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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Beylage III.
hältniß derjenigen Rechtslehrer, die im Civilrecht den nicht
vitalen Kindern die Rechtsfähigkeit absprechen, zu diesen
verschiedenen Meynungen der Criminalisten, folgendes. Neh-
men sie Mittermaiers Meynung an, so sind sie consequent:
lassen sie dagegen bey der Tödtung irgend eine Strafe zu,
sey es die ordentliche oder eine außerordentliche, so sind
sie inconsequent, und das ist die neue Inconsequenz, welche
hier hervorgehoben werden sollte.



Wenn nun aus allen diesen Gründen die Annahme der
Vitalität als Bedingung der Rechtsfähigkeit gänzlich ver-
worfen werden muß, so möchte man glauben, sie wäre
überhaupt nur eine Erfindung neuerer Rechtslehrer, und
die Römer hätten daran gar nicht gedacht. Dieses aber
läßt sich nicht behaupten, vielmehr haben sie diese Lehre
wohl gekannt. Dabey kann es am wenigsten auffallen,
wenn die nichtjuristischen Römischen Schriftsteller die hier
einschlagenden Fragen nicht immer gehörig sondern, na-
mentlich die zwey Fragen: wie viele Tage nach der Er-

chend unterschieden hat: 1. den
Thatbestand, 2. den gesetzwidrigen
Willen. Wenn man das nicht vi-
tale Kind einem Leichnam gleich
achtet, so ist Mittermaiers Mey-
nung richtig, und der Wille ist
gleichgültig. Hält man es dage-
gen für einen lebenden Menschen,
so kommt es nun noch auf den
Willen an. Wenn nämlich der
Handelnde die Lebensunfähigkeit
kannte, so hat allerdings sein
Wollen einen milderen Character,
als im Fall der Lebensfähigkeit,
wo er mit Bewußtseyn die ganze
fernere Entwicklung eines Men-
schenlebens zerstört; von diesem
Gesichtspunkt aus könnte Carp-
zov's Meynung gegen den Vor-
wurf einer blos vermittelnden
Willkühr vertheidigt werden.

Beylage III.
hältniß derjenigen Rechtslehrer, die im Civilrecht den nicht
vitalen Kindern die Rechtsfähigkeit abſprechen, zu dieſen
verſchiedenen Meynungen der Criminaliſten, folgendes. Neh-
men ſie Mittermaiers Meynung an, ſo ſind ſie conſequent:
laſſen ſie dagegen bey der Tödtung irgend eine Strafe zu,
ſey es die ordentliche oder eine außerordentliche, ſo ſind
ſie inconſequent, und das iſt die neue Inconſequenz, welche
hier hervorgehoben werden ſollte.



Wenn nun aus allen dieſen Gründen die Annahme der
Vitalität als Bedingung der Rechtsfähigkeit gänzlich ver-
worfen werden muß, ſo möchte man glauben, ſie wäre
überhaupt nur eine Erfindung neuerer Rechtslehrer, und
die Römer hätten daran gar nicht gedacht. Dieſes aber
läßt ſich nicht behaupten, vielmehr haben ſie dieſe Lehre
wohl gekannt. Dabey kann es am wenigſten auffallen,
wenn die nichtjuriſtiſchen Römiſchen Schriftſteller die hier
einſchlagenden Fragen nicht immer gehörig ſondern, na-
mentlich die zwey Fragen: wie viele Tage nach der Er-

chend unterſchieden hat: 1. den
Thatbeſtand, 2. den geſetzwidrigen
Willen. Wenn man das nicht vi-
tale Kind einem Leichnam gleich
achtet, ſo iſt Mittermaiers Mey-
nung richtig, und der Wille iſt
gleichgültig. Hält man es dage-
gen für einen lebenden Menſchen,
ſo kommt es nun noch auf den
Willen an. Wenn nämlich der
Handelnde die Lebensunfähigkeit
kannte, ſo hat allerdings ſein
Wollen einen milderen Character,
als im Fall der Lebensfähigkeit,
wo er mit Bewußtſeyn die ganze
fernere Entwicklung eines Men-
ſchenlebens zerſtört; von dieſem
Geſichtspunkt aus könnte Carp-
zov’s Meynung gegen den Vor-
wurf einer blos vermittelnden
Willkühr vertheidigt werden.
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[400/0414] Beylage III. hältniß derjenigen Rechtslehrer, die im Civilrecht den nicht vitalen Kindern die Rechtsfähigkeit abſprechen, zu dieſen verſchiedenen Meynungen der Criminaliſten, folgendes. Neh- men ſie Mittermaiers Meynung an, ſo ſind ſie conſequent: laſſen ſie dagegen bey der Tödtung irgend eine Strafe zu, ſey es die ordentliche oder eine außerordentliche, ſo ſind ſie inconſequent, und das iſt die neue Inconſequenz, welche hier hervorgehoben werden ſollte. Wenn nun aus allen dieſen Gründen die Annahme der Vitalität als Bedingung der Rechtsfähigkeit gänzlich ver- worfen werden muß, ſo möchte man glauben, ſie wäre überhaupt nur eine Erfindung neuerer Rechtslehrer, und die Römer hätten daran gar nicht gedacht. Dieſes aber läßt ſich nicht behaupten, vielmehr haben ſie dieſe Lehre wohl gekannt. Dabey kann es am wenigſten auffallen, wenn die nichtjuriſtiſchen Römiſchen Schriftſteller die hier einſchlagenden Fragen nicht immer gehörig ſondern, na- mentlich die zwey Fragen: wie viele Tage nach der Er- (r) (r) chend unterſchieden hat: 1. den Thatbeſtand, 2. den geſetzwidrigen Willen. Wenn man das nicht vi- tale Kind einem Leichnam gleich achtet, ſo iſt Mittermaiers Mey- nung richtig, und der Wille iſt gleichgültig. Hält man es dage- gen für einen lebenden Menſchen, ſo kommt es nun noch auf den Willen an. Wenn nämlich der Handelnde die Lebensunfähigkeit kannte, ſo hat allerdings ſein Wollen einen milderen Character, als im Fall der Lebensfähigkeit, wo er mit Bewußtſeyn die ganze fernere Entwicklung eines Men- ſchenlebens zerſtört; von dieſem Geſichtspunkt aus könnte Carp- zov’s Meynung gegen den Vor- wurf einer blos vermittelnden Willkühr vertheidigt werden.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/414>, abgerufen am 22.11.2024.