durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verlust der Agnation ist Verlust eines bestimmten erworbenen Rechts, gerade so wie der Verlust des Eigenthums an einem Hause: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht. So wenig nun irgend Jemand die Verarmung eine Capi- tis deminutio nennt, so wenig kann consequenterweise der Verlust der Agnation als solcher mit jenem Namen be- zeichnet werden.
Von der einen Seite also ist kein Grund vorhanden, den Verlust der Agnation mit dem Verlust der Freyheit oder der Civität als gleichartig zu behandeln. Eben so aber erscheint es auch auf der andern Seite als inconse- quent, denselben von anderen Ereignissen zu isoliren, mit welchen er doch in der That ganz gleichartig ist. Denn das Wesen desselben besteht in dem Ausscheiden aus einem einzelnen Familienverhältniß, wodurch uns zugleich der Erwerb mancher anderen Rechte (hauptsächlich Erbschaft) entzogen werden kann. Wenn nun hierin ein Grund lie- gen soll, die aufgehobene Agnation eine Capitis deminutio zu nennen, so ist gar nicht zu begreifen, warum so manche Ereignisse nicht denselben Namen führen sollen, für welche ihn doch Niemand in Anspruch nimmt.
So z. B. die Ehescheidung. Der Mann scheidet aus diesem wichtigen Familienverhältniß aus, und verliert da- durch die (erst von Justinian aufgehobene) Aussicht, durch den Tod der Frau die Dos für immer mit seinem Ver- mögen zu vereinigen. Ich weiß nicht, warum diese Er-
Beylage VI.
durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verluſt der Agnation iſt Verluſt eines beſtimmten erworbenen Rechts, gerade ſo wie der Verluſt des Eigenthums an einem Hauſe: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht. So wenig nun irgend Jemand die Verarmung eine Capi- tis deminutio nennt, ſo wenig kann conſequenterweiſe der Verluſt der Agnation als ſolcher mit jenem Namen be- zeichnet werden.
Von der einen Seite alſo iſt kein Grund vorhanden, den Verluſt der Agnation mit dem Verluſt der Freyheit oder der Civität als gleichartig zu behandeln. Eben ſo aber erſcheint es auch auf der andern Seite als inconſe- quent, denſelben von anderen Ereigniſſen zu iſoliren, mit welchen er doch in der That ganz gleichartig iſt. Denn das Weſen deſſelben beſteht in dem Ausſcheiden aus einem einzelnen Familienverhältniß, wodurch uns zugleich der Erwerb mancher anderen Rechte (hauptſächlich Erbſchaft) entzogen werden kann. Wenn nun hierin ein Grund lie- gen ſoll, die aufgehobene Agnation eine Capitis deminutio zu nennen, ſo iſt gar nicht zu begreifen, warum ſo manche Ereigniſſe nicht denſelben Namen führen ſollen, für welche ihn doch Niemand in Anſpruch nimmt.
So z. B. die Eheſcheidung. Der Mann ſcheidet aus dieſem wichtigen Familienverhältniß aus, und verliert da- durch die (erſt von Juſtinian aufgehobene) Ausſicht, durch den Tod der Frau die Dos für immer mit ſeinem Ver- mögen zu vereinigen. Ich weiß nicht, warum dieſe Er-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0502"n="488"/><fwplace="top"type="header">Beylage <hirendition="#aq">VI.</hi></fw><lb/>
durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verluſt<lb/>
der Agnation iſt Verluſt eines beſtimmten erworbenen<lb/>
Rechts, gerade ſo wie der Verluſt des Eigenthums an<lb/>
einem Hauſe: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht.<lb/>
So wenig nun irgend Jemand die Verarmung eine <hirendition="#aq">Capi-<lb/>
tis deminutio</hi> nennt, ſo wenig kann conſequenterweiſe der<lb/>
Verluſt der Agnation als ſolcher mit jenem Namen be-<lb/>
zeichnet werden.</p><lb/><p>Von der einen Seite alſo iſt kein Grund vorhanden,<lb/>
den Verluſt der Agnation mit dem Verluſt der Freyheit<lb/>
oder der Civität als gleichartig zu behandeln. Eben ſo<lb/>
aber erſcheint es auch auf der andern Seite als inconſe-<lb/>
quent, denſelben von anderen Ereigniſſen zu iſoliren, mit<lb/>
welchen er doch in der That ganz gleichartig iſt. Denn<lb/>
das Weſen deſſelben beſteht in dem Ausſcheiden aus einem<lb/>
einzelnen Familienverhältniß, wodurch uns zugleich der<lb/>
Erwerb mancher anderen Rechte (hauptſächlich Erbſchaft)<lb/>
entzogen werden kann. Wenn nun hierin ein Grund lie-<lb/>
gen ſoll, die aufgehobene Agnation eine <hirendition="#aq">Capitis deminutio</hi><lb/>
zu nennen, ſo iſt gar nicht zu begreifen, warum ſo manche<lb/>
Ereigniſſe nicht denſelben Namen führen ſollen, für welche<lb/>
ihn doch Niemand in Anſpruch nimmt.</p><lb/><p>So z. B. die Eheſcheidung. Der Mann ſcheidet aus<lb/>
dieſem wichtigen Familienverhältniß aus, und verliert da-<lb/>
durch die (erſt von Juſtinian aufgehobene) Ausſicht, durch<lb/>
den Tod der Frau die Dos für immer mit ſeinem Ver-<lb/>
mögen zu vereinigen. Ich weiß nicht, warum dieſe Er-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[488/0502]
Beylage VI.
durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verluſt
der Agnation iſt Verluſt eines beſtimmten erworbenen
Rechts, gerade ſo wie der Verluſt des Eigenthums an
einem Hauſe: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht.
So wenig nun irgend Jemand die Verarmung eine Capi-
tis deminutio nennt, ſo wenig kann conſequenterweiſe der
Verluſt der Agnation als ſolcher mit jenem Namen be-
zeichnet werden.
Von der einen Seite alſo iſt kein Grund vorhanden,
den Verluſt der Agnation mit dem Verluſt der Freyheit
oder der Civität als gleichartig zu behandeln. Eben ſo
aber erſcheint es auch auf der andern Seite als inconſe-
quent, denſelben von anderen Ereigniſſen zu iſoliren, mit
welchen er doch in der That ganz gleichartig iſt. Denn
das Weſen deſſelben beſteht in dem Ausſcheiden aus einem
einzelnen Familienverhältniß, wodurch uns zugleich der
Erwerb mancher anderen Rechte (hauptſächlich Erbſchaft)
entzogen werden kann. Wenn nun hierin ein Grund lie-
gen ſoll, die aufgehobene Agnation eine Capitis deminutio
zu nennen, ſo iſt gar nicht zu begreifen, warum ſo manche
Ereigniſſe nicht denſelben Namen führen ſollen, für welche
ihn doch Niemand in Anſpruch nimmt.
So z. B. die Eheſcheidung. Der Mann ſcheidet aus
dieſem wichtigen Familienverhältniß aus, und verliert da-
durch die (erſt von Juſtinian aufgehobene) Ausſicht, durch
den Tod der Frau die Dos für immer mit ſeinem Ver-
mögen zu vereinigen. Ich weiß nicht, warum dieſe Er-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/502>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.