Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Beylage VII.
Grund der Infamie, und er gebrauchte zur Bestimmung
des Begriffs einer übereilten Ehe denjenigen Zeitraum,
worin der Sitte nach die Wittwe ihren Mann in der Re-
gel zu betrauern hatte (e). Es lag nun sehr nahe, das-
jenige, was hier als Zeitbestimmung für den Fall der In-
famie dienen sollte, als den Grund der Strafbarkeit an-
zusehen, da doch dieser Grund lediglich in der Gefahr
lag, daß für ein bald nachher gebornes Kind der wahre
Erzeuger ungewiß werden konnte.

Die Richtigkeit dieser Ansicht wird von Ulpian durch
folgende Äußerungen ganz außer Zweifel gesetzt. Er sagt
ausdrücklich, daß die im Edict vorkommende Erwähnung
der Trauer eine bloße Zeitbestimmung sey (f), und er be-
stätigt diese Behauptung durch zwey ganz entscheidende Fol-
gerungen: erstlich, daß die Infamie nicht dadurch abge-
wendet wurde, wenn etwa der Verstorbene die Ehre der
Trauer (z. B. durch Hochverrath oder durch Selbstmord
aus Furcht vor einer Strafe) verwirkt hatte (g); zwey-
tens, daß umgekehrt das Verbot und die Infamie ganz
wegfiel, wenn die Wittwe nach des Mannes Tod ein
Kind geboren hatte, weil dadurch, wenngleich die Trauer-
zeit noch nicht abgelaufen war, dennoch die turbatio san-
guinis
unmöglich wurde (h). Eine eben so nothwendige

(e) "intra id tempus, quo
"elugere virum moris est, an-
"tequam virum elugeret."
(f) L. 11 § 1 ds his qui not.
(3. 2.). "Praetor enim ad id
tempus se retulit,
quo vir elu-
geretur qui solet elugeri, pro-
pter turbationem sanguinis.
"
(g) L. 11 § 1. 3 de his qui
not.
(3. 2.).
(h) L. 11 § 2 de his qui not.
"Pomponius eam, quae intra

Beylage VII.
Grund der Infamie, und er gebrauchte zur Beſtimmung
des Begriffs einer übereilten Ehe denjenigen Zeitraum,
worin der Sitte nach die Wittwe ihren Mann in der Re-
gel zu betrauern hatte (e). Es lag nun ſehr nahe, das-
jenige, was hier als Zeitbeſtimmung für den Fall der In-
famie dienen ſollte, als den Grund der Strafbarkeit an-
zuſehen, da doch dieſer Grund lediglich in der Gefahr
lag, daß für ein bald nachher gebornes Kind der wahre
Erzeuger ungewiß werden konnte.

Die Richtigkeit dieſer Anſicht wird von Ulpian durch
folgende Äußerungen ganz außer Zweifel geſetzt. Er ſagt
ausdrücklich, daß die im Edict vorkommende Erwähnung
der Trauer eine bloße Zeitbeſtimmung ſey (f), und er be-
ſtätigt dieſe Behauptung durch zwey ganz entſcheidende Fol-
gerungen: erſtlich, daß die Infamie nicht dadurch abge-
wendet wurde, wenn etwa der Verſtorbene die Ehre der
Trauer (z. B. durch Hochverrath oder durch Selbſtmord
aus Furcht vor einer Strafe) verwirkt hatte (g); zwey-
tens, daß umgekehrt das Verbot und die Infamie ganz
wegfiel, wenn die Wittwe nach des Mannes Tod ein
Kind geboren hatte, weil dadurch, wenngleich die Trauer-
zeit noch nicht abgelaufen war, dennoch die turbatio san-
guinis
unmöglich wurde (h). Eine eben ſo nothwendige

(e) intra id tempus, quo
„elugere virum moris est, an-
tequam virum elugeret.”
(f) L. 11 § 1 ds his qui not.
(3. 2.). „Praetor enim ad id
tempus se retulit,
quo vir elu-
geretur qui solet elugeri, pro-
pter turbationem sanguinis.
(g) L. 11 § 1. 3 de his qui
not.
(3. 2.).
(h) L. 11 § 2 de his qui not.
„Pomponius eam, quae intra
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0548" n="534"/><fw place="top" type="header">Beylage <hi rendition="#aq">VII.</hi></fw><lb/>
Grund der Infamie, und er gebrauchte zur Be&#x017F;timmung<lb/>
des Begriffs einer übereilten Ehe denjenigen Zeitraum,<lb/>
worin der Sitte nach die Wittwe ihren Mann in der Re-<lb/>
gel zu betrauern hatte <note place="foot" n="(e)"><hi rendition="#aq">&#x201E;<hi rendition="#i">intra id tempus,</hi> quo<lb/>
&#x201E;elugere virum moris est, <hi rendition="#i">an-</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#i">tequam</hi> virum elugeret.&#x201D;</hi></note>. Es lag nun &#x017F;ehr nahe, das-<lb/>
jenige, was hier als Zeitbe&#x017F;timmung für den Fall der In-<lb/>
famie dienen &#x017F;ollte, als den Grund der Strafbarkeit an-<lb/>
zu&#x017F;ehen, da doch die&#x017F;er Grund lediglich in der Gefahr<lb/>
lag, daß für ein bald nachher gebornes Kind der wahre<lb/>
Erzeuger ungewiß werden konnte.</p><lb/>
            <p>Die Richtigkeit die&#x017F;er An&#x017F;icht wird von Ulpian durch<lb/>
folgende Äußerungen ganz außer Zweifel ge&#x017F;etzt. Er &#x017F;agt<lb/>
ausdrücklich, daß die im Edict vorkommende Erwähnung<lb/>
der Trauer eine bloße Zeitbe&#x017F;timmung &#x017F;ey <note place="foot" n="(f)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 11 § 1 <hi rendition="#i">ds his qui not.</hi><lb/>
(3. 2.). &#x201E;Praetor enim <hi rendition="#i">ad id<lb/>
tempus se retulit,</hi> quo vir elu-<lb/>
geretur qui solet elugeri, <hi rendition="#i">pro-<lb/>
pter turbationem sanguinis.</hi>&#x201D;</hi></note>, und er be-<lb/>
&#x017F;tätigt die&#x017F;e Behauptung durch zwey ganz ent&#x017F;cheidende Fol-<lb/>
gerungen: er&#x017F;tlich, daß die Infamie nicht dadurch abge-<lb/>
wendet wurde, wenn etwa der Ver&#x017F;torbene die Ehre der<lb/>
Trauer (z. B. durch Hochverrath oder durch Selb&#x017F;tmord<lb/>
aus Furcht vor einer Strafe) verwirkt hatte <note place="foot" n="(g)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 11 § 1. 3 <hi rendition="#i">de his qui<lb/>
not.</hi></hi> (3. 2.).</note>; zwey-<lb/>
tens, daß umgekehrt das Verbot und die Infamie ganz<lb/>
wegfiel, wenn die Wittwe nach des Mannes Tod ein<lb/>
Kind geboren hatte, weil dadurch, wenngleich die Trauer-<lb/>
zeit noch nicht abgelaufen war, dennoch die <hi rendition="#aq">turbatio san-<lb/>
guinis</hi> unmöglich wurde <note xml:id="seg2pn_87_1" next="#seg2pn_87_2" place="foot" n="(h)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 11 § 2 <hi rendition="#i">de his qui not.</hi><lb/>
&#x201E;Pomponius eam, quae intra</hi></note>. Eine eben &#x017F;o nothwendige<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[534/0548] Beylage VII. Grund der Infamie, und er gebrauchte zur Beſtimmung des Begriffs einer übereilten Ehe denjenigen Zeitraum, worin der Sitte nach die Wittwe ihren Mann in der Re- gel zu betrauern hatte (e). Es lag nun ſehr nahe, das- jenige, was hier als Zeitbeſtimmung für den Fall der In- famie dienen ſollte, als den Grund der Strafbarkeit an- zuſehen, da doch dieſer Grund lediglich in der Gefahr lag, daß für ein bald nachher gebornes Kind der wahre Erzeuger ungewiß werden konnte. Die Richtigkeit dieſer Anſicht wird von Ulpian durch folgende Äußerungen ganz außer Zweifel geſetzt. Er ſagt ausdrücklich, daß die im Edict vorkommende Erwähnung der Trauer eine bloße Zeitbeſtimmung ſey (f), und er be- ſtätigt dieſe Behauptung durch zwey ganz entſcheidende Fol- gerungen: erſtlich, daß die Infamie nicht dadurch abge- wendet wurde, wenn etwa der Verſtorbene die Ehre der Trauer (z. B. durch Hochverrath oder durch Selbſtmord aus Furcht vor einer Strafe) verwirkt hatte (g); zwey- tens, daß umgekehrt das Verbot und die Infamie ganz wegfiel, wenn die Wittwe nach des Mannes Tod ein Kind geboren hatte, weil dadurch, wenngleich die Trauer- zeit noch nicht abgelaufen war, dennoch die turbatio san- guinis unmöglich wurde (h). Eine eben ſo nothwendige (e) „intra id tempus, quo „elugere virum moris est, an- „tequam virum elugeret.” (f) L. 11 § 1 ds his qui not. (3. 2.). „Praetor enim ad id tempus se retulit, quo vir elu- geretur qui solet elugeri, pro- pter turbationem sanguinis.” (g) L. 11 § 1. 3 de his qui not. (3. 2.). (h) L. 11 § 2 de his qui not. „Pomponius eam, quae intra

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/548
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/548>, abgerufen am 25.11.2024.