wicklung in späteren Zeiten meist aufgegeben wor- den (m).
Ich will nun versuchen zu zeigen, daß jene Lehre von der Vitalität als Bedingung der Rechtsfähigkeit in un- srem Recht durchaus keinen Grund hat.
Sie muß verworfen werden nach dem allgemeinen Be- griff der Rechtsfähigkeit. Denn diese ist gebunden an das bloße Daseyn jedes lebenden Menschen, ohne Rücksicht auf dessen Aussicht, dieses Daseyn länger oder kürzer fortzu- setzen. Welches wäre der Grund einer Einschränkung von dieser Seite, und wo wäre die Gränze?
Sie ist verwerflich, wenn wir auf den Inhalt unsrer Rechtsquellen sehen. Die Veranlassung dazu war augen- scheinlich die wirklich Römische Regel von den 182 Ta- gen, aber eine Rechtfertigung jener Lehre liegt in dieser Regel gewiß nicht. Denn die Römer wenden die 182 Tage lediglich an, um die Vermuthung der Paternität zu begründen, aber gar nicht, wie jene Rechtslehrer wollen, um manche lebende Menschen von dem Genuß menschli- cher Rechte auszuschließen. Die Stellen, die offenbar un- sre Frage am nächsten berühren, sind die L. 2. 3 C. de posthumis (6. 29.). Diese sagen, das Kind habe Rechts- fähigkeit unmittelbar nach der vollendeten Geburt, auch selbst wenn es im nächsten Augenblick (illico) sterbe, z. B. noch in den Händen der Geburtshelferin. Hier lag es
Rom Gegenstand eines Rechts- streits wurde, wird unten aus Gellius bemerkt werden.
(m)Haller a. a. O. § 9.
Vitalität.
wicklung in ſpäteren Zeiten meiſt aufgegeben wor- den (m).
Ich will nun verſuchen zu zeigen, daß jene Lehre von der Vitalität als Bedingung der Rechtsfähigkeit in un- ſrem Recht durchaus keinen Grund hat.
Sie muß verworfen werden nach dem allgemeinen Be- griff der Rechtsfähigkeit. Denn dieſe iſt gebunden an das bloße Daſeyn jedes lebenden Menſchen, ohne Rückſicht auf deſſen Ausſicht, dieſes Daſeyn länger oder kürzer fortzu- ſetzen. Welches wäre der Grund einer Einſchränkung von dieſer Seite, und wo wäre die Gränze?
Sie iſt verwerflich, wenn wir auf den Inhalt unſrer Rechtsquellen ſehen. Die Veranlaſſung dazu war augen- ſcheinlich die wirklich Römiſche Regel von den 182 Ta- gen, aber eine Rechtfertigung jener Lehre liegt in dieſer Regel gewiß nicht. Denn die Römer wenden die 182 Tage lediglich an, um die Vermuthung der Paternität zu begründen, aber gar nicht, wie jene Rechtslehrer wollen, um manche lebende Menſchen von dem Genuß menſchli- cher Rechte auszuſchließen. Die Stellen, die offenbar un- ſre Frage am nächſten berühren, ſind die L. 2. 3 C. de posthumis (6. 29.). Dieſe ſagen, das Kind habe Rechts- fähigkeit unmittelbar nach der vollendeten Geburt, auch ſelbſt wenn es im nächſten Augenblick (illico) ſterbe, z. B. noch in den Händen der Geburtshelferin. Hier lag es
Rom Gegenſtand eines Rechts- ſtreits wurde, wird unten aus Gellius bemerkt werden.
(m)Haller a. a. O. § 9.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0407"n="393"/><fwplace="top"type="header">Vitalität.</fw><lb/>
wicklung in ſpäteren Zeiten meiſt aufgegeben wor-<lb/>
den <noteplace="foot"n="(m)"><hirendition="#g">Haller</hi> a. a. O. § 9.</note>.</p><lb/><p>Ich will nun verſuchen zu zeigen, daß jene Lehre von<lb/>
der Vitalität als Bedingung der Rechtsfähigkeit in un-<lb/>ſrem Recht durchaus keinen Grund hat.</p><lb/><p>Sie muß verworfen werden nach dem allgemeinen Be-<lb/>
griff der Rechtsfähigkeit. Denn dieſe iſt gebunden an das<lb/>
bloße Daſeyn jedes lebenden Menſchen, ohne Rückſicht auf<lb/>
deſſen Ausſicht, dieſes Daſeyn länger oder kürzer fortzu-<lb/>ſetzen. Welches wäre der Grund einer Einſchränkung von<lb/>
dieſer Seite, und wo wäre die Gränze?</p><lb/><p>Sie iſt verwerflich, wenn wir auf den Inhalt unſrer<lb/>
Rechtsquellen ſehen. Die Veranlaſſung dazu war augen-<lb/>ſcheinlich die wirklich Römiſche Regel von den 182 Ta-<lb/>
gen, aber eine Rechtfertigung jener Lehre liegt in dieſer<lb/>
Regel gewiß nicht. Denn die Römer wenden die 182<lb/>
Tage lediglich an, um die Vermuthung der Paternität zu<lb/>
begründen, aber gar nicht, wie jene Rechtslehrer wollen,<lb/>
um manche lebende Menſchen von dem Genuß menſchli-<lb/>
cher Rechte auszuſchließen. Die Stellen, die offenbar un-<lb/>ſre Frage am nächſten berühren, ſind die <hirendition="#aq">L. 2. 3 C. de<lb/>
posthumis</hi> (6. 29.). Dieſe ſagen, das Kind habe Rechts-<lb/>
fähigkeit unmittelbar nach der vollendeten Geburt, auch<lb/>ſelbſt wenn es im nächſten Augenblick (<hirendition="#aq">illico</hi>) ſterbe, z. B.<lb/>
noch in den Händen der Geburtshelferin. Hier lag es<lb/><notexml:id="seg2pn_70_2"prev="#seg2pn_70_1"place="foot"n="(l)">Rom Gegenſtand eines Rechts-<lb/>ſtreits wurde, wird unten aus<lb/>
Gellius bemerkt werden.</note><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[393/0407]
Vitalität.
wicklung in ſpäteren Zeiten meiſt aufgegeben wor-
den (m).
Ich will nun verſuchen zu zeigen, daß jene Lehre von
der Vitalität als Bedingung der Rechtsfähigkeit in un-
ſrem Recht durchaus keinen Grund hat.
Sie muß verworfen werden nach dem allgemeinen Be-
griff der Rechtsfähigkeit. Denn dieſe iſt gebunden an das
bloße Daſeyn jedes lebenden Menſchen, ohne Rückſicht auf
deſſen Ausſicht, dieſes Daſeyn länger oder kürzer fortzu-
ſetzen. Welches wäre der Grund einer Einſchränkung von
dieſer Seite, und wo wäre die Gränze?
Sie iſt verwerflich, wenn wir auf den Inhalt unſrer
Rechtsquellen ſehen. Die Veranlaſſung dazu war augen-
ſcheinlich die wirklich Römiſche Regel von den 182 Ta-
gen, aber eine Rechtfertigung jener Lehre liegt in dieſer
Regel gewiß nicht. Denn die Römer wenden die 182
Tage lediglich an, um die Vermuthung der Paternität zu
begründen, aber gar nicht, wie jene Rechtslehrer wollen,
um manche lebende Menſchen von dem Genuß menſchli-
cher Rechte auszuſchließen. Die Stellen, die offenbar un-
ſre Frage am nächſten berühren, ſind die L. 2. 3 C. de
posthumis (6. 29.). Dieſe ſagen, das Kind habe Rechts-
fähigkeit unmittelbar nach der vollendeten Geburt, auch
ſelbſt wenn es im nächſten Augenblick (illico) ſterbe, z. B.
noch in den Händen der Geburtshelferin. Hier lag es
(l)
(m) Haller a. a. O. § 9.
(l) Rom Gegenſtand eines Rechts-
ſtreits wurde, wird unten aus
Gellius bemerkt werden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/407>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.