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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
zu stellen. Man kann diese Fälle als unächten Irrthum
bezeichnen.

Wenn also ein Eigenthümer fälschlich glaubt, seine
Sache gehöre einem Andern, und diese Meynung auch
wörtlich ausspricht, so schadet das seinem Eigenthum
nicht (a). Eben so wenn er es dadurch ausspricht, daß
er dem Andern, der dieselbe Sache gegen einen Dritten
vindicirt, in diesem Rechtsstreit Beystand leistet (b). Eben
so, wenn er es durch die That erklärt, indem er dem An-
dern, den er für den Eigenthümer hält, Früchte der Sache
zukommen läßt (c). Der Grund der Unschädlichkeit liegt
nicht in dem Irrthum, sondern darin daß diese einseitige
Handlungen schon an sich selbst keine rechtsverbindliche Na-
tur haben.

Wenn der Eigenthümer eines Sklaven diesen aus Irr-
thum als einen freyen Menschen anerkennt, so wird da-
durch der Sklave nicht frey, und der Eigenthümer oder
dessen Erben können ihn noch immer in servitutem vindi-
ciren (d). Denn die Freyheit des Sklaven entsteht nur
durch die Freylassung in bestimmten Formen (e), und die

(a) L. 18 C. de rei vind. (3.
32.).
(b) L. 54 de rei vind. (6. 1.).
(c) L. 79 de leg. II. (31. un.).
Hier heißt es "juris ignoratione
lapsi;"
und dennoch sollen sie ihr
wahres Recht geltend machen
können.
(d) L. 8. 9 C. de jur. et
facti ign,
(1. 18.). Diese beide
Stellen gehören unter diejenigen,
woraus man die unrichtige allge-
meine Regel gebildet hat, daß
jeder Irrthum den Willen aus-
schließe (Num. VII.). Der Aus-
druck derselben ist freylich nicht
vorsichtig genug gefaßt.
(e) Allerdings gehörte unter
diese Formen auch die unfeyer-
liche manumissio inter amicos,

Irrthum und Unwiſſenheit.
zu ſtellen. Man kann dieſe Fälle als unächten Irrthum
bezeichnen.

Wenn alſo ein Eigenthümer fälſchlich glaubt, ſeine
Sache gehöre einem Andern, und dieſe Meynung auch
wörtlich ausſpricht, ſo ſchadet das ſeinem Eigenthum
nicht (a). Eben ſo wenn er es dadurch ausſpricht, daß
er dem Andern, der dieſelbe Sache gegen einen Dritten
vindicirt, in dieſem Rechtsſtreit Beyſtand leiſtet (b). Eben
ſo, wenn er es durch die That erklärt, indem er dem An-
dern, den er für den Eigenthümer hält, Früchte der Sache
zukommen läßt (c). Der Grund der Unſchädlichkeit liegt
nicht in dem Irrthum, ſondern darin daß dieſe einſeitige
Handlungen ſchon an ſich ſelbſt keine rechtsverbindliche Na-
tur haben.

Wenn der Eigenthümer eines Sklaven dieſen aus Irr-
thum als einen freyen Menſchen anerkennt, ſo wird da-
durch der Sklave nicht frey, und der Eigenthümer oder
deſſen Erben können ihn noch immer in servitutem vindi-
ciren (d). Denn die Freyheit des Sklaven entſteht nur
durch die Freylaſſung in beſtimmten Formen (e), und die

(a) L. 18 C. de rei vind. (3.
32.).
(b) L. 54 de rei vind. (6. 1.).
(c) L. 79 de leg. II. (31. un.).
Hier heißt es „juris ignoratione
lapsi;”
und dennoch ſollen ſie ihr
wahres Recht geltend machen
können.
(d) L. 8. 9 C. de jur. et
facti ign,
(1. 18.). Dieſe beide
Stellen gehören unter diejenigen,
woraus man die unrichtige allge-
meine Regel gebildet hat, daß
jeder Irrthum den Willen aus-
ſchließe (Num. VII.). Der Aus-
druck derſelben iſt freylich nicht
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dieſe Formen auch die unfeyer-
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[441/0453] Irrthum und Unwiſſenheit. zu ſtellen. Man kann dieſe Fälle als unächten Irrthum bezeichnen. Wenn alſo ein Eigenthümer fälſchlich glaubt, ſeine Sache gehöre einem Andern, und dieſe Meynung auch wörtlich ausſpricht, ſo ſchadet das ſeinem Eigenthum nicht (a). Eben ſo wenn er es dadurch ausſpricht, daß er dem Andern, der dieſelbe Sache gegen einen Dritten vindicirt, in dieſem Rechtsſtreit Beyſtand leiſtet (b). Eben ſo, wenn er es durch die That erklärt, indem er dem An- dern, den er für den Eigenthümer hält, Früchte der Sache zukommen läßt (c). Der Grund der Unſchädlichkeit liegt nicht in dem Irrthum, ſondern darin daß dieſe einſeitige Handlungen ſchon an ſich ſelbſt keine rechtsverbindliche Na- tur haben. Wenn der Eigenthümer eines Sklaven dieſen aus Irr- thum als einen freyen Menſchen anerkennt, ſo wird da- durch der Sklave nicht frey, und der Eigenthümer oder deſſen Erben können ihn noch immer in servitutem vindi- ciren (d). Denn die Freyheit des Sklaven entſteht nur durch die Freylaſſung in beſtimmten Formen (e), und die (a) L. 18 C. de rei vind. (3. 32.). (b) L. 54 de rei vind. (6. 1.). (c) L. 79 de leg. II. (31. un.). Hier heißt es „juris ignoratione lapsi;” und dennoch ſollen ſie ihr wahres Recht geltend machen können. (d) L. 8. 9 C. de jur. et facti ign, (1. 18.). Dieſe beide Stellen gehören unter diejenigen, woraus man die unrichtige allge- meine Regel gebildet hat, daß jeder Irrthum den Willen aus- ſchließe (Num. VII.). Der Aus- druck derſelben iſt freylich nicht vorſichtig genug gefaßt. (e) Allerdings gehörte unter dieſe Formen auch die unfeyer- liche manumissio inter amicos,

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/453>, abgerufen am 23.11.2024.