Die hier aufgestellten Regeln gelten übrigens nur da, wo der Irrthum lediglich als solcher in Betracht kommt. Tritt also zu dem Irrthum des Einen der Betrug des Andern hinzu, so kommt lediglich die Regel des Betrugs, nicht die des Irrthums, zur Anwendung. Dann also er- scheint die in dem Irrthum vielleicht enthaltene Nachläs- sigkeit als ganz gleichgültig, und eben deshalb auch die besondere Natur des Rechtsirrthums. Es ist daher ganz einerley, ob durch den Betrug ein factischer, oder ein Rechtsirrthum in dem Betrogenen erzeugt worden ist.
VI.
Obgleich wir nun die besonderen Regeln für den fac- tischen und den Rechtsirrthum auf eine gemeinsame Regel zurückführen konnten, so müssen wir dennoch anerkennen, daß damit ein positives Princip für die Lehre vom Irr- thum keinesweges aufgefunden ist: ein positives Princip nämlich in dem Sinn, daß daraus die Wirksamkeit des Irrthums für jeden einzelnen Fall erkannt werden könnte. Wer z. B. eine Sache zu theuer bezahlt oder zu wohlfeil verkauft, weil er über ihren wahren Werth im Irrthum ist, wird gegen diesen Nachtheil nicht geschützt, ohne Un- terschied des factischen oder des Rechtsirrthums, des schuld- losen oder nachlässigen. Dagegen kann die irrige Zahlung einer Nichtschuld allerdings zurück gefordert werden, vor-
die Voraussetzung eines Rechts- irrthums an, und gebraucht sie als Beweis, daß dieser bey der condictio indebiti nicht schade.
Beylage VIII.
Die hier aufgeſtellten Regeln gelten übrigens nur da, wo der Irrthum lediglich als ſolcher in Betracht kommt. Tritt alſo zu dem Irrthum des Einen der Betrug des Andern hinzu, ſo kommt lediglich die Regel des Betrugs, nicht die des Irrthums, zur Anwendung. Dann alſo er- ſcheint die in dem Irrthum vielleicht enthaltene Nachläſ- ſigkeit als ganz gleichgültig, und eben deshalb auch die beſondere Natur des Rechtsirrthums. Es iſt daher ganz einerley, ob durch den Betrug ein factiſcher, oder ein Rechtsirrthum in dem Betrogenen erzeugt worden iſt.
VI.
Obgleich wir nun die beſonderen Regeln für den fac- tiſchen und den Rechtsirrthum auf eine gemeinſame Regel zurückführen konnten, ſo müſſen wir dennoch anerkennen, daß damit ein poſitives Princip für die Lehre vom Irr- thum keinesweges aufgefunden iſt: ein poſitives Princip nämlich in dem Sinn, daß daraus die Wirkſamkeit des Irrthums für jeden einzelnen Fall erkannt werden könnte. Wer z. B. eine Sache zu theuer bezahlt oder zu wohlfeil verkauft, weil er über ihren wahren Werth im Irrthum iſt, wird gegen dieſen Nachtheil nicht geſchützt, ohne Un- terſchied des factiſchen oder des Rechtsirrthums, des ſchuld- loſen oder nachläſſigen. Dagegen kann die irrige Zahlung einer Nichtſchuld allerdings zurück gefordert werden, vor-
die Vorausſetzung eines Rechts- irrthums an, und gebraucht ſie als Beweis, daß dieſer bey der condictio indebiti nicht ſchade.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0352"n="340"/><fwplace="top"type="header">Beylage <hirendition="#aq">VIII.</hi></fw><lb/><p>Die hier aufgeſtellten Regeln gelten übrigens nur da,<lb/>
wo der Irrthum lediglich als ſolcher in Betracht kommt.<lb/>
Tritt alſo zu dem Irrthum des Einen der Betrug des<lb/>
Andern hinzu, ſo kommt lediglich die Regel des Betrugs,<lb/>
nicht die des Irrthums, zur Anwendung. Dann alſo er-<lb/>ſcheint die in dem Irrthum vielleicht enthaltene Nachläſ-<lb/>ſigkeit als ganz gleichgültig, und eben deshalb auch die<lb/>
beſondere Natur des Rechtsirrthums. Es iſt daher ganz<lb/>
einerley, ob durch den Betrug ein factiſcher, oder ein<lb/>
Rechtsirrthum in dem Betrogenen erzeugt worden iſt.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#aq">VI.</hi></head><lb/><p>Obgleich wir nun die beſonderen Regeln für den fac-<lb/>
tiſchen und den Rechtsirrthum auf eine gemeinſame Regel<lb/>
zurückführen konnten, ſo müſſen wir dennoch anerkennen,<lb/>
daß damit ein poſitives Princip für die Lehre vom Irr-<lb/>
thum keinesweges aufgefunden iſt: ein poſitives Princip<lb/>
nämlich in dem Sinn, daß daraus die Wirkſamkeit des<lb/>
Irrthums für jeden einzelnen Fall erkannt werden könnte.<lb/>
Wer z. B. eine Sache zu theuer bezahlt oder zu wohlfeil<lb/>
verkauft, weil er über ihren wahren Werth im Irrthum<lb/>
iſt, wird gegen dieſen Nachtheil nicht geſchützt, ohne Un-<lb/>
terſchied des factiſchen oder des Rechtsirrthums, des ſchuld-<lb/>
loſen oder nachläſſigen. Dagegen kann die irrige Zahlung<lb/>
einer Nichtſchuld allerdings zurück gefordert werden, vor-<lb/><notexml:id="seg2pn_62_2"prev="#seg2pn_62_1"place="foot"n="(a)">die Vorausſetzung eines Rechts-<lb/>
irrthums an, und gebraucht ſie<lb/>
als Beweis, daß dieſer bey der<lb/><hirendition="#aq">condictio indebiti</hi> nicht ſchade.</note><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[340/0352]
Beylage VIII.
Die hier aufgeſtellten Regeln gelten übrigens nur da,
wo der Irrthum lediglich als ſolcher in Betracht kommt.
Tritt alſo zu dem Irrthum des Einen der Betrug des
Andern hinzu, ſo kommt lediglich die Regel des Betrugs,
nicht die des Irrthums, zur Anwendung. Dann alſo er-
ſcheint die in dem Irrthum vielleicht enthaltene Nachläſ-
ſigkeit als ganz gleichgültig, und eben deshalb auch die
beſondere Natur des Rechtsirrthums. Es iſt daher ganz
einerley, ob durch den Betrug ein factiſcher, oder ein
Rechtsirrthum in dem Betrogenen erzeugt worden iſt.
VI.
Obgleich wir nun die beſonderen Regeln für den fac-
tiſchen und den Rechtsirrthum auf eine gemeinſame Regel
zurückführen konnten, ſo müſſen wir dennoch anerkennen,
daß damit ein poſitives Princip für die Lehre vom Irr-
thum keinesweges aufgefunden iſt: ein poſitives Princip
nämlich in dem Sinn, daß daraus die Wirkſamkeit des
Irrthums für jeden einzelnen Fall erkannt werden könnte.
Wer z. B. eine Sache zu theuer bezahlt oder zu wohlfeil
verkauft, weil er über ihren wahren Werth im Irrthum
iſt, wird gegen dieſen Nachtheil nicht geſchützt, ohne Un-
terſchied des factiſchen oder des Rechtsirrthums, des ſchuld-
loſen oder nachläſſigen. Dagegen kann die irrige Zahlung
einer Nichtſchuld allerdings zurück gefordert werden, vor-
(a)
(a) die Vorausſetzung eines Rechts-
irrthums an, und gebraucht ſie
als Beweis, daß dieſer bey der
condictio indebiti nicht ſchade.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/352>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.