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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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Vitalität.
Verhältniß des Civilrechts zum Criminalrecht bezieht. Faßt
man die Sache ganz einfach auf, so müssen Diejenigen,
welche im Civilrecht Lebensfähigkeit fordern, und außer
derselben das Geborene als todt ansehen, auch im Crimi-
nalrecht die Möglichkeit eines Verbrechens gegen dasselbe
gänzlich läugnen, da man an einem Leichnam kein Ver-
brechen begehen kann. Wer also im Civilrecht die Vita-
lität erfordert, und dennoch im Criminalrecht bey der
Tödtung eines nicht vitalen Kindes irgend eine Strafe
(wenngleich nicht die ordentliche Strafe der Tödtung) ein-
treten läßt, der ist offenbar inconsequent. Im Criminal-
recht nun hat die Untersuchung aus zwey Gründen eine
besondere Wendung genommen. Erstlich wegen des in
der Carolina vorkvmmenden Ausdrucks der Gliedmäßigkeit
(art. 131), welchen man sehr häufig von der Vitalität
verstanden hat. Zweytens weil man Gründe zu haben
glaubte, den eigentlichen Kindermord (d. h. die von der
Mutter unter gewissen Umständen verübte Tödtung) von
anderen Tödtungen zu unterscheiden, und gelinder zu be-
handeln; daher wurde besonders auch die mangelnde Vi-
talität benutzt, um von der Mutter die Strafe abzuwen-
den, zugleich aber versäumt, die Frage auch für andere
Fälle der Tödtung neugeborener Kinder (z. B. durch die
Geburtshelferin) zu beantworten. Daß neuerlich manche
Criminalisten die Vitalität von einem bestimmten Zeitraum
unabhängig machen wollten, ist nicht als etwas Besonde-
res zu betrachten, da auch im Civilrecht, wie oben be-

Vitalität.
Verhältniß des Civilrechts zum Criminalrecht bezieht. Faßt
man die Sache ganz einfach auf, ſo müſſen Diejenigen,
welche im Civilrecht Lebensfähigkeit fordern, und außer
derſelben das Geborene als todt anſehen, auch im Crimi-
nalrecht die Möglichkeit eines Verbrechens gegen daſſelbe
gänzlich läugnen, da man an einem Leichnam kein Ver-
brechen begehen kann. Wer alſo im Civilrecht die Vita-
lität erfordert, und dennoch im Criminalrecht bey der
Tödtung eines nicht vitalen Kindes irgend eine Strafe
(wenngleich nicht die ordentliche Strafe der Toͤdtung) ein-
treten läßt, der iſt offenbar inconſequent. Im Criminal-
recht nun hat die Unterſuchung aus zwey Gründen eine
beſondere Wendung genommen. Erſtlich wegen des in
der Carolina vorkvmmenden Ausdrucks der Gliedmäßigkeit
(art. 131), welchen man ſehr häufig von der Vitalität
verſtanden hat. Zweytens weil man Gründe zu haben
glaubte, den eigentlichen Kindermord (d. h. die von der
Mutter unter gewiſſen Umſtänden verübte Tödtung) von
anderen Tödtungen zu unterſcheiden, und gelinder zu be-
handeln; daher wurde beſonders auch die mangelnde Vi-
talität benutzt, um von der Mutter die Strafe abzuwen-
den, zugleich aber verſäumt, die Frage auch für andere
Fälle der Tödtung neugeborener Kinder (z. B. durch die
Geburtshelferin) zu beantworten. Daß neuerlich manche
Criminaliſten die Vitalität von einem beſtimmten Zeitraum
unabhängig machen wollten, iſt nicht als etwas Beſonde-
res zu betrachten, da auch im Civilrecht, wie oben be-

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[397/0411] Vitalität. Verhältniß des Civilrechts zum Criminalrecht bezieht. Faßt man die Sache ganz einfach auf, ſo müſſen Diejenigen, welche im Civilrecht Lebensfähigkeit fordern, und außer derſelben das Geborene als todt anſehen, auch im Crimi- nalrecht die Möglichkeit eines Verbrechens gegen daſſelbe gänzlich läugnen, da man an einem Leichnam kein Ver- brechen begehen kann. Wer alſo im Civilrecht die Vita- lität erfordert, und dennoch im Criminalrecht bey der Tödtung eines nicht vitalen Kindes irgend eine Strafe (wenngleich nicht die ordentliche Strafe der Toͤdtung) ein- treten läßt, der iſt offenbar inconſequent. Im Criminal- recht nun hat die Unterſuchung aus zwey Gründen eine beſondere Wendung genommen. Erſtlich wegen des in der Carolina vorkvmmenden Ausdrucks der Gliedmäßigkeit (art. 131), welchen man ſehr häufig von der Vitalität verſtanden hat. Zweytens weil man Gründe zu haben glaubte, den eigentlichen Kindermord (d. h. die von der Mutter unter gewiſſen Umſtänden verübte Tödtung) von anderen Tödtungen zu unterſcheiden, und gelinder zu be- handeln; daher wurde beſonders auch die mangelnde Vi- talität benutzt, um von der Mutter die Strafe abzuwen- den, zugleich aber verſäumt, die Frage auch für andere Fälle der Tödtung neugeborener Kinder (z. B. durch die Geburtshelferin) zu beantworten. Daß neuerlich manche Criminaliſten die Vitalität von einem beſtimmten Zeitraum unabhängig machen wollten, iſt nicht als etwas Beſonde- res zu betrachten, da auch im Civilrecht, wie oben be-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/411>, abgerufen am 22.11.2024.