§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.
Von diesem Standpunkt aus können wir sagen: die Er- haltung unsres Vermögens wird uns durch die Eigen- thumsklage gesichert, die Erwartung, die wir von der Handlung eines Andern zu fassen in Folge seiner eigenen Erklärung berechtigt sind, wird gesichert durch Treue und Glauben.
Dennoch reichen wir damit nicht aus, wie mäßig auch unsre Ansprüche an die äußere Unterstützung des Rechts- zustandes seyn mögen. Zwar wenn ich dem Andern mein Haus vermiethe, so schützt mich gegen Verminderung mei- nes Vermögens, unabhängig von seiner Redlichkeit, die Vindication; wenn ich ihm aber Geld leihe, schützt sie mich nicht. Indem ich ihm das Eigenthum des Geldes über- ließ, habe ich zu seinem Vortheil freywillig auf den Schutz durch Vindication verzichtet; zahlt er nun das Geld nicht zurück, so wird mir nicht blos, wie bey dem verweigerten Miethgeld, eine Erwartung gestört, sondern mein ursprüng- liches Vermögen ist bleibend vermindert, und zwar ledig- lich in Folge des von mir gewährten höheren Vertrauens. Dieses höhere Vertrauen führt also eine größere Gefahr mit sich, und Beide vereinigt geben mir den Anspruch auf strengen richterlichen Schutz, ähnlich dem Schutz des Ei- genthums.
Das Darlehen ist der einfachste, einleuchtendste Fall der Unentbehrlichkeit eines solchen Schutzes durch persön- liche Klage; allein an denselben reihen sich, in natürlicher Entwicklung, andere verwandte Fälle an, die daher eines
§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.
Von dieſem Standpunkt aus können wir ſagen: die Er- haltung unſres Vermögens wird uns durch die Eigen- thumsklage geſichert, die Erwartung, die wir von der Handlung eines Andern zu faſſen in Folge ſeiner eigenen Erklärung berechtigt ſind, wird geſichert durch Treue und Glauben.
Dennoch reichen wir damit nicht aus, wie mäßig auch unſre Anſprüche an die äußere Unterſtützung des Rechts- zuſtandes ſeyn mögen. Zwar wenn ich dem Andern mein Haus vermiethe, ſo ſchützt mich gegen Verminderung mei- nes Vermögens, unabhängig von ſeiner Redlichkeit, die Vindication; wenn ich ihm aber Geld leihe, ſchützt ſie mich nicht. Indem ich ihm das Eigenthum des Geldes über- ließ, habe ich zu ſeinem Vortheil freywillig auf den Schutz durch Vindication verzichtet; zahlt er nun das Geld nicht zurück, ſo wird mir nicht blos, wie bey dem verweigerten Miethgeld, eine Erwartung geſtört, ſondern mein urſprüng- liches Vermögen iſt bleibend vermindert, und zwar ledig- lich in Folge des von mir gewährten höheren Vertrauens. Dieſes höhere Vertrauen führt alſo eine größere Gefahr mit ſich, und Beide vereinigt geben mir den Anſpruch auf ſtrengen richterlichen Schutz, ähnlich dem Schutz des Ei- genthums.
Das Darlehen iſt der einfachſte, einleuchtendſte Fall der Unentbehrlichkeit eines ſolchen Schutzes durch perſön- liche Klage; allein an denſelben reihen ſich, in natürlicher Entwicklung, andere verwandte Fälle an, die daher eines
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§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.
Von dieſem Standpunkt aus können wir ſagen: die Er-
haltung unſres Vermögens wird uns durch die Eigen-
thumsklage geſichert, die Erwartung, die wir von der
Handlung eines Andern zu faſſen in Folge ſeiner eigenen
Erklärung berechtigt ſind, wird geſichert durch Treue und
Glauben.
Dennoch reichen wir damit nicht aus, wie mäßig auch
unſre Anſprüche an die äußere Unterſtützung des Rechts-
zuſtandes ſeyn mögen. Zwar wenn ich dem Andern mein
Haus vermiethe, ſo ſchützt mich gegen Verminderung mei-
nes Vermögens, unabhängig von ſeiner Redlichkeit, die
Vindication; wenn ich ihm aber Geld leihe, ſchützt ſie mich
nicht. Indem ich ihm das Eigenthum des Geldes über-
ließ, habe ich zu ſeinem Vortheil freywillig auf den Schutz
durch Vindication verzichtet; zahlt er nun das Geld nicht
zurück, ſo wird mir nicht blos, wie bey dem verweigerten
Miethgeld, eine Erwartung geſtört, ſondern mein urſprüng-
liches Vermögen iſt bleibend vermindert, und zwar ledig-
lich in Folge des von mir gewährten höheren Vertrauens.
Dieſes höhere Vertrauen führt alſo eine größere Gefahr
mit ſich, und Beide vereinigt geben mir den Anſpruch auf
ſtrengen richterlichen Schutz, ähnlich dem Schutz des Ei-
genthums.
Das Darlehen iſt der einfachſte, einleuchtendſte Fall
der Unentbehrlichkeit eines ſolchen Schutzes durch perſön-
liche Klage; allein an denſelben reihen ſich, in natürlicher
Entwicklung, andere verwandte Fälle an, die daher eines
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/123>, abgerufen am 23.12.2024.
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