Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Beylage VIII.
XXVI.

Nur bey Einer, und zwar sehr zahlreichen, Klasse von
Klagen konnte ein Zweifel entstehen: bey den Klagen mit
utile tempus, also bey denen, welche eine einjährige oder
noch kürzere Verjährung hatten. In das utile tempus
nämlich wurden nur eingerechnet diejenigen Tage, an wel-
chen es dem Kläger möglich war, die Klage anzustellen
(quibus experiundi potestatem habebat); die übrigen Tage
wurden bey Berechnung des Ablaufs der Verjährung nicht
mitgezählt, so daß der wörtlich vorgeschriebene Zeitraum
um die Zahl dieser nicht mitgezählten Tage verlängert
wurde (a). Nun entstand die Frage, ob der Kläger auch
dadurch in der Unmöglichkeit zu klagen sey, daß er die
Verletzung nicht wisse? Faßt man die Stellen des Rö-
mischen Rechts zusammen, so ergiebt sich folgende Ant-
wort. Jener Kläger ist der Regel nach nicht in der Un-
möglichkeit zu klagen, denn in vielen Fällen ist es augen-
scheinlich, daß er durch gehörige Aufmerksamkeit die Ver-
letzung hätte erfahren können, und in noch mehreren Fäl-
len wird gerade dieser Umstand ungewiß bleiben. Es gilt
also die im Allgemeinen für den Anfang der Klagverjäh-
rung aufgestellte Regel auch bey den einjährigen Klagen.
In einzelnen, seltenen Fällen jedoch kann für den Kläger

deswegen nöthig gefunden, weil
das ganze so wichtige Princip ei-
ner allgemeinen Klagverjährung
etwas völlig Neues, dem frühe-
ren Recht Fremdes war.
(a) L. 1 de div. temp. praescr.
(44. 3.).
Beylage VIII.
XXVI.

Nur bey Einer, und zwar ſehr zahlreichen, Klaſſe von
Klagen konnte ein Zweifel entſtehen: bey den Klagen mit
utile tempus, alſo bey denen, welche eine einjährige oder
noch kürzere Verjährung hatten. In das utile tempus
nämlich wurden nur eingerechnet diejenigen Tage, an wel-
chen es dem Kläger möglich war, die Klage anzuſtellen
(quibus experiundi potestatem habebat); die übrigen Tage
wurden bey Berechnung des Ablaufs der Verjährung nicht
mitgezählt, ſo daß der wörtlich vorgeſchriebene Zeitraum
um die Zahl dieſer nicht mitgezählten Tage verlängert
wurde (a). Nun entſtand die Frage, ob der Kläger auch
dadurch in der Unmöglichkeit zu klagen ſey, daß er die
Verletzung nicht wiſſe? Faßt man die Stellen des Rö-
miſchen Rechts zuſammen, ſo ergiebt ſich folgende Ant-
wort. Jener Kläger iſt der Regel nach nicht in der Un-
moͤglichkeit zu klagen, denn in vielen Fällen iſt es augen-
ſcheinlich, daß er durch gehörige Aufmerkſamkeit die Ver-
letzung hätte erfahren können, und in noch mehreren Fäl-
len wird gerade dieſer Umſtand ungewiß bleiben. Es gilt
alſo die im Allgemeinen für den Anfang der Klagverjäh-
rung aufgeſtellte Regel auch bey den einjährigen Klagen.
In einzelnen, ſeltenen Fällen jedoch kann für den Kläger

deswegen nöthig gefunden, weil
das ganze ſo wichtige Princip ei-
ner allgemeinen Klagverjährung
etwas völlig Neues, dem frühe-
ren Recht Fremdes war.
(a) L. 1 de div. temp. praescr.
(44. 3.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0422" n="410"/>
        <fw place="top" type="header">Beylage <hi rendition="#aq">VIII.</hi></fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">XXVI.</hi> </head><lb/>
          <p>Nur bey Einer, und zwar &#x017F;ehr zahlreichen, Kla&#x017F;&#x017F;e von<lb/>
Klagen konnte ein Zweifel ent&#x017F;tehen: bey den Klagen mit<lb/><hi rendition="#aq">utile tempus,</hi> al&#x017F;o bey denen, welche eine einjährige oder<lb/>
noch kürzere Verjährung hatten. In das <hi rendition="#aq">utile tempus</hi><lb/>
nämlich wurden nur eingerechnet diejenigen Tage, an wel-<lb/>
chen es dem Kläger möglich war, die Klage anzu&#x017F;tellen<lb/><hi rendition="#aq">(quibus experiundi potestatem habebat);</hi> die übrigen Tage<lb/>
wurden bey Berechnung des Ablaufs der Verjährung nicht<lb/>
mitgezählt, &#x017F;o daß der wörtlich vorge&#x017F;chriebene Zeitraum<lb/>
um die Zahl die&#x017F;er nicht mitgezählten Tage verlängert<lb/>
wurde <note place="foot" n="(a)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L</hi>. 1 <hi rendition="#i">de div. temp. praescr</hi>.</hi><lb/>
(44. 3.).</note>. Nun ent&#x017F;tand die Frage, ob der Kläger auch<lb/>
dadurch in der Unmöglichkeit zu klagen &#x017F;ey, daß er die<lb/>
Verletzung nicht wi&#x017F;&#x017F;e? Faßt man die Stellen des Rö-<lb/>
mi&#x017F;chen Rechts zu&#x017F;ammen, &#x017F;o ergiebt &#x017F;ich folgende Ant-<lb/>
wort. Jener Kläger i&#x017F;t der Regel nach nicht in der Un-<lb/>
mo&#x0364;glichkeit zu klagen, denn in vielen Fällen i&#x017F;t es augen-<lb/>
&#x017F;cheinlich, daß er durch gehörige Aufmerk&#x017F;amkeit die Ver-<lb/>
letzung hätte erfahren können, und in noch mehreren Fäl-<lb/>
len wird gerade die&#x017F;er Um&#x017F;tand ungewiß bleiben. Es gilt<lb/>
al&#x017F;o die im Allgemeinen für den Anfang der Klagverjäh-<lb/>
rung aufge&#x017F;tellte Regel auch bey den einjährigen Klagen.<lb/>
In einzelnen, &#x017F;eltenen Fällen jedoch kann für den Kläger<lb/><note xml:id="seg2pn_70_2" prev="#seg2pn_70_1" place="foot" n="(b)">deswegen nöthig gefunden, weil<lb/>
das ganze &#x017F;o wichtige Princip ei-<lb/>
ner allgemeinen Klagverjährung<lb/>
etwas völlig Neues, dem frühe-<lb/>
ren Recht Fremdes war.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0422] Beylage VIII. XXVI. Nur bey Einer, und zwar ſehr zahlreichen, Klaſſe von Klagen konnte ein Zweifel entſtehen: bey den Klagen mit utile tempus, alſo bey denen, welche eine einjährige oder noch kürzere Verjährung hatten. In das utile tempus nämlich wurden nur eingerechnet diejenigen Tage, an wel- chen es dem Kläger möglich war, die Klage anzuſtellen (quibus experiundi potestatem habebat); die übrigen Tage wurden bey Berechnung des Ablaufs der Verjährung nicht mitgezählt, ſo daß der wörtlich vorgeſchriebene Zeitraum um die Zahl dieſer nicht mitgezählten Tage verlängert wurde (a). Nun entſtand die Frage, ob der Kläger auch dadurch in der Unmöglichkeit zu klagen ſey, daß er die Verletzung nicht wiſſe? Faßt man die Stellen des Rö- miſchen Rechts zuſammen, ſo ergiebt ſich folgende Ant- wort. Jener Kläger iſt der Regel nach nicht in der Un- moͤglichkeit zu klagen, denn in vielen Fällen iſt es augen- ſcheinlich, daß er durch gehörige Aufmerkſamkeit die Ver- letzung hätte erfahren können, und in noch mehreren Fäl- len wird gerade dieſer Umſtand ungewiß bleiben. Es gilt alſo die im Allgemeinen für den Anfang der Klagverjäh- rung aufgeſtellte Regel auch bey den einjährigen Klagen. In einzelnen, ſeltenen Fällen jedoch kann für den Kläger (b) (a) L. 1 de div. temp. praescr. (44. 3.). (b) deswegen nöthig gefunden, weil das ganze ſo wichtige Princip ei- ner allgemeinen Klagverjährung etwas völlig Neues, dem frühe- ren Recht Fremdes war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/422
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/422>, abgerufen am 22.11.2024.