heit, indem Pythagoras eine lebendige Geburt erst mit dem 210ten Tage als möglich annimmt, das Römische Recht aber (und gerade Paulus selbst, in dieser unsrer Stelle) schon einen vollen Monat früher, und zwar ohne Beschränkung auf einen bestimmten einzelnen Tag. Hier- aus folgt also, daß bey Paulus die Berufung auf die Autorität des Pythagoras Nichts ist, als eine unnütze, ja selbst verkehrt angebrachte Gelehrsamkeit: verkehrt, weil die Regel des Römischen Rechts und die des Pythagoras in der That ganz verschieden sind, und auch nach der Angabe des Paulus Nichts mit einander gemein haben, als die gleichlautenden (aber in verschiedenem Sinn ge- brauchten) Worte septimo mense.
Aus dieser Untersuchung ergiebt sich Folgendes. Paulus sagt, ein zwar lebendes, aber nicht lebensfähiges (d. h. nicht wenigstens siebenmonatliches) Kind kann nicht mitge- rechnet werden unter die drey Kinder, durch welche die Mutter einen Anspruch auf das Sc. Tertullianum erwirbt. Man könnte zweifeln, ob dieses etwa nur eine Meynung dieses einzelnen Juristen gewesen sey; ich glaube dieses nicht, weil Gellius von einem Rechtsstreit erzählt, der sogar ein Kind des achten Monats betraf; es scheint also vielmehr, daß die Anfangs schwankende Meynung sich zu- letzt zu der festen Regel ausgebildet hat, wodurch nur die vor dem Anfang des siebenten Monats der Schwangerschaft geborenen Kinder nicht mitzählen sollten. Aber bey Paulus und bey Gellius betrifft jene Regel lediglich die Begrün-
Vitalität.
heit, indem Pythagoras eine lebendige Geburt erſt mit dem 210ten Tage als möglich annimmt, das Römiſche Recht aber (und gerade Paulus ſelbſt, in dieſer unſrer Stelle) ſchon einen vollen Monat früher, und zwar ohne Beſchränkung auf einen beſtimmten einzelnen Tag. Hier- aus folgt alſo, daß bey Paulus die Berufung auf die Autorität des Pythagoras Nichts iſt, als eine unnütze, ja ſelbſt verkehrt angebrachte Gelehrſamkeit: verkehrt, weil die Regel des Römiſchen Rechts und die des Pythagoras in der That ganz verſchieden ſind, und auch nach der Angabe des Paulus Nichts mit einander gemein haben, als die gleichlautenden (aber in verſchiedenem Sinn ge- brauchten) Worte septimo mense.
Aus dieſer Unterſuchung ergiebt ſich Folgendes. Paulus ſagt, ein zwar lebendes, aber nicht lebensfähiges (d. h. nicht wenigſtens ſiebenmonatliches) Kind kann nicht mitge- rechnet werden unter die drey Kinder, durch welche die Mutter einen Anſpruch auf das Sc. Tertullianum erwirbt. Man könnte zweifeln, ob dieſes etwa nur eine Meynung dieſes einzelnen Juriſten geweſen ſey; ich glaube dieſes nicht, weil Gellius von einem Rechtsſtreit erzählt, der ſogar ein Kind des achten Monats betraf; es ſcheint alſo vielmehr, daß die Anfangs ſchwankende Meynung ſich zu- letzt zu der feſten Regel ausgebildet hat, wodurch nur die vor dem Anfang des ſiebenten Monats der Schwangerſchaft geborenen Kinder nicht mitzählen ſollten. Aber bey Paulus und bey Gellius betrifft jene Regel lediglich die Begrün-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0421"n="407"/><fwplace="top"type="header">Vitalität.</fw><lb/>
heit, indem Pythagoras eine lebendige Geburt erſt mit<lb/>
dem 210ten Tage als möglich annimmt, das Römiſche<lb/>
Recht aber (und gerade Paulus ſelbſt, in dieſer unſrer<lb/>
Stelle) ſchon einen vollen Monat früher, und zwar ohne<lb/>
Beſchränkung auf einen beſtimmten einzelnen Tag. Hier-<lb/>
aus folgt alſo, daß bey Paulus die Berufung auf die<lb/>
Autorität des Pythagoras Nichts iſt, als eine unnütze,<lb/>
ja ſelbſt verkehrt angebrachte Gelehrſamkeit: verkehrt, weil<lb/>
die Regel des Römiſchen Rechts und die des Pythagoras<lb/>
in der That ganz verſchieden ſind, und auch nach der<lb/>
Angabe des Paulus Nichts mit einander gemein haben,<lb/>
als die gleichlautenden (aber in verſchiedenem Sinn ge-<lb/>
brauchten) Worte <hirendition="#aq">septimo mense.</hi></p><lb/><p>Aus dieſer Unterſuchung ergiebt ſich Folgendes. Paulus<lb/>ſagt, ein zwar lebendes, aber nicht lebensfähiges (d. h.<lb/>
nicht wenigſtens ſiebenmonatliches) Kind kann nicht mitge-<lb/>
rechnet werden unter die drey Kinder, durch welche die<lb/>
Mutter einen Anſpruch auf das <hirendition="#aq">Sc. Tertullianum</hi> erwirbt.<lb/>
Man könnte zweifeln, ob dieſes etwa nur eine Meynung<lb/>
dieſes einzelnen Juriſten geweſen ſey; ich glaube dieſes<lb/>
nicht, weil Gellius von einem Rechtsſtreit erzählt, der<lb/>ſogar ein Kind des achten Monats betraf; es ſcheint alſo<lb/>
vielmehr, daß die Anfangs ſchwankende Meynung ſich zu-<lb/>
letzt zu der feſten Regel ausgebildet hat, wodurch nur die<lb/>
vor dem Anfang des ſiebenten Monats der Schwangerſchaft<lb/>
geborenen Kinder nicht mitzählen ſollten. Aber bey Paulus<lb/>
und bey Gellius betrifft jene Regel lediglich die Begrün-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[407/0421]
Vitalität.
heit, indem Pythagoras eine lebendige Geburt erſt mit
dem 210ten Tage als möglich annimmt, das Römiſche
Recht aber (und gerade Paulus ſelbſt, in dieſer unſrer
Stelle) ſchon einen vollen Monat früher, und zwar ohne
Beſchränkung auf einen beſtimmten einzelnen Tag. Hier-
aus folgt alſo, daß bey Paulus die Berufung auf die
Autorität des Pythagoras Nichts iſt, als eine unnütze,
ja ſelbſt verkehrt angebrachte Gelehrſamkeit: verkehrt, weil
die Regel des Römiſchen Rechts und die des Pythagoras
in der That ganz verſchieden ſind, und auch nach der
Angabe des Paulus Nichts mit einander gemein haben,
als die gleichlautenden (aber in verſchiedenem Sinn ge-
brauchten) Worte septimo mense.
Aus dieſer Unterſuchung ergiebt ſich Folgendes. Paulus
ſagt, ein zwar lebendes, aber nicht lebensfähiges (d. h.
nicht wenigſtens ſiebenmonatliches) Kind kann nicht mitge-
rechnet werden unter die drey Kinder, durch welche die
Mutter einen Anſpruch auf das Sc. Tertullianum erwirbt.
Man könnte zweifeln, ob dieſes etwa nur eine Meynung
dieſes einzelnen Juriſten geweſen ſey; ich glaube dieſes
nicht, weil Gellius von einem Rechtsſtreit erzählt, der
ſogar ein Kind des achten Monats betraf; es ſcheint alſo
vielmehr, daß die Anfangs ſchwankende Meynung ſich zu-
letzt zu der feſten Regel ausgebildet hat, wodurch nur die
vor dem Anfang des ſiebenten Monats der Schwangerſchaft
geborenen Kinder nicht mitzählen ſollten. Aber bey Paulus
und bey Gellius betrifft jene Regel lediglich die Begrün-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/421>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.