Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang. nichtiges Rechtsgeschäft in Nachtheil kommen würde, das-selbe anzufechten und umzustoßen befugt seyn, und es wird für diesen Zweck eine eigene Klage, unter dem Namen der querela nullitatis, angegeben (f). In der That aber ist es weder nöthig, noch möglich, Dasjenige, was ohne- hin nichtig ist, also nicht besteht, durch eine Klage erst umzustoßen. Juristisch betrachtet stehen folgende Fälle auf gleicher Linie: ein Testament, welches gar nicht von dem angeblichen Testator gemacht, sondern untergeschoben ist; das Testament eines Unmündigen; ein Testament vor Sechs Zeugen; ein Testament, worin ein Sohn in väterlicher Gewalt, oder ein Posthumus, präterirt ist. In allen die- sen Fällen ist etwas Rechtsgültiges gar nicht vorhanden, eine Klage ist zur Wegräumung des leeren Scheins nicht nöthig, und auf den Willen und die Thätigkeit einer da- durch gefährdeten Person kommt Nichts an (g). -- Indes- (f) G. L. Mencken de actio- nibus Sect. 3 C. 2 membr. 2. Höpfner Commentar § 344. 525. 535. Thibaut § 302. 966 -- 968 der 8ten Ausg. (g) Unter den hier zusammen
gestellten Fällen eines nichtigen Testaments ist es nur einer, der Fall der Präterition, welcher in neueren Zeiten die sehr verbrei- tete Ansicht veranlaßt hat, die durch den Ausdruck querela nul- litatis bezeichnet wird. Man wür- de irren, wenn man für diese Ansicht eine Unterstützung suchen wollte in der milderen Meynung der Proculejaner Gajus II. § 123. Denn theils ist diese nachher all- gemein verworfen worden (L. 7 de lib. 28. 2.), theils bezog sie sich auch nur auf den Fall des vor dem Testator verstorbenen Sohnes; starb er nach dem Te- stator, auch ohne geklagt zu ha- ben, so war gar kein Streit. Für den letzten praktischen Er- folg freylich wurde der reine Be- griff der Nichtigkeit in diesem Fall dadurch beseitigt, daß der Prätor die blos civile Nichtigkeit ganz ignorirte (Ulpian. XXVIII. 6); das ändert aber den Begriff Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. nichtiges Rechtsgeſchäft in Nachtheil kommen würde, daſ-ſelbe anzufechten und umzuſtoßen befugt ſeyn, und es wird für dieſen Zweck eine eigene Klage, unter dem Namen der querela nullitatis, angegeben (f). In der That aber iſt es weder nöthig, noch möglich, Dasjenige, was ohne- hin nichtig iſt, alſo nicht beſteht, durch eine Klage erſt umzuſtoßen. Juriſtiſch betrachtet ſtehen folgende Fälle auf gleicher Linie: ein Teſtament, welches gar nicht von dem angeblichen Teſtator gemacht, ſondern untergeſchoben iſt; das Teſtament eines Unmündigen; ein Teſtament vor Sechs Zeugen; ein Teſtament, worin ein Sohn in väterlicher Gewalt, oder ein Posthumus, präterirt iſt. In allen die- ſen Fällen iſt etwas Rechtsgültiges gar nicht vorhanden, eine Klage iſt zur Wegräumung des leeren Scheins nicht nöthig, und auf den Willen und die Thätigkeit einer da- durch gefährdeten Perſon kommt Nichts an (g). — Indeſ- (f) G. L. Mencken de actio- nibus Sect. 3 C. 2 membr. 2. Höpfner Commentar § 344. 525. 535. Thibaut § 302. 966 — 968 der 8ten Ausg. (g) Unter den hier zuſammen
geſtellten Fällen eines nichtigen Teſtaments iſt es nur einer, der Fall der Präterition, welcher in neueren Zeiten die ſehr verbrei- tete Anſicht veranlaßt hat, die durch den Ausdruck querela nul- litatis bezeichnet wird. Man wür- de irren, wenn man für dieſe Anſicht eine Unterſtützung ſuchen wollte in der milderen Meynung der Proculejaner Gajus II. § 123. Denn theils iſt dieſe nachher all- gemein verworfen worden (L. 7 de lib. 28. 2.), theils bezog ſie ſich auch nur auf den Fall des vor dem Teſtator verſtorbenen Sohnes; ſtarb er nach dem Te- ſtator, auch ohne geklagt zu ha- ben, ſo war gar kein Streit. Für den letzten praktiſchen Er- folg freylich wurde der reine Be- griff der Nichtigkeit in dieſem Fall dadurch beſeitigt, daß der Prätor die blos civile Nichtigkeit ganz ignorirte (Ulpian. XXVIII. 6); das ändert aber den Begriff <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0554" n="540"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Entſtehung und Untergang.</fw><lb/> nichtiges Rechtsgeſchäft in Nachtheil kommen würde, daſ-<lb/> ſelbe anzufechten und umzuſtoßen befugt ſeyn, und es wird<lb/> für dieſen Zweck eine eigene Klage, unter dem Namen<lb/> der <hi rendition="#aq">querela nullitatis,</hi> angegeben <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#aq">G. L. <hi rendition="#k">Mencken</hi> de actio-<lb/> nibus Sect. 3 C. 2 membr.</hi> 2.<lb/><hi rendition="#g">Höpfner</hi> Commentar § 344.<lb/> 525. 535. <hi rendition="#g">Thibaut</hi> § 302.<lb/> 966 — 968 der 8ten Ausg.</note>. In der That aber<lb/> iſt es weder nöthig, noch möglich, Dasjenige, was ohne-<lb/> hin nichtig iſt, alſo nicht beſteht, durch eine Klage erſt<lb/> umzuſtoßen. Juriſtiſch betrachtet ſtehen folgende Fälle auf<lb/> gleicher Linie: ein Teſtament, welches gar nicht von dem<lb/> angeblichen Teſtator gemacht, ſondern untergeſchoben iſt;<lb/> das Teſtament eines Unmündigen; ein Teſtament vor Sechs<lb/> Zeugen; ein Teſtament, worin ein Sohn in väterlicher<lb/> Gewalt, oder ein <hi rendition="#aq">Posthumus,</hi> präterirt iſt. In allen die-<lb/> ſen Fällen iſt etwas Rechtsgültiges gar nicht vorhanden,<lb/> eine Klage iſt zur Wegräumung des leeren Scheins nicht<lb/> nöthig, und auf den Willen und die Thätigkeit einer da-<lb/> durch gefährdeten Perſon kommt Nichts an <note xml:id="seg2pn_94_1" next="#seg2pn_94_2" place="foot" n="(g)">Unter den hier zuſammen<lb/> geſtellten Fällen eines nichtigen<lb/> Teſtaments iſt es nur einer, der<lb/> Fall der Präterition, welcher in<lb/> neueren Zeiten die ſehr verbrei-<lb/> tete Anſicht veranlaßt hat, die<lb/> durch den Ausdruck <hi rendition="#aq">querela nul-<lb/> litatis</hi> bezeichnet wird. Man wür-<lb/> de irren, wenn man für dieſe<lb/> Anſicht eine Unterſtützung ſuchen<lb/> wollte in der milderen Meynung<lb/> der Proculejaner <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Gajus</hi> II.</hi> § 123.<lb/> Denn theils iſt dieſe nachher all-<lb/> gemein verworfen worden (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 7<lb/><hi rendition="#i">de lib.</hi></hi> 28. 2.), theils bezog ſie<lb/> ſich auch nur auf den Fall des<lb/><hi rendition="#g">vor</hi> dem Teſtator verſtorbenen<lb/> Sohnes; ſtarb er <hi rendition="#g">nach</hi> dem Te-<lb/> ſtator, auch ohne geklagt zu ha-<lb/> ben, ſo war gar kein Streit.<lb/> Für den letzten praktiſchen Er-<lb/> folg freylich wurde der reine Be-<lb/> griff der Nichtigkeit in dieſem<lb/> Fall dadurch beſeitigt, daß der<lb/> Prätor die blos civile Nichtigkeit<lb/> ganz ignorirte (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Ulpian</hi>. XXVIII.</hi><lb/> 6); das ändert aber den Begriff</note>. — Indeſ-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [540/0554]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
nichtiges Rechtsgeſchäft in Nachtheil kommen würde, daſ-
ſelbe anzufechten und umzuſtoßen befugt ſeyn, und es wird
für dieſen Zweck eine eigene Klage, unter dem Namen
der querela nullitatis, angegeben (f). In der That aber
iſt es weder nöthig, noch möglich, Dasjenige, was ohne-
hin nichtig iſt, alſo nicht beſteht, durch eine Klage erſt
umzuſtoßen. Juriſtiſch betrachtet ſtehen folgende Fälle auf
gleicher Linie: ein Teſtament, welches gar nicht von dem
angeblichen Teſtator gemacht, ſondern untergeſchoben iſt;
das Teſtament eines Unmündigen; ein Teſtament vor Sechs
Zeugen; ein Teſtament, worin ein Sohn in väterlicher
Gewalt, oder ein Posthumus, präterirt iſt. In allen die-
ſen Fällen iſt etwas Rechtsgültiges gar nicht vorhanden,
eine Klage iſt zur Wegräumung des leeren Scheins nicht
nöthig, und auf den Willen und die Thätigkeit einer da-
durch gefährdeten Perſon kommt Nichts an (g). — Indeſ-
(f) G. L. Mencken de actio-
nibus Sect. 3 C. 2 membr. 2.
Höpfner Commentar § 344.
525. 535. Thibaut § 302.
966 — 968 der 8ten Ausg.
(g) Unter den hier zuſammen
geſtellten Fällen eines nichtigen
Teſtaments iſt es nur einer, der
Fall der Präterition, welcher in
neueren Zeiten die ſehr verbrei-
tete Anſicht veranlaßt hat, die
durch den Ausdruck querela nul-
litatis bezeichnet wird. Man wür-
de irren, wenn man für dieſe
Anſicht eine Unterſtützung ſuchen
wollte in der milderen Meynung
der Proculejaner Gajus II. § 123.
Denn theils iſt dieſe nachher all-
gemein verworfen worden (L. 7
de lib. 28. 2.), theils bezog ſie
ſich auch nur auf den Fall des
vor dem Teſtator verſtorbenen
Sohnes; ſtarb er nach dem Te-
ſtator, auch ohne geklagt zu ha-
ben, ſo war gar kein Streit.
Für den letzten praktiſchen Er-
folg freylich wurde der reine Be-
griff der Nichtigkeit in dieſem
Fall dadurch beſeitigt, daß der
Prätor die blos civile Nichtigkeit
ganz ignorirte (Ulpian. XXVIII.
6); das ändert aber den Begriff
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