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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Beylage VI.
durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verlust
der Agnation ist Verlust eines bestimmten erworbenen
Rechts, gerade so wie der Verlust des Eigenthums an
einem Hause: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht.
So wenig nun irgend Jemand die Verarmung eine Capi-
tis deminutio
nennt, so wenig kann consequenterweise der
Verlust der Agnation als solcher mit jenem Namen be-
zeichnet werden.

Von der einen Seite also ist kein Grund vorhanden,
den Verlust der Agnation mit dem Verlust der Freyheit
oder der Civität als gleichartig zu behandeln. Eben so
aber erscheint es auch auf der andern Seite als inconse-
quent, denselben von anderen Ereignissen zu isoliren, mit
welchen er doch in der That ganz gleichartig ist. Denn
das Wesen desselben besteht in dem Ausscheiden aus einem
einzelnen Familienverhältniß, wodurch uns zugleich der
Erwerb mancher anderen Rechte (hauptsächlich Erbschaft)
entzogen werden kann. Wenn nun hierin ein Grund lie-
gen soll, die aufgehobene Agnation eine Capitis deminutio
zu nennen, so ist gar nicht zu begreifen, warum so manche
Ereignisse nicht denselben Namen führen sollen, für welche
ihn doch Niemand in Anspruch nimmt.

So z. B. die Ehescheidung. Der Mann scheidet aus
diesem wichtigen Familienverhältniß aus, und verliert da-
durch die (erst von Justinian aufgehobene) Aussicht, durch
den Tod der Frau die Dos für immer mit seinem Ver-
mögen zu vereinigen. Ich weiß nicht, warum diese Er-

Beylage VI.
durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verluſt
der Agnation iſt Verluſt eines beſtimmten erworbenen
Rechts, gerade ſo wie der Verluſt des Eigenthums an
einem Hauſe: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht.
So wenig nun irgend Jemand die Verarmung eine Capi-
tis deminutio
nennt, ſo wenig kann conſequenterweiſe der
Verluſt der Agnation als ſolcher mit jenem Namen be-
zeichnet werden.

Von der einen Seite alſo iſt kein Grund vorhanden,
den Verluſt der Agnation mit dem Verluſt der Freyheit
oder der Civität als gleichartig zu behandeln. Eben ſo
aber erſcheint es auch auf der andern Seite als inconſe-
quent, denſelben von anderen Ereigniſſen zu iſoliren, mit
welchen er doch in der That ganz gleichartig iſt. Denn
das Weſen deſſelben beſteht in dem Ausſcheiden aus einem
einzelnen Familienverhältniß, wodurch uns zugleich der
Erwerb mancher anderen Rechte (hauptſächlich Erbſchaft)
entzogen werden kann. Wenn nun hierin ein Grund lie-
gen ſoll, die aufgehobene Agnation eine Capitis deminutio
zu nennen, ſo iſt gar nicht zu begreifen, warum ſo manche
Ereigniſſe nicht denſelben Namen führen ſollen, für welche
ihn doch Niemand in Anſpruch nimmt.

So z. B. die Eheſcheidung. Der Mann ſcheidet aus
dieſem wichtigen Familienverhältniß aus, und verliert da-
durch die (erſt von Juſtinian aufgehobene) Ausſicht, durch
den Tod der Frau die Dos für immer mit ſeinem Ver-
mögen zu vereinigen. Ich weiß nicht, warum dieſe Er-

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[488/0502] Beylage VI. durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verluſt der Agnation iſt Verluſt eines beſtimmten erworbenen Rechts, gerade ſo wie der Verluſt des Eigenthums an einem Hauſe: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht. So wenig nun irgend Jemand die Verarmung eine Capi- tis deminutio nennt, ſo wenig kann conſequenterweiſe der Verluſt der Agnation als ſolcher mit jenem Namen be- zeichnet werden. Von der einen Seite alſo iſt kein Grund vorhanden, den Verluſt der Agnation mit dem Verluſt der Freyheit oder der Civität als gleichartig zu behandeln. Eben ſo aber erſcheint es auch auf der andern Seite als inconſe- quent, denſelben von anderen Ereigniſſen zu iſoliren, mit welchen er doch in der That ganz gleichartig iſt. Denn das Weſen deſſelben beſteht in dem Ausſcheiden aus einem einzelnen Familienverhältniß, wodurch uns zugleich der Erwerb mancher anderen Rechte (hauptſächlich Erbſchaft) entzogen werden kann. Wenn nun hierin ein Grund lie- gen ſoll, die aufgehobene Agnation eine Capitis deminutio zu nennen, ſo iſt gar nicht zu begreifen, warum ſo manche Ereigniſſe nicht denſelben Namen führen ſollen, für welche ihn doch Niemand in Anſpruch nimmt. So z. B. die Eheſcheidung. Der Mann ſcheidet aus dieſem wichtigen Familienverhältniß aus, und verliert da- durch die (erſt von Juſtinian aufgehobene) Ausſicht, durch den Tod der Frau die Dos für immer mit ſeinem Ver- mögen zu vereinigen. Ich weiß nicht, warum dieſe Er-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/502>, abgerufen am 22.11.2024.