Klagverjährung. Der Römische Ausdruck: temporis oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht diese Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre- tenden Verlust, sondern das dem Beklagten erworbene Recht, jeden ferneren Versuch der Ausübung dieser Klage durch Exception auszuschließen. Der Begriff ist hier ab- sichtlich auf hypothetische Weise aufgestellt worden, und mit dieser Auffassung wäre es gleich vereinbar, daß ihm gar keine, oder eine seltene, eine häufige, vielleicht selbst eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeschrieben würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt, wird durch die nachfolgende geschichtliche Untersuchung fest- gestellt werden.
Die Klagverjährung steht mit vielen anderen Rechts- instituten dadurch in Verwandtschaft, daß in ihnen allen das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor- kommt. Es ist aber dieser Verwandtschaft zu großem Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr- liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältnisse unter einen gemeinsamen Gattungsbegriff zu bringen versucht hat. Man bezeichnete diesen unkritischerweise angenomme- nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und exstinctiva eintheilte. Nicht nur diese Kunstausdrücke, sondern auch die durch sie bezeichneten Rechtsbegriffe, sind völlig verwerflich. Die gefährlichste Gestalt dieser irrig
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre- tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab- ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt, wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt- geſtellt werden.
Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts- inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor- kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr- liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme- nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke, ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0280"n="266"/><fwplace="top"type="header">Buch <hirendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hirendition="#aq">IV.</hi> Verletzung.</fw><lb/><hirendition="#g">Klagverjährung</hi>. Der Römiſche Ausdruck: <hirendition="#aq">temporis</hi><lb/>
oder <hirendition="#aq">temporalis praescriptio</hi> bezeichnet unmittelbar nicht<lb/>
dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre-<lb/>
tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene<lb/>
Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage<lb/>
durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab-<lb/>ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und<lb/>
mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm<lb/>
gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt<lb/>
eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben<lb/>
würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt,<lb/>
wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt-<lb/>
geſtellt werden.</p><lb/><p>Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts-<lb/>
inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen<lb/>
das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor-<lb/>
kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem<lb/>
Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr-<lb/>
liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch<lb/>
Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter<lb/>
einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht<lb/>
hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme-<lb/>
nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: <hirendition="#g">Verjährung</hi> oder<lb/><hirendition="#aq">Praescriptio,</hi> welche man dann weiter in <hirendition="#aq">acquisitiva</hi> und<lb/><hirendition="#aq">exstinctiva</hi> eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke,<lb/>ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind<lb/>
völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[266/0280]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis
oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht
dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre-
tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene
Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage
durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab-
ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und
mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm
gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt
eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben
würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt,
wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt-
geſtellt werden.
Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts-
inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen
das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor-
kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem
Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr-
liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch
Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter
einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht
hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme-
nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder
Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und
exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke,
ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind
völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/280>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.