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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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§. 115. Zwang und Irrthum. (Fortsetzung.)
men, in welchen der unverschuldete Irrthum eigene Kla-
gen erzeugt, um die Willenserklärungen hinterher zu ent-
kräften: die ädilicischen Klagen, und die auf irrige causa
gegründeten Condictionen, insbesondere die wichtigste der-
selben, die condictio indebiti (e).



Allein alle diese Sätze finden doch nur da Anwendung,
wo der Irrthum für sich allein in Betracht kommt; denn
er kann, eben so wie die Furcht, eine andere Natur
annehmen, wenn eine besondere Entstehungsweise hinzuge-
dacht wird. Ist nämlich der Irrthum hervorgebracht durch
den unredlichen Willen eines Andern, das heißt durch Be-
trug, so hat dieser Fall eine unverkennbare Ähnlichkeit mit
dem des Zwanges. In beiden Fällen findet sich gleiche
Unsittlichkeit in der Einwirkung auf Andere; auch wird in
beiden recht eigentlich das Rechtsgebiet durch diese Unsitt-
lichkeit gestört. Denn das Wesen des Rechts geht auf
selbstständige Entwicklung der Einzelnen in lebendiger Ge-
meinschaft und Wechselwirkung. Die nothwendige Bedin-
gung aller Gemeinschaft aber ist Wahrhaftigkeit und das
durch sie begründete Vertrauen. So wie nun die Selbst-
ständigkeit beeinträchtigt wird durch den Zwang, so das
Vertrauen durch den Betrug. Daher kommen beide Arten
der Einwirkung auf Andere -- Zwang und Betrug -- in
folgenden Stücken überein. Beide haben eine unsittliche
Natur. Beide enthalten an sich kein Unrecht, aber sie grei-

(e) Beylage VIII. Num. XI.
8*

§. 115. Zwang und Irrthum. (Fortſetzung.)
men, in welchen der unverſchuldete Irrthum eigene Kla-
gen erzeugt, um die Willenserklärungen hinterher zu ent-
kräften: die aͤdiliciſchen Klagen, und die auf irrige causa
gegründeten Condictionen, insbeſondere die wichtigſte der-
ſelben, die condictio indebiti (e).



Allein alle dieſe Sätze finden doch nur da Anwendung,
wo der Irrthum für ſich allein in Betracht kommt; denn
er kann, eben ſo wie die Furcht, eine andere Natur
annehmen, wenn eine beſondere Entſtehungsweiſe hinzuge-
dacht wird. Iſt nämlich der Irrthum hervorgebracht durch
den unredlichen Willen eines Andern, das heißt durch Be-
trug, ſo hat dieſer Fall eine unverkennbare Ähnlichkeit mit
dem des Zwanges. In beiden Fällen findet ſich gleiche
Unſittlichkeit in der Einwirkung auf Andere; auch wird in
beiden recht eigentlich das Rechtsgebiet durch dieſe Unſitt-
lichkeit geſtoͤrt. Denn das Weſen des Rechts geht auf
ſelbſtſtändige Entwicklung der Einzelnen in lebendiger Ge-
meinſchaft und Wechſelwirkung. Die nothwendige Bedin-
gung aller Gemeinſchaft aber iſt Wahrhaftigkeit und das
durch ſie begruͤndete Vertrauen. So wie nun die Selbſt-
ſtändigkeit beeinträchtigt wird durch den Zwang, ſo das
Vertrauen durch den Betrug. Daher kommen beide Arten
der Einwirkung auf Andere — Zwang und Betrug — in
folgenden Stücken überein. Beide haben eine unſittliche
Natur. Beide enthalten an ſich kein Unrecht, aber ſie grei-

(e) Beylage VIII. Num. XI.
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[115/0127] §. 115. Zwang und Irrthum. (Fortſetzung.) men, in welchen der unverſchuldete Irrthum eigene Kla- gen erzeugt, um die Willenserklärungen hinterher zu ent- kräften: die aͤdiliciſchen Klagen, und die auf irrige causa gegründeten Condictionen, insbeſondere die wichtigſte der- ſelben, die condictio indebiti (e). Allein alle dieſe Sätze finden doch nur da Anwendung, wo der Irrthum für ſich allein in Betracht kommt; denn er kann, eben ſo wie die Furcht, eine andere Natur annehmen, wenn eine beſondere Entſtehungsweiſe hinzuge- dacht wird. Iſt nämlich der Irrthum hervorgebracht durch den unredlichen Willen eines Andern, das heißt durch Be- trug, ſo hat dieſer Fall eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem des Zwanges. In beiden Fällen findet ſich gleiche Unſittlichkeit in der Einwirkung auf Andere; auch wird in beiden recht eigentlich das Rechtsgebiet durch dieſe Unſitt- lichkeit geſtoͤrt. Denn das Weſen des Rechts geht auf ſelbſtſtändige Entwicklung der Einzelnen in lebendiger Ge- meinſchaft und Wechſelwirkung. Die nothwendige Bedin- gung aller Gemeinſchaft aber iſt Wahrhaftigkeit und das durch ſie begruͤndete Vertrauen. So wie nun die Selbſt- ſtändigkeit beeinträchtigt wird durch den Zwang, ſo das Vertrauen durch den Betrug. Daher kommen beide Arten der Einwirkung auf Andere — Zwang und Betrug — in folgenden Stücken überein. Beide haben eine unſittliche Natur. Beide enthalten an ſich kein Unrecht, aber ſie grei- (e) Beylage VIII. Num. XI. 8*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/127>, abgerufen am 26.11.2024.