Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.Infamie. Cölibats zu verfallen, weil sonst widersinnigerweise dieFrau durch jeden möglichen Entschluß in irgend eine der ihr von zwey Seiten her drohenden Strafen verfallen wäre. Allein eine solche vacatio gab einer Frau nur allein der Tod ihres Ehegatten (b), nicht der ihrer Verwandten; also muß auch die Ehe nicht als eine strafbare Verletzung der Trauerpflicht gegen die Verwandten angesehen wor- den seyn. -- Ferner wird gerade umgekehrt die Trauer einer Frau abgekürzt (d. h. ausnahmsweise beendigt) da- durch daß sie sich verlobt (c): wenn also nun auf das Verlöbniß die Ehe selbst folgt, so geschieht dieses ja zu einer Zeit, worin die Trauer bereits beendigt ist, die also dadurch nicht mehr verletzt werden kann. -- Auch werden in dem Gesetz, welches über diesen Gegenstand dem Numa zugeschrieben wird, beide Vorschriften als verschiedene ne- ben einander gestellt: Verstorbene eine bestimmte Zeit lang zu betrauern, und nach dem Tod des Ehemannes einige Zeit hindurch eine neue Ehe zu vermeiden (d). -- Endlich läßt sich auch leicht erklären, wie die Verwechslung ent- standen ist, wozu die Veranlassung in der That nahe lag. Der Prätor erklärte die übereilte zweyte Ehe für einen (b) Ulpian. tit. XIV. "Femi- nis lex Julia a morte viri anni tribuit vacationem, a divortio sex menses: lex autem Papia a morte viri biennium, a re- pudio annum et sex menses." (c) Festus s. v. "Minuitur populo luctus aedis dedicatione ... privatis autem, cum liberi nati sunt ... cum desponsa est" rel. (d) Plutarch. Numa C. 12.
Über die verschiedenen Versuche, das Gesetz des Numa herzustel- len, d. h. den praktischen Sinn jener Stelle zu fixiren, vgl. Dirk- sen Versuche S. 331. Infamie. Cölibats zu verfallen, weil ſonſt widerſinnigerweiſe dieFrau durch jeden möglichen Entſchluß in irgend eine der ihr von zwey Seiten her drohenden Strafen verfallen wäre. Allein eine ſolche vacatio gab einer Frau nur allein der Tod ihres Ehegatten (b), nicht der ihrer Verwandten; alſo muß auch die Ehe nicht als eine ſtrafbare Verletzung der Trauerpflicht gegen die Verwandten angeſehen wor- den ſeyn. — Ferner wird gerade umgekehrt die Trauer einer Frau abgekürzt (d. h. ausnahmsweiſe beendigt) da- durch daß ſie ſich verlobt (c): wenn alſo nun auf das Verlöbniß die Ehe ſelbſt folgt, ſo geſchieht dieſes ja zu einer Zeit, worin die Trauer bereits beendigt iſt, die alſo dadurch nicht mehr verletzt werden kann. — Auch werden in dem Geſetz, welches über dieſen Gegenſtand dem Numa zugeſchrieben wird, beide Vorſchriften als verſchiedene ne- ben einander geſtellt: Verſtorbene eine beſtimmte Zeit lang zu betrauern, und nach dem Tod des Ehemannes einige Zeit hindurch eine neue Ehe zu vermeiden (d). — Endlich läßt ſich auch leicht erklären, wie die Verwechslung ent- ſtanden iſt, wozu die Veranlaſſung in der That nahe lag. Der Prätor erklärte die übereilte zweyte Ehe für einen (b) Ulpian. tit. XIV. „Femi- nis lex Julia a morte viri anni tribuit vacationem, a divortio sex menses: lex autem Papia a morte viri biennium, a re- pudio annum et sex menses.” (c) Festus s. v. „Minuitur populo luctus aedis dedicatione … privatis autem, cum liberi nati sunt … cum desponsa est” rel. (d) Plutarch. Numa C. 12.
Über die verſchiedenen Verſuche, das Geſetz des Numa herzuſtel- len, d. h. den praktiſchen Sinn jener Stelle zu fixiren, vgl. Dirk- ſen Verſuche S. 331. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0547" n="533"/><fw place="top" type="header">Infamie.</fw><lb/> Cölibats zu verfallen, weil ſonſt widerſinnigerweiſe die<lb/> Frau durch jeden möglichen Entſchluß in irgend eine der<lb/> ihr von zwey Seiten her drohenden Strafen verfallen<lb/> wäre. Allein eine ſolche <hi rendition="#aq">vacatio</hi> gab einer Frau nur allein<lb/> der Tod ihres Ehegatten <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Ulpian.</hi> tit. XIV. „Femi-<lb/> nis lex Julia <hi rendition="#i">a morte viri anni<lb/> tribuit vacationem,</hi> a divortio<lb/> sex menses: lex autem Papia<lb/><hi rendition="#i">a morte viri biennium,</hi> a re-<lb/> pudio annum et sex menses.”</hi></note>, nicht der ihrer Verwandten;<lb/> alſo muß auch die Ehe nicht als eine ſtrafbare Verletzung<lb/> der Trauerpflicht gegen die Verwandten angeſehen wor-<lb/> den ſeyn. — Ferner wird gerade umgekehrt die Trauer<lb/> einer Frau abgekürzt (d. h. ausnahmsweiſe beendigt) da-<lb/> durch daß ſie ſich verlobt <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k"><choice><sic>Ffstus</sic><corr>Festus</corr></choice></hi> s. v. „<hi rendition="#i">Minuitur</hi><lb/> populo luctus aedis dedicatione<lb/> … privatis autem, cum liberi<lb/> nati sunt … <hi rendition="#i">cum desponsa est</hi>”<lb/> rel.</hi></note>: wenn alſo nun auf das<lb/> Verlöbniß die Ehe ſelbſt folgt, ſo geſchieht dieſes ja zu<lb/> einer Zeit, worin die Trauer bereits beendigt iſt, die alſo<lb/> dadurch nicht mehr verletzt werden kann. — Auch werden<lb/> in dem Geſetz, welches über dieſen Gegenſtand dem Numa<lb/> zugeſchrieben wird, beide Vorſchriften als verſchiedene ne-<lb/> ben einander geſtellt: Verſtorbene eine beſtimmte Zeit lang<lb/> zu betrauern, und nach dem Tod des Ehemannes einige<lb/> Zeit hindurch eine neue Ehe zu vermeiden <note place="foot" n="(d)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Plutarch</hi>. Numa C.</hi> 12.<lb/> Über die verſchiedenen Verſuche,<lb/> das Geſetz des Numa herzuſtel-<lb/> len, d. h. den praktiſchen Sinn<lb/> jener Stelle zu fixiren, vgl. <hi rendition="#g">Dirk-<lb/> ſen</hi> Verſuche S. 331.</note>. — Endlich<lb/> läßt ſich auch leicht erklären, wie die Verwechslung ent-<lb/> ſtanden iſt, wozu die Veranlaſſung in der That nahe lag.<lb/> Der Prätor erklärte die übereilte zweyte Ehe für einen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [533/0547]
Infamie.
Cölibats zu verfallen, weil ſonſt widerſinnigerweiſe die
Frau durch jeden möglichen Entſchluß in irgend eine der
ihr von zwey Seiten her drohenden Strafen verfallen
wäre. Allein eine ſolche vacatio gab einer Frau nur allein
der Tod ihres Ehegatten (b), nicht der ihrer Verwandten;
alſo muß auch die Ehe nicht als eine ſtrafbare Verletzung
der Trauerpflicht gegen die Verwandten angeſehen wor-
den ſeyn. — Ferner wird gerade umgekehrt die Trauer
einer Frau abgekürzt (d. h. ausnahmsweiſe beendigt) da-
durch daß ſie ſich verlobt (c): wenn alſo nun auf das
Verlöbniß die Ehe ſelbſt folgt, ſo geſchieht dieſes ja zu
einer Zeit, worin die Trauer bereits beendigt iſt, die alſo
dadurch nicht mehr verletzt werden kann. — Auch werden
in dem Geſetz, welches über dieſen Gegenſtand dem Numa
zugeſchrieben wird, beide Vorſchriften als verſchiedene ne-
ben einander geſtellt: Verſtorbene eine beſtimmte Zeit lang
zu betrauern, und nach dem Tod des Ehemannes einige
Zeit hindurch eine neue Ehe zu vermeiden (d). — Endlich
läßt ſich auch leicht erklären, wie die Verwechslung ent-
ſtanden iſt, wozu die Veranlaſſung in der That nahe lag.
Der Prätor erklärte die übereilte zweyte Ehe für einen
(b) Ulpian. tit. XIV. „Femi-
nis lex Julia a morte viri anni
tribuit vacationem, a divortio
sex menses: lex autem Papia
a morte viri biennium, a re-
pudio annum et sex menses.”
(c) Festus s. v. „Minuitur
populo luctus aedis dedicatione
… privatis autem, cum liberi
nati sunt … cum desponsa est”
rel.
(d) Plutarch. Numa C. 12.
Über die verſchiedenen Verſuche,
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jener Stelle zu fixiren, vgl. Dirk-
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