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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841.

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§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortsetzung.)
gend ein praktisches Gewicht zu legen. Aber selbst die
Unwissenheit ist ganz ungenau bezeichnet, indem man sie
als ein im Anfang des Zeitraums vorkommendes Hin-
derniß auffaßt, da zuweilen ihr Verhältniß ein gerade um-
gekehrtes ist. Wenn z. B. bey dem Tode eines Menschen
kein Testament vorgefunden wird, auch der nächste Agnat
anwesend ist, so weiß dieser augenblicklich, daß ihm die
B. P. unde legitimi angefallen ist, und der Lauf seiner
100 Tage fängt sogleich an. Wenn er nun 60 Tage
lang unthätig ist, dann aber durch ein vorgebrachtes er-
dichtetes Testament getäuscht wird, und den darin Einge-
setzten als wahren Erben ein Jahr lang anerkennt, so ist
der Zustand seines Wissens durch Unwissenheit unterbro-
chen. Wenn endlich jetzt die Unächtheit des Testaments
anerkannt wird, so weiß der Verwandte von Neuem, daß
er zur B. P. berufen ist. Zu den Anfangs abgelaufenen
60 Tagen hat er nun noch 40, in welchen er die B. P.
agnosciren kann, da ihm das in der Mitte liegende Jahr
wegen der Unwissenheit nicht angerechnet wird (h). So

(h) Das hier Gesagte ist nicht
mein Gedanke, sondern der Ge-
danke Ulpians. L. 2 pr. quis
ordo
(38. 15.). "Fieri autem
potest, ut qui initio scierit vel
potuerit bonorum possessionem
admittere, hic incipiat nescire,
vel non posse admittere: sci-
licet si, cum initio cognovis-
set eum intestatum decessisse,
postea quasi certiore nuntio
allato dubitare coeperit, num-
quid testatus decesserit, vel
numquid vivat, quia hic rumor
postea perrepserat.
Idem et in
contrarium accipi potest, ut
qui ignoravit initio, postea scire
incipiat."
Dieser letzte Fall, der
freylich der häufigste ist, wird
fälschlich als der einzige voraus-
gesetzt, und bildet in dieser Vor-
aussetzung die Grundlage der
herrschenden falschen Terminolo-
gie. Ulpian nun sagt ganz deut-
IV. 29

§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)
gend ein praktiſches Gewicht zu legen. Aber ſelbſt die
Unwiſſenheit iſt ganz ungenau bezeichnet, indem man ſie
als ein im Anfang des Zeitraums vorkommendes Hin-
derniß auffaßt, da zuweilen ihr Verhältniß ein gerade um-
gekehrtes iſt. Wenn z. B. bey dem Tode eines Menſchen
kein Teſtament vorgefunden wird, auch der nächſte Agnat
anweſend iſt, ſo weiß dieſer augenblicklich, daß ihm die
B. P. unde legitimi angefallen iſt, und der Lauf ſeiner
100 Tage fängt ſogleich an. Wenn er nun 60 Tage
lang unthätig iſt, dann aber durch ein vorgebrachtes er-
dichtetes Teſtament getäuſcht wird, und den darin Einge-
ſetzten als wahren Erben ein Jahr lang anerkennt, ſo iſt
der Zuſtand ſeines Wiſſens durch Unwiſſenheit unterbro-
chen. Wenn endlich jetzt die Unächtheit des Teſtaments
anerkannt wird, ſo weiß der Verwandte von Neuem, daß
er zur B. P. berufen iſt. Zu den Anfangs abgelaufenen
60 Tagen hat er nun noch 40, in welchen er die B. P.
agnoſciren kann, da ihm das in der Mitte liegende Jahr
wegen der Unwiſſenheit nicht angerechnet wird (h). So

(h) Das hier Geſagte iſt nicht
mein Gedanke, ſondern der Ge-
danke Ulpians. L. 2 pr. quis
ordo
(38. 15.). „Fieri autem
potest, ut qui initio scierit vel
potuerit bonorum possessionem
admittere, hic incipiat nescire,
vel non posse admittere: sci-
licet si, cum initio cognovis-
set eum intestatum decessisse,
postea quasi certiore nuntio
allato dubitare coeperit, num-
quid testatus decesserit, vel
numquid vivat, quia hic rumor
postea perrepserat.
Idem et in
contrarium accipi potest, ut
qui ignoravit initio, postea scire
incipiat.”
Dieſer letzte Fall, der
freylich der häufigſte iſt, wird
fälſchlich als der einzige voraus-
geſetzt, und bildet in dieſer Vor-
ausſetzung die Grundlage der
herrſchenden falſchen Terminolo-
gie. Ulpian nun ſagt ganz deut-
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[449/0463] §. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.) gend ein praktiſches Gewicht zu legen. Aber ſelbſt die Unwiſſenheit iſt ganz ungenau bezeichnet, indem man ſie als ein im Anfang des Zeitraums vorkommendes Hin- derniß auffaßt, da zuweilen ihr Verhältniß ein gerade um- gekehrtes iſt. Wenn z. B. bey dem Tode eines Menſchen kein Teſtament vorgefunden wird, auch der nächſte Agnat anweſend iſt, ſo weiß dieſer augenblicklich, daß ihm die B. P. unde legitimi angefallen iſt, und der Lauf ſeiner 100 Tage fängt ſogleich an. Wenn er nun 60 Tage lang unthätig iſt, dann aber durch ein vorgebrachtes er- dichtetes Teſtament getäuſcht wird, und den darin Einge- ſetzten als wahren Erben ein Jahr lang anerkennt, ſo iſt der Zuſtand ſeines Wiſſens durch Unwiſſenheit unterbro- chen. Wenn endlich jetzt die Unächtheit des Teſtaments anerkannt wird, ſo weiß der Verwandte von Neuem, daß er zur B. P. berufen iſt. Zu den Anfangs abgelaufenen 60 Tagen hat er nun noch 40, in welchen er die B. P. agnoſciren kann, da ihm das in der Mitte liegende Jahr wegen der Unwiſſenheit nicht angerechnet wird (h). So (h) Das hier Geſagte iſt nicht mein Gedanke, ſondern der Ge- danke Ulpians. L. 2 pr. quis ordo (38. 15.). „Fieri autem potest, ut qui initio scierit vel potuerit bonorum possessionem admittere, hic incipiat nescire, vel non posse admittere: sci- licet si, cum initio cognovis- set eum intestatum decessisse, postea quasi certiore nuntio allato dubitare coeperit, num- quid testatus decesserit, vel numquid vivat, quia hic rumor postea perrepserat. Idem et in contrarium accipi potest, ut qui ignoravit initio, postea scire incipiat.” Dieſer letzte Fall, der freylich der häufigſte iſt, wird fälſchlich als der einzige voraus- geſetzt, und bildet in dieſer Vor- ausſetzung die Grundlage der herrſchenden falſchen Terminolo- gie. Ulpian nun ſagt ganz deut- IV. 29

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/463>, abgerufen am 22.11.2024.