Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
spruch gegen die Meynung, die allgemein in Frage gestellt, und für Einen Fall entschieden behauptet worden war.
Zuvörderst ist nun einleuchtend, daß nicht derselbe Schriftsteller Dasjenige, was er zuerst sine dubio als wahr aufgestellt hatte, zuletzt eben so bestimmt verneinen kann. Diesen Widerspruch aus den Gedanken des Mar- cellus zu entfernen, für uns aber nur um so beschwerlicher zu machen, haben Manche behauptet, die Schlußworte mihi contra videtur enthielten eine berichtigende Note des Ulpian zu der Schrift des Marcellus (d). Diese Aushülfe ist verwerflich, weil man die Thatsache erst in den Text hinein tragen müßte, das Verfahren der Compilatoren höchst unvorsichtig, also nicht ohne Noth anzunehmen wäre, eine befriedigende Auflösung aber doch nicht gewonnen seyn würde. Daher haben denn von jeher die Meisten an- genommen, Marcellus behaupte für die Vier ersten Fälle die Regel, für die fünfte die Ausnahme. Um dieses auch mit dem Ausdruck in befriedigenden Zusammenhang zu bringen, hat man (schon von der Glosse an) den letzten Satz, von Et si quis fundum an, als Frage aufgefaßt, worauf dann das mihi contra videtur die verneinende Ant- wort giebt, in welcher die praktische Verschiedenheit des fünften Falls von den vier ersten ausgesprochen wird. Diese Erklärung gewinnt noch sehr an Wahrscheinlichkeit durch die Leseart Sed (Set, set et), (Note b), wodurch
(d)Merillius obss. VII. 18. Schulting Jurispr. antejust. p. 553.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſpruch gegen die Meynung, die allgemein in Frage geſtellt, und für Einen Fall entſchieden behauptet worden war.
Zuvörderſt iſt nun einleuchtend, daß nicht derſelbe Schriftſteller Dasjenige, was er zuerſt sine dubio als wahr aufgeſtellt hatte, zuletzt eben ſo beſtimmt verneinen kann. Dieſen Widerſpruch aus den Gedanken des Mar- cellus zu entfernen, für uns aber nur um ſo beſchwerlicher zu machen, haben Manche behauptet, die Schlußworte mihi contra videtur enthielten eine berichtigende Note des Ulpian zu der Schrift des Marcellus (d). Dieſe Aushülfe iſt verwerflich, weil man die Thatſache erſt in den Text hinein tragen müßte, das Verfahren der Compilatoren höchſt unvorſichtig, alſo nicht ohne Noth anzunehmen wäre, eine befriedigende Auflöſung aber doch nicht gewonnen ſeyn würde. Daher haben denn von jeher die Meiſten an- genommen, Marcellus behaupte für die Vier erſten Fälle die Regel, für die fünfte die Ausnahme. Um dieſes auch mit dem Ausdruck in befriedigenden Zuſammenhang zu bringen, hat man (ſchon von der Gloſſe an) den letzten Satz, von Et si quis fundum an, als Frage aufgefaßt, worauf dann das mihi contra videtur die verneinende Ant- wort giebt, in welcher die praktiſche Verſchiedenheit des fünften Falls von den vier erſten ausgeſprochen wird. Dieſe Erklärung gewinnt noch ſehr an Wahrſcheinlichkeit durch die Leſeart Sed (Set, set et), (Note b), wodurch
(d)Merillius obss. VII. 18. Schulting Jurispr. antejust. p. 553.
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
ſpruch gegen die Meynung, die allgemein in Frage geſtellt,
und für Einen Fall entſchieden behauptet worden war.
Zuvörderſt iſt nun einleuchtend, daß nicht derſelbe
Schriftſteller Dasjenige, was er zuerſt sine dubio als
wahr aufgeſtellt hatte, zuletzt eben ſo beſtimmt verneinen
kann. Dieſen Widerſpruch aus den Gedanken des Mar-
cellus zu entfernen, für uns aber nur um ſo beſchwerlicher
zu machen, haben Manche behauptet, die Schlußworte
mihi contra videtur enthielten eine berichtigende Note des
Ulpian zu der Schrift des Marcellus (d). Dieſe Aushülfe
iſt verwerflich, weil man die Thatſache erſt in den Text
hinein tragen müßte, das Verfahren der Compilatoren
höchſt unvorſichtig, alſo nicht ohne Noth anzunehmen wäre,
eine befriedigende Auflöſung aber doch nicht gewonnen
ſeyn würde. Daher haben denn von jeher die Meiſten an-
genommen, Marcellus behaupte für die Vier erſten Fälle
die Regel, für die fünfte die Ausnahme. Um dieſes auch
mit dem Ausdruck in befriedigenden Zuſammenhang zu
bringen, hat man (ſchon von der Gloſſe an) den letzten
Satz, von Et si quis fundum an, als Frage aufgefaßt,
worauf dann das mihi contra videtur die verneinende Ant-
wort giebt, in welcher die praktiſche Verſchiedenheit des
fünften Falls von den vier erſten ausgeſprochen wird.
Dieſe Erklärung gewinnt noch ſehr an Wahrſcheinlichkeit
durch die Leſeart Sed (Set, set et), (Note b), wodurch
(d) Merillius obss. VII. 18. Schulting Jurispr. antejust.
p. 553.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/480>, abgerufen am 25.11.2024.
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