Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.Beylage III. Interesse dabey hat. Durch die aus den Umständen her-vorgehende Wahrscheinlichkeit braucht sie nicht unterstützt zu werden, es ist aber auch nicht zulässig, sie deshalb anzufechten. Vielmehr gilt sie allein als vollständiger Be- weis, und sie kann nur entkräftet werden durch den Be- weis der völligen Unmöglichkeit, welche namentlich aus einer langen, ununterbrochenen Abwesenheit des Mannes hervorgeht (h). -- Ob nun die physiologischen Voraus- setzungen jener Regel richtig sind, kann hier natürlich nicht untersucht werden. Für höchst wohlthätig aber muß man die in ihr liegende Abwehr individueller Beurtheilung er- kennen, wenn man sieht, wie schwankend und widerspre- chend die sowohl in theoretischen Schriften, als in Gut- achten medicinischer Facultäten, ausgesprochenen Meynun- gen der Physiologen sind (i). Zu loben ist besonders auch (h) Wäre also z. B. ein am 182sten Tage geborenes Kind völ- lig ausgewachsen, so daß man seine Erzeugung vor der Ehe an- nehmen könnte, so müßte es den- noch als Kind dieses Ehegatten gelten; wäre es umgekehrt vor je- nem Zeitpunkt geboren, so brauchte derselbe es nicht als sein Kind an- zuerkennen, selbst wenn die Ärzte, wegen des sehr unreifen Zustan- des, eine Erzeugung in der Ehe für möglich hielten. Eben so, wenn ein Kind beynahe Zehen Monate nach des Ehemannes Tod geboren wird, so kann der un- reife Zustand desselben nicht als Grund gegen die eheliche Erzeu- gung gelten. -- Die gewöhnliche Meynung ist diesen Behauptun- gen ganz entgegen. Hofacker T. 1 § 544. Struben rechtl. Bedenken B. 5 Num. 86. Vol- lends kann der Beweis eines be- gangenen Ehebruchs jene Präsum- tion gar nicht entkräften. (i) Unter anderen darf man sich
auch nicht dadurch täuschen lassen, daß manche medicinische Schrift- steller irgend einen Zeitraum, vor welchem eine vitale Geburt un- möglich sey, als völlig gewiß an die Spitze stellen; denn hinterher nehmen sie doch oft an, daß es Abnormitäten gebe, Fälle in wel- chen ein sehr unreifes Kind durch Beylage III. Intereſſe dabey hat. Durch die aus den Umſtänden her-vorgehende Wahrſcheinlichkeit braucht ſie nicht unterſtützt zu werden, es iſt aber auch nicht zuläſſig, ſie deshalb anzufechten. Vielmehr gilt ſie allein als vollſtändiger Be- weis, und ſie kann nur entkräftet werden durch den Be- weis der völligen Unmöglichkeit, welche namentlich aus einer langen, ununterbrochenen Abweſenheit des Mannes hervorgeht (h). — Ob nun die phyſiologiſchen Voraus- ſetzungen jener Regel richtig ſind, kann hier natürlich nicht unterſucht werden. Für höchſt wohlthätig aber muß man die in ihr liegende Abwehr individueller Beurtheilung er- kennen, wenn man ſieht, wie ſchwankend und widerſpre- chend die ſowohl in theoretiſchen Schriften, als in Gut- achten mediciniſcher Facultäten, ausgeſprochenen Meynun- gen der Phyſiologen ſind (i). Zu loben iſt beſonders auch (h) Wäre alſo z. B. ein am 182ſten Tage geborenes Kind völ- lig ausgewachſen, ſo daß man ſeine Erzeugung vor der Ehe an- nehmen könnte, ſo müßte es den- noch als Kind dieſes Ehegatten gelten; wäre es umgekehrt vor je- nem Zeitpunkt geboren, ſo brauchte derſelbe es nicht als ſein Kind an- zuerkennen, ſelbſt wenn die Ärzte, wegen des ſehr unreifen Zuſtan- des, eine Erzeugung in der Ehe für möglich hielten. Eben ſo, wenn ein Kind beynahe Zehen Monate nach des Ehemannes Tod geboren wird, ſo kann der un- reife Zuſtand deſſelben nicht als Grund gegen die eheliche Erzeu- gung gelten. — Die gewöhnliche Meynung iſt dieſen Behauptun- gen ganz entgegen. Hofacker T. 1 § 544. Struben rechtl. Bedenken B. 5 Num. 86. Vol- lends kann der Beweis eines be- gangenen Ehebruchs jene Präſum- tion gar nicht entkräften. (i) Unter anderen darf man ſich
auch nicht dadurch täuſchen laſſen, daß manche mediciniſche Schrift- ſteller irgend einen Zeitraum, vor welchem eine vitale Geburt un- möglich ſey, als völlig gewiß an die Spitze ſtellen; denn hinterher nehmen ſie doch oft an, daß es Abnormitäten gebe, Fälle in wel- chen ein ſehr unreifes Kind durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0404" n="390"/><fw place="top" type="header">Beylage <hi rendition="#aq">III.</hi></fw><lb/> Intereſſe dabey hat. Durch die aus den Umſtänden her-<lb/> vorgehende Wahrſcheinlichkeit braucht ſie nicht unterſtützt<lb/> zu werden, es iſt aber auch nicht zuläſſig, ſie deshalb<lb/> anzufechten. Vielmehr gilt ſie allein als vollſtändiger Be-<lb/> weis, und ſie kann nur entkräftet werden durch den Be-<lb/> weis der völligen Unmöglichkeit, welche namentlich aus<lb/> einer langen, ununterbrochenen Abweſenheit des Mannes<lb/> hervorgeht <note place="foot" n="(h)">Wäre alſo z. B. ein am<lb/> 182ſten Tage geborenes Kind völ-<lb/> lig ausgewachſen, ſo daß man<lb/> ſeine Erzeugung vor der Ehe an-<lb/> nehmen könnte, ſo müßte es den-<lb/> noch als Kind dieſes Ehegatten<lb/> gelten; wäre es umgekehrt vor je-<lb/> nem Zeitpunkt geboren, ſo brauchte<lb/> derſelbe es nicht als ſein Kind an-<lb/> zuerkennen, ſelbſt wenn die Ärzte,<lb/> wegen des ſehr unreifen Zuſtan-<lb/> des, eine Erzeugung in der Ehe<lb/> für möglich hielten. Eben ſo,<lb/> wenn ein Kind beynahe Zehen<lb/> Monate nach des Ehemannes Tod<lb/> geboren wird, ſo kann der un-<lb/> reife Zuſtand deſſelben nicht als<lb/> Grund gegen die eheliche Erzeu-<lb/> gung gelten. — Die gewöhnliche<lb/> Meynung iſt dieſen Behauptun-<lb/> gen ganz entgegen. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Hofacker</hi><lb/> T.</hi> 1 § 544. <hi rendition="#g">Struben</hi> rechtl.<lb/> Bedenken B. 5 Num. 86. Vol-<lb/> lends kann der Beweis eines be-<lb/> gangenen Ehebruchs jene Präſum-<lb/> tion gar nicht entkräften.</note>. — Ob nun die phyſiologiſchen Voraus-<lb/> ſetzungen jener Regel richtig ſind, kann hier natürlich nicht<lb/> unterſucht werden. Für höchſt wohlthätig aber muß man<lb/> die in ihr liegende Abwehr individueller Beurtheilung er-<lb/> kennen, wenn man ſieht, wie ſchwankend und widerſpre-<lb/> chend die ſowohl in theoretiſchen Schriften, als in Gut-<lb/> achten mediciniſcher Facultäten, ausgeſprochenen Meynun-<lb/> gen der Phyſiologen ſind <note xml:id="seg2pn_69_1" next="#seg2pn_69_2" place="foot" n="(i)">Unter anderen darf man ſich<lb/> auch nicht dadurch täuſchen laſſen,<lb/> daß manche mediciniſche Schrift-<lb/> ſteller irgend einen Zeitraum, vor<lb/> welchem eine vitale Geburt un-<lb/> möglich ſey, als völlig gewiß an<lb/> die Spitze ſtellen; denn hinterher<lb/> nehmen ſie doch oft an, daß es<lb/> Abnormitäten gebe, Fälle in wel-<lb/> chen ein ſehr unreifes Kind durch</note>. Zu loben iſt beſonders auch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0404]
Beylage III.
Intereſſe dabey hat. Durch die aus den Umſtänden her-
vorgehende Wahrſcheinlichkeit braucht ſie nicht unterſtützt
zu werden, es iſt aber auch nicht zuläſſig, ſie deshalb
anzufechten. Vielmehr gilt ſie allein als vollſtändiger Be-
weis, und ſie kann nur entkräftet werden durch den Be-
weis der völligen Unmöglichkeit, welche namentlich aus
einer langen, ununterbrochenen Abweſenheit des Mannes
hervorgeht (h). — Ob nun die phyſiologiſchen Voraus-
ſetzungen jener Regel richtig ſind, kann hier natürlich nicht
unterſucht werden. Für höchſt wohlthätig aber muß man
die in ihr liegende Abwehr individueller Beurtheilung er-
kennen, wenn man ſieht, wie ſchwankend und widerſpre-
chend die ſowohl in theoretiſchen Schriften, als in Gut-
achten mediciniſcher Facultäten, ausgeſprochenen Meynun-
gen der Phyſiologen ſind (i). Zu loben iſt beſonders auch
(h) Wäre alſo z. B. ein am
182ſten Tage geborenes Kind völ-
lig ausgewachſen, ſo daß man
ſeine Erzeugung vor der Ehe an-
nehmen könnte, ſo müßte es den-
noch als Kind dieſes Ehegatten
gelten; wäre es umgekehrt vor je-
nem Zeitpunkt geboren, ſo brauchte
derſelbe es nicht als ſein Kind an-
zuerkennen, ſelbſt wenn die Ärzte,
wegen des ſehr unreifen Zuſtan-
des, eine Erzeugung in der Ehe
für möglich hielten. Eben ſo,
wenn ein Kind beynahe Zehen
Monate nach des Ehemannes Tod
geboren wird, ſo kann der un-
reife Zuſtand deſſelben nicht als
Grund gegen die eheliche Erzeu-
gung gelten. — Die gewöhnliche
Meynung iſt dieſen Behauptun-
gen ganz entgegen. Hofacker
T. 1 § 544. Struben rechtl.
Bedenken B. 5 Num. 86. Vol-
lends kann der Beweis eines be-
gangenen Ehebruchs jene Präſum-
tion gar nicht entkräften.
(i) Unter anderen darf man ſich
auch nicht dadurch täuſchen laſſen,
daß manche mediciniſche Schrift-
ſteller irgend einen Zeitraum, vor
welchem eine vitale Geburt un-
möglich ſey, als völlig gewiß an
die Spitze ſtellen; denn hinterher
nehmen ſie doch oft an, daß es
Abnormitäten gebe, Fälle in wel-
chen ein ſehr unreifes Kind durch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/404 |
Zitationshilfe: | Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/404>, abgerufen am 16.02.2025. |