Man betrachtet nämlich meist den wört- lichen Inhalt dieser Stellen als die entscheidende, für alle Klagen überhaupt anwendbare, Regel des neuesten Rechts, und ignorirt daneben die sehr zahlreichen übrigen Stellen, die damit geradezu im Widerspruch stehen, indem sie noch immer die L. C. als den entscheidenden Zeitpunkt für die im Rechtsstreit eintretenden Wirkungen anerkennen. Dieses Verfahren aber muß als willkürlich und unkritisch schlecht- hin verworfen werden. Man kann sich auch nicht mit der
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Surrogat, welches man bei allen extraordinären Prozeſſen aufzuſuchen hatte, wurde in dieſem Fall durch den Senats- ſchluß ſelbſt in den Zeitpunkt geſetzt, in welchem entweder eine denunciatio, oder eine evocatio litteris vel edicto ein- getreten war; dieſes war eine ganz poſitive Beſtimmung, die aus der allgemeinen Natur der extraordinären Klagen keines- weges folgte (§ 257), und die einen fiscaliſchen Character hat.
Die beiden eben angeführten Umſtände, woraus ſich die Beſtimmung eines beſonderen Zeitpunktes, abweichend von der L. C., befriedigend erklärt, ſind ſchon dem Juſtiniani- ſchen Recht völlig fremd, und es kann daher in der That aus dieſen Stellen nicht bewieſen werden, daß im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts ein anderer Zeitpunkt als der der L. C. für irgend eine Wirkung anzunehmen ſey.
Auch wenn man die hier verſuchte Löſung mit ihren Folgen nicht annehmen wollte, ſo kann doch auf keine Weiſe die Art gebilligt werden, wie die meiſten neueren Schriftſteller die hier unterſuchten Stellen des Ulpian zu behandeln pflegen. Man betrachtet nämlich meiſt den wört- lichen Inhalt dieſer Stellen als die entſcheidende, für alle Klagen überhaupt anwendbare, Regel des neueſten Rechts, und ignorirt daneben die ſehr zahlreichen übrigen Stellen, die damit geradezu im Widerſpruch ſtehen, indem ſie noch immer die L. C. als den entſcheidenden Zeitpunkt für die im Rechtsſtreit eintretenden Wirkungen anerkennen. Dieſes Verfahren aber muß als willkürlich und unkritiſch ſchlecht- hin verworfen werden. Man kann ſich auch nicht mit der
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Surrogat, welches man bei allen extraordinären Prozeſſen
aufzuſuchen hatte, wurde in dieſem Fall durch den Senats-
ſchluß ſelbſt in den Zeitpunkt geſetzt, in welchem entweder
eine denunciatio, oder eine evocatio litteris vel edicto ein-
getreten war; dieſes war eine ganz poſitive Beſtimmung, die
aus der allgemeinen Natur der extraordinären Klagen keines-
weges folgte (§ 257), und die einen fiscaliſchen Character hat.
Die beiden eben angeführten Umſtände, woraus ſich die
Beſtimmung eines beſonderen Zeitpunktes, abweichend von
der L. C., befriedigend erklärt, ſind ſchon dem Juſtiniani-
ſchen Recht völlig fremd, und es kann daher in der That
aus dieſen Stellen nicht bewieſen werden, daß im Sinn
des Juſtinianiſchen Rechts ein anderer Zeitpunkt als der
der L. C. für irgend eine Wirkung anzunehmen ſey.
Auch wenn man die hier verſuchte Löſung mit ihren
Folgen nicht annehmen wollte, ſo kann doch auf keine
Weiſe die Art gebilligt werden, wie die meiſten neueren
Schriftſteller die hier unterſuchten Stellen des Ulpian zu
behandeln pflegen. Man betrachtet nämlich meiſt den wört-
lichen Inhalt dieſer Stellen als die entſcheidende, für alle
Klagen überhaupt anwendbare, Regel des neueſten Rechts,
und ignorirt daneben die ſehr zahlreichen übrigen Stellen,
die damit geradezu im Widerſpruch ſtehen, indem ſie noch
immer die L. C. als den entſcheidenden Zeitpunkt für die
im Rechtsſtreit eintretenden Wirkungen anerkennen. Dieſes
Verfahren aber muß als willkürlich und unkritiſch ſchlecht-
hin verworfen werden. Man kann ſich auch nicht mit der
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/112>, abgerufen am 28.11.2024.
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