worben worden war, so muß auch das Ende der Usuca- pion in eine genau entsprechende Tageszeit fallen. Nen- nen wir dieses wahre Ende den mathematischen End- punkt, die Zeit aber, in welcher die Rechtsänderung ein- tritt, den juristischen Endpunkt, so läßt sich das bisher Gesagte auch so ausdrücken: der juristische Endpunkt muß mit dem mathematischen genau zusammen fallen.
Allein bey der Anwendung dieser Regel zeigen sich Schwierigkeiten, die zwar bey den Römern größer waren als bey uns, aber auch für uns noch so groß sind, daß wir sie ohne Übertreibung fast unübersteiglich nennen können.
Erstlich fehlt es an Werkzeugen, um die kleineren Zeit- theile mit völliger Genauigkeit zu bestimmen. Dieser Man- gel war überaus groß bey den Römern (§ 180. g), bey uns ist er zwar vermindert, aber immer noch fühlbar ge- nug. Allerdings wird hierin bey astronomischen Beobach- tungen Bewundernswürdiges geleistet, aber wie wäre es denkbar, in den drängenden und oft geringfügigen Ge- schäften des bürgerlichen Lebens eine irgend genügende Sicherheit in die Bestimmung von Stunden, Minuten u. s. w. zu bringen? -- Eine Folge dieser augenscheinlichen Unmöglichkeit ist die, daß selbst bey sorgfältiger Geschäfts- führung, zwar der Tag, an welchem ein Geschäft vor- genommen wird, genau angemerkt zu werden pflegt, da- gegen die Tageszeit ganz unbemerkt bleibt. Da nun der mathematische Endpunkt stets von einem entsprechen- den Anfangspunkt abhängig ist, so wird für diesen, und
§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.
worben worden war, ſo muß auch das Ende der Uſuca- pion in eine genau entſprechende Tageszeit fallen. Nen- nen wir dieſes wahre Ende den mathematiſchen End- punkt, die Zeit aber, in welcher die Rechtsänderung ein- tritt, den juriſtiſchen Endpunkt, ſo läßt ſich das bisher Geſagte auch ſo ausdrücken: der juriſtiſche Endpunkt muß mit dem mathematiſchen genau zuſammen fallen.
Allein bey der Anwendung dieſer Regel zeigen ſich Schwierigkeiten, die zwar bey den Römern größer waren als bey uns, aber auch für uns noch ſo groß ſind, daß wir ſie ohne Übertreibung faſt unüberſteiglich nennen können.
Erſtlich fehlt es an Werkzeugen, um die kleineren Zeit- theile mit völliger Genauigkeit zu beſtimmen. Dieſer Man- gel war überaus groß bey den Römern (§ 180. g), bey uns iſt er zwar vermindert, aber immer noch fühlbar ge- nug. Allerdings wird hierin bey aſtronomiſchen Beobach- tungen Bewundernswürdiges geleiſtet, aber wie wäre es denkbar, in den drängenden und oft geringfügigen Ge- ſchäften des bürgerlichen Lebens eine irgend genügende Sicherheit in die Beſtimmung von Stunden, Minuten u. ſ. w. zu bringen? — Eine Folge dieſer augenſcheinlichen Unmöglichkeit iſt die, daß ſelbſt bey ſorgfältiger Geſchäfts- führung, zwar der Tag, an welchem ein Geſchäft vor- genommen wird, genau angemerkt zu werden pflegt, da- gegen die Tageszeit ganz unbemerkt bleibt. Da nun der mathematiſche Endpunkt ſtets von einem entſprechen- den Anfangspunkt abhängig iſt, ſo wird für dieſen, und
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§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.
worben worden war, ſo muß auch das Ende der Uſuca-
pion in eine genau entſprechende Tageszeit fallen. Nen-
nen wir dieſes wahre Ende den mathematiſchen End-
punkt, die Zeit aber, in welcher die Rechtsänderung ein-
tritt, den juriſtiſchen Endpunkt, ſo läßt ſich das bisher
Geſagte auch ſo ausdrücken: der juriſtiſche Endpunkt muß
mit dem mathematiſchen genau zuſammen fallen.
Allein bey der Anwendung dieſer Regel zeigen ſich
Schwierigkeiten, die zwar bey den Römern größer waren
als bey uns, aber auch für uns noch ſo groß ſind, daß
wir ſie ohne Übertreibung faſt unüberſteiglich nennen können.
Erſtlich fehlt es an Werkzeugen, um die kleineren Zeit-
theile mit völliger Genauigkeit zu beſtimmen. Dieſer Man-
gel war überaus groß bey den Römern (§ 180. g), bey
uns iſt er zwar vermindert, aber immer noch fühlbar ge-
nug. Allerdings wird hierin bey aſtronomiſchen Beobach-
tungen Bewundernswürdiges geleiſtet, aber wie wäre es
denkbar, in den drängenden und oft geringfügigen Ge-
ſchäften des bürgerlichen Lebens eine irgend genügende
Sicherheit in die Beſtimmung von Stunden, Minuten u.
ſ. w. zu bringen? — Eine Folge dieſer augenſcheinlichen
Unmöglichkeit iſt die, daß ſelbſt bey ſorgfältiger Geſchäfts-
führung, zwar der Tag, an welchem ein Geſchäft vor-
genommen wird, genau angemerkt zu werden pflegt, da-
gegen die Tageszeit ganz unbemerkt bleibt. Da nun der
mathematiſche Endpunkt ſtets von einem entſprechen-
den Anfangspunkt abhängig iſt, ſo wird für dieſen, und
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/359>, abgerufen am 23.11.2024.
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