Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Irrthum und Unwissenheit.

Indessen ist hierin noch folgender Unterschied wohl zu
beachten. Wenn der Handelnde das Strafgesetz kennt,
aber durch einen Rechtsirrthum über die strafbare Beschaf-
fenheit seiner Handlung getäuscht wird, so ist der eben
aufgestellte Satz allgemein wahr. Anders, was die Kennt-
niß des Strafgesetzes selbst betrifft. Diese wird bey Jedem
gefordert und vorausgesetzt, und ihr Mangel schließt den
Dolus und die Strafbarkeit nicht aus. Von dieser Strenge
sind nur gewisse Klassen von Personen ausgenommen, de-
nen auch die Rechtsunwissenheit überhaupt nachgesehen
wird; dahin gehört Minderjährigkeit, weibliches Geschlecht,
Rusticitas und Soldatenstand. Jedoch sind auch diese Klas-
sen nur bey denjenigen Strafgesetzen ausgenommen, welche
eine mehr positive Natur haben (juris civilis), nicht bey
denen, welche schon dem natürlichen Rechtsgefühl einleuch-
ten (juris gentium) (b). Der Ausdruck juris ignorantia
nun ist zweydeutig, indem er an sich sowohl auf die straf-
bare Natur der Handlung, als auf die Unbekanntschaft
mit dem Strafgesetz bezogen werden kann; die juris igno-
rantia
im ersten Sinn also wird jedes dolose Delict aus-
schließen, die im zweyten Sinn dagegen nur in den be-
schränkten Fällen der angegebenen Ausnahmen. Durch diese
Zweydeutigkeit des Ausdrucks sind manche scheinbare Wi-
dersprüche in unsren Rechtsquellen aufzulösen (c).


(b) Der Unterschied ist deutlich
anerkannt in L. 38 § 2. 4 ad L.
J. de adult.
(48. 5.), L. 2 C. de
in jus voc.
(2. 2.)
, welche Stel-
len im Num. XXI., bey den ein-
zelnen Delicten, benutzt werden
sollen.
(c) Coll. LL. Mos. et Rom.
Irrthum und Unwiſſenheit.

Indeſſen iſt hierin noch folgender Unterſchied wohl zu
beachten. Wenn der Handelnde das Strafgeſetz kennt,
aber durch einen Rechtsirrthum über die ſtrafbare Beſchaf-
fenheit ſeiner Handlung getäuſcht wird, ſo iſt der eben
aufgeſtellte Satz allgemein wahr. Anders, was die Kennt-
niß des Strafgeſetzes ſelbſt betrifft. Dieſe wird bey Jedem
gefordert und vorausgeſetzt, und ihr Mangel ſchließt den
Dolus und die Strafbarkeit nicht aus. Von dieſer Strenge
ſind nur gewiſſe Klaſſen von Perſonen ausgenommen, de-
nen auch die Rechtsunwiſſenheit überhaupt nachgeſehen
wird; dahin gehört Minderjährigkeit, weibliches Geſchlecht,
Rusticitas und Soldatenſtand. Jedoch ſind auch dieſe Klaſ-
ſen nur bey denjenigen Strafgeſetzen ausgenommen, welche
eine mehr poſitive Natur haben (juris civilis), nicht bey
denen, welche ſchon dem natürlichen Rechtsgefühl einleuch-
ten (juris gentium) (b). Der Ausdruck juris ignorantia
nun iſt zweydeutig, indem er an ſich ſowohl auf die ſtraf-
bare Natur der Handlung, als auf die Unbekanntſchaft
mit dem Strafgeſetz bezogen werden kann; die juris igno-
rantia
im erſten Sinn alſo wird jedes doloſe Delict aus-
ſchließen, die im zweyten Sinn dagegen nur in den be-
ſchränkten Fällen der angegebenen Ausnahmen. Durch dieſe
Zweydeutigkeit des Ausdrucks ſind manche ſcheinbare Wi-
derſprüche in unſren Rechtsquellen aufzulöſen (c).


(b) Der Unterſchied iſt deutlich
anerkannt in L. 38 § 2. 4 ad L.
J. de adult.
(48. 5.), L. 2 C. de
in jus voc.
(2. 2.)
, welche Stel-
len im Num. XXI., bey den ein-
zelnen Delicten, benutzt werden
ſollen.
(c) Coll. LL. Mos. et Rom.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0401" n="389"/>
          <fw place="top" type="header">Irrthum und Unwi&#x017F;&#x017F;enheit.</fw><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t hierin noch folgender Unter&#x017F;chied wohl zu<lb/>
beachten. Wenn der Handelnde das Strafge&#x017F;etz kennt,<lb/>
aber durch einen Rechtsirrthum über die &#x017F;trafbare Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheit &#x017F;einer Handlung getäu&#x017F;cht wird, &#x017F;o i&#x017F;t der eben<lb/>
aufge&#x017F;tellte Satz allgemein wahr. Anders, was die Kennt-<lb/>
niß des Strafge&#x017F;etzes &#x017F;elb&#x017F;t betrifft. Die&#x017F;e wird bey Jedem<lb/>
gefordert und vorausge&#x017F;etzt, und ihr Mangel &#x017F;chließt den<lb/>
Dolus und die Strafbarkeit nicht aus. Von die&#x017F;er Strenge<lb/>
&#x017F;ind nur gewi&#x017F;&#x017F;e Kla&#x017F;&#x017F;en von Per&#x017F;onen ausgenommen, de-<lb/>
nen auch die Rechtsunwi&#x017F;&#x017F;enheit überhaupt nachge&#x017F;ehen<lb/>
wird; dahin gehört Minderjährigkeit, weibliches Ge&#x017F;chlecht,<lb/><hi rendition="#aq">Rusticitas</hi> und Soldaten&#x017F;tand. Jedoch &#x017F;ind auch die&#x017F;e Kla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en nur bey denjenigen Strafge&#x017F;etzen ausgenommen, welche<lb/>
eine mehr po&#x017F;itive Natur haben <hi rendition="#aq">(juris civilis)</hi>, nicht bey<lb/>
denen, welche &#x017F;chon dem natürlichen Rechtsgefühl einleuch-<lb/>
ten <hi rendition="#aq">(juris gentium)</hi> <note place="foot" n="(b)">Der Unter&#x017F;chied i&#x017F;t deutlich<lb/>
anerkannt in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 38 § 2. 4 <hi rendition="#i">ad L.<lb/>
J. de adult.</hi> (48. 5.), <hi rendition="#i">L.</hi> 2 <hi rendition="#i">C. de<lb/>
in jus voc.</hi> (2. 2.)</hi>, welche Stel-<lb/>
len im Num. <hi rendition="#aq">XXI.</hi>, bey den ein-<lb/>
zelnen Delicten, benutzt werden<lb/>
&#x017F;ollen.</note>. Der Ausdruck <hi rendition="#aq">juris ignorantia</hi><lb/>
nun i&#x017F;t zweydeutig, indem er an &#x017F;ich &#x017F;owohl auf die &#x017F;traf-<lb/>
bare Natur der Handlung, als auf die Unbekannt&#x017F;chaft<lb/>
mit dem Strafge&#x017F;etz bezogen werden kann; die <hi rendition="#aq">juris igno-<lb/>
rantia</hi> im er&#x017F;ten Sinn al&#x017F;o wird jedes dolo&#x017F;e Delict aus-<lb/>
&#x017F;chließen, die im zweyten Sinn dagegen nur in den be-<lb/>
&#x017F;chränkten Fällen der angegebenen Ausnahmen. Durch die&#x017F;e<lb/>
Zweydeutigkeit des Ausdrucks &#x017F;ind manche &#x017F;cheinbare Wi-<lb/>
der&#x017F;prüche in un&#x017F;ren Rechtsquellen aufzulö&#x017F;en <note xml:id="seg2pn_68_1" next="#seg2pn_68_2" place="foot" n="(c)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Coll</hi>. LL. <hi rendition="#k">Mos</hi>. et <hi rendition="#k">Rom</hi>.</hi></note>.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0401] Irrthum und Unwiſſenheit. Indeſſen iſt hierin noch folgender Unterſchied wohl zu beachten. Wenn der Handelnde das Strafgeſetz kennt, aber durch einen Rechtsirrthum über die ſtrafbare Beſchaf- fenheit ſeiner Handlung getäuſcht wird, ſo iſt der eben aufgeſtellte Satz allgemein wahr. Anders, was die Kennt- niß des Strafgeſetzes ſelbſt betrifft. Dieſe wird bey Jedem gefordert und vorausgeſetzt, und ihr Mangel ſchließt den Dolus und die Strafbarkeit nicht aus. Von dieſer Strenge ſind nur gewiſſe Klaſſen von Perſonen ausgenommen, de- nen auch die Rechtsunwiſſenheit überhaupt nachgeſehen wird; dahin gehört Minderjährigkeit, weibliches Geſchlecht, Rusticitas und Soldatenſtand. Jedoch ſind auch dieſe Klaſ- ſen nur bey denjenigen Strafgeſetzen ausgenommen, welche eine mehr poſitive Natur haben (juris civilis), nicht bey denen, welche ſchon dem natürlichen Rechtsgefühl einleuch- ten (juris gentium) (b). Der Ausdruck juris ignorantia nun iſt zweydeutig, indem er an ſich ſowohl auf die ſtraf- bare Natur der Handlung, als auf die Unbekanntſchaft mit dem Strafgeſetz bezogen werden kann; die juris igno- rantia im erſten Sinn alſo wird jedes doloſe Delict aus- ſchließen, die im zweyten Sinn dagegen nur in den be- ſchränkten Fällen der angegebenen Ausnahmen. Durch dieſe Zweydeutigkeit des Ausdrucks ſind manche ſcheinbare Wi- derſprüche in unſren Rechtsquellen aufzulöſen (c). (b) Der Unterſchied iſt deutlich anerkannt in L. 38 § 2. 4 ad L. J. de adult. (48. 5.), L. 2 C. de in jus voc. (2. 2.), welche Stel- len im Num. XXI., bey den ein- zelnen Delicten, benutzt werden ſollen. (c) Coll. LL. Mos. et Rom.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/401
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/401>, abgerufen am 22.11.2024.