Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
Wasserleitungen, die bey den Römern in so colossalem Umfang vorkamen, finden sich jetzt nicht leicht in solcher Gestalt, daß daraus eine Privatbenutzung verliehen wer- den könnte. Wichtiger ist der allgemeine Gesichtspunkt des Rechtsinstituts, der aus diesen einzelnen Regeln hervor- geht, und wovon noch bey der neueren Gesetzgebung Ge- brauch gemacht werden wird. Aber das wichtigste Resultat für das praktische Recht ist das negative, indem durch den hier geführten Beweis die Servitutenlehre von jeder An- wendung der unvordenklichen Zeit gänzlich befreyt wird. Ja nicht einmal auf die Servituten bleibt dieser Gewinn beschränkt, vielmehr kommt er auch den Germanischen Reallasten zu gut, deren Verjährung großentheils nach den Römischen Regeln über die Servituten zu beurtheilen ist.
Man könnte vielleicht glauben, die Anwendung der un- vordenklichen Zeit auf die discontinuae servitutes, wenn sie auch nach Römischem Recht verworfen werden müsse, sey doch durch allgemeines Gewohnheitsrecht in Deutsch- land herrschend geworden. Allerdings ist sie in manchen Gerichten, wie in dem höchsten Gericht für Kurhessen, stets angewendet worden (bb), in anderen aber, wie in dem höchsten Gericht für Hannover, wurde sie eben so entschie- den verworfen (cc), und damit ist jene Allgemeinheit voll- ständig widerlegt. Aber selbst das kann nicht zugegeben werden, daß diese unrichtige Lehre wenigstens in den Län-
(bb)Pfeiffer S. 116.
(cc)Pufendorf observ. I. 32 § 20.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Waſſerleitungen, die bey den Römern in ſo coloſſalem Umfang vorkamen, finden ſich jetzt nicht leicht in ſolcher Geſtalt, daß daraus eine Privatbenutzung verliehen wer- den könnte. Wichtiger iſt der allgemeine Geſichtspunkt des Rechtsinſtituts, der aus dieſen einzelnen Regeln hervor- geht, und wovon noch bey der neueren Geſetzgebung Ge- brauch gemacht werden wird. Aber das wichtigſte Reſultat für das praktiſche Recht iſt das negative, indem durch den hier geführten Beweis die Servitutenlehre von jeder An- wendung der unvordenklichen Zeit gänzlich befreyt wird. Ja nicht einmal auf die Servituten bleibt dieſer Gewinn beſchränkt, vielmehr kommt er auch den Germaniſchen Reallaſten zu gut, deren Verjährung großentheils nach den Römiſchen Regeln über die Servituten zu beurtheilen iſt.
Man könnte vielleicht glauben, die Anwendung der un- vordenklichen Zeit auf die discontinuae servitutes, wenn ſie auch nach Römiſchem Recht verworfen werden müſſe, ſey doch durch allgemeines Gewohnheitsrecht in Deutſch- land herrſchend geworden. Allerdings iſt ſie in manchen Gerichten, wie in dem höchſten Gericht für Kurheſſen, ſtets angewendet worden (bb), in anderen aber, wie in dem höchſten Gericht für Hannover, wurde ſie eben ſo entſchie- den verworfen (cc), und damit iſt jene Allgemeinheit voll- ſtändig widerlegt. Aber ſelbſt das kann nicht zugegeben werden, daß dieſe unrichtige Lehre wenigſtens in den Län-
(bb)Pfeiffer S. 116.
(cc)Pufendorf observ. I. 32 § 20.
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
Waſſerleitungen, die bey den Römern in ſo coloſſalem
Umfang vorkamen, finden ſich jetzt nicht leicht in ſolcher
Geſtalt, daß daraus eine Privatbenutzung verliehen wer-
den könnte. Wichtiger iſt der allgemeine Geſichtspunkt des
Rechtsinſtituts, der aus dieſen einzelnen Regeln hervor-
geht, und wovon noch bey der neueren Geſetzgebung Ge-
brauch gemacht werden wird. Aber das wichtigſte Reſultat
für das praktiſche Recht iſt das negative, indem durch den
hier geführten Beweis die Servitutenlehre von jeder An-
wendung der unvordenklichen Zeit gänzlich befreyt wird.
Ja nicht einmal auf die Servituten bleibt dieſer Gewinn
beſchränkt, vielmehr kommt er auch den Germaniſchen
Reallaſten zu gut, deren Verjährung großentheils nach den
Römiſchen Regeln über die Servituten zu beurtheilen iſt.
Man könnte vielleicht glauben, die Anwendung der un-
vordenklichen Zeit auf die discontinuae servitutes, wenn
ſie auch nach Römiſchem Recht verworfen werden müſſe,
ſey doch durch allgemeines Gewohnheitsrecht in Deutſch-
land herrſchend geworden. Allerdings iſt ſie in manchen
Gerichten, wie in dem höchſten Gericht für Kurheſſen, ſtets
angewendet worden (bb), in anderen aber, wie in dem
höchſten Gericht für Hannover, wurde ſie eben ſo entſchie-
den verworfen (cc), und damit iſt jene Allgemeinheit voll-
ſtändig widerlegt. Aber ſelbſt das kann nicht zugegeben
werden, daß dieſe unrichtige Lehre wenigſtens in den Län-
(bb) Pfeiffer S. 116.
(cc) Pufendorf observ. I. 32 § 20.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/518>, abgerufen am 16.02.2025.
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