den zu unterdrücken, endlich aus Mittheilungen, die er darüber von anderen Personen empfangen haben kann.
Es ist nicht leicht, sich aus dieser Confusion der Be- griffe heraus zu finden. Zuerst giebt Rave die von ihm aus- führlich vertheidigte Lehre von der zu allen Klagverjäh- rungen nöthigen bona fides in der That auf, indem er der eigenhändigen Schuldurkunde die Wirksamkeit versagt; denn aus dem Daseyn dieser Urkunde folgt unwidersprech- lich, daß der Schuldner, wenigstens Anfangs, das Bewußt- seyn der Schuld gehabt hat, und darin eben liegt für Fälle dieser Art die mala fides, so wie sie alle Andere verstehen. Wie er hinterher die mala fides wieder ein- zuschwärzen sucht, wird sogleich gezeigt werden. -- Ferner verwandelt er die Präsumtion der Tilgung, die blos ein legislatives Motiv ist, und selbst als solches nur eine ein- geschränkte Wahrheit hat (§ 237), in die praktische Natur der Verjährung selbst, wodurch die Art und der Umfang ihrer Wirkung bestimmt werden soll, welches ein völlig grundloses Verfahren ist. Wollte er aber diese Auffassung consequent durchführen, so mußte er die Bedingung der bona fides ganz fallen lassen, und den zugelassenen Ge- genbeweis lediglich auf die wirkliche Fortdauer der Schuld, das heißt auf ihre Nichttilgung richten, wo- durch allerdings die Präsumtion entkräftet seyn würde. Freylich würde für diese negative Thatsache kaum ein an- derer Beweis versucht werden können, als die Eidesdela- tion, und deren Anwendung würde hier mannichfaltige
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
den zu unterdrücken, endlich aus Mittheilungen, die er darüber von anderen Perſonen empfangen haben kann.
Es iſt nicht leicht, ſich aus dieſer Confuſion der Be- griffe heraus zu finden. Zuerſt giebt Rave die von ihm aus- führlich vertheidigte Lehre von der zu allen Klagverjäh- rungen nöthigen bona fides in der That auf, indem er der eigenhändigen Schuldurkunde die Wirkſamkeit verſagt; denn aus dem Daſeyn dieſer Urkunde folgt unwiderſprech- lich, daß der Schuldner, wenigſtens Anfangs, das Bewußt- ſeyn der Schuld gehabt hat, und darin eben liegt für Fälle dieſer Art die mala fides, ſo wie ſie alle Andere verſtehen. Wie er hinterher die mala fides wieder ein- zuſchwärzen ſucht, wird ſogleich gezeigt werden. — Ferner verwandelt er die Präſumtion der Tilgung, die blos ein legislatives Motiv iſt, und ſelbſt als ſolches nur eine ein- geſchränkte Wahrheit hat (§ 237), in die praktiſche Natur der Verjährung ſelbſt, wodurch die Art und der Umfang ihrer Wirkung beſtimmt werden ſoll, welches ein völlig grundloſes Verfahren iſt. Wollte er aber dieſe Auffaſſung conſequent durchführen, ſo mußte er die Bedingung der bona fides ganz fallen laſſen, und den zugelaſſenen Ge- genbeweis lediglich auf die wirkliche Fortdauer der Schuld, das heißt auf ihre Nichttilgung richten, wo- durch allerdings die Präſumtion entkräftet ſeyn würde. Freylich würde für dieſe negative Thatſache kaum ein an- derer Beweis verſucht werden können, als die Eidesdela- tion, und deren Anwendung würde hier mannichfaltige
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
den zu unterdrücken, endlich aus Mittheilungen, die er
darüber von anderen Perſonen empfangen haben kann.
Es iſt nicht leicht, ſich aus dieſer Confuſion der Be-
griffe heraus zu finden. Zuerſt giebt Rave die von ihm aus-
führlich vertheidigte Lehre von der zu allen Klagverjäh-
rungen nöthigen bona fides in der That auf, indem er
der eigenhändigen Schuldurkunde die Wirkſamkeit verſagt;
denn aus dem Daſeyn dieſer Urkunde folgt unwiderſprech-
lich, daß der Schuldner, wenigſtens Anfangs, das Bewußt-
ſeyn der Schuld gehabt hat, und darin eben liegt für
Fälle dieſer Art die mala fides, ſo wie ſie alle Andere
verſtehen. Wie er hinterher die mala fides wieder ein-
zuſchwärzen ſucht, wird ſogleich gezeigt werden. — Ferner
verwandelt er die Präſumtion der Tilgung, die blos ein
legislatives Motiv iſt, und ſelbſt als ſolches nur eine ein-
geſchränkte Wahrheit hat (§ 237), in die praktiſche Natur
der Verjährung ſelbſt, wodurch die Art und der Umfang
ihrer Wirkung beſtimmt werden ſoll, welches ein völlig
grundloſes Verfahren iſt. Wollte er aber dieſe Auffaſſung
conſequent durchführen, ſo mußte er die Bedingung der
bona fides ganz fallen laſſen, und den zugelaſſenen Ge-
genbeweis lediglich auf die wirkliche Fortdauer der
Schuld, das heißt auf ihre Nichttilgung richten, wo-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/358>, abgerufen am 23.12.2024.
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