Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 102. Juristische Personen. Erbschaften.
Fiction wird weder der Abwesende durch seine Abwesen-
heit, noch der künftige Erbe durch seine augenblickliche
Verborgenheit: beide bleiben einzelne Menschen, natürliche
Personen. Wollte man die Behandlung der unerworbe-
nen Erbschaft als einer juristischen Person strenge durch-
führen, so müßte man sie in Rechtsverhältnisse aller Art
eintreten lassen, ja man könnte so weit gehen, zu gestatten,
daß der ruhenden Erbschaft unmittelbar wieder ein frem-
der Testator Erbschaften oder Legate zuwendete; dieses
Alles aber ist den Römischen Juristen nie in den Sinn
gekommen.

Die einfachste und natürlichste Behandlung dieses Falles
wäre ohne Zweifel die, daß man von dem Tode an die
Erbschaft als das Vermögen eines noch unbekannten Herrn
ansähe, der aber doch einmal bekannt werden muß, und
auf welchen dann Alles zu beziehen ist, was sich in der
Zwischenzeit mit diesem Vermögen etwa zutragen mag.
Diese natürliche Behandlung der Sache ist es, welche das
Römische Recht nicht gelten lassen will, indem es an de-
ren Stelle eine Fiction unter zwey verschiedenen Aus-
drücken setzt. Bald wird gesagt, die Erbschaft selbst stelle
eine Person vor, und habe die Herrschaft über das Ver-
mögen, also über sich selbst (d); bald, die Erbschaft stelle

(d) L. 22 de fidej. (46. 1.),
(Note a), L. 15 pr. de usurp.
(41. 3.) "nam hereditatem in
quibusdam vice personae fungi
receptum est." -- L. 13 § 5 quod
vi
(43. 24.) "dominae locum ob-
tinet," L. 15 pr. de interrog.
(11. 1.) "domini loco habetur,"
L. 61 pr. de adqu. rer. dom.
(41. 1.) "pro domino habetur,"
L. 31 § 1 de her. inst.
(28. 5.)
s. u. Note f.

§. 102. Juriſtiſche Perſonen. Erbſchaften.
Fiction wird weder der Abweſende durch ſeine Abweſen-
heit, noch der künftige Erbe durch ſeine augenblickliche
Verborgenheit: beide bleiben einzelne Menſchen, natürliche
Perſonen. Wollte man die Behandlung der unerworbe-
nen Erbſchaft als einer juriſtiſchen Perſon ſtrenge durch-
führen, ſo müßte man ſie in Rechtsverhältniſſe aller Art
eintreten laſſen, ja man koͤnnte ſo weit gehen, zu geſtatten,
daß der ruhenden Erbſchaft unmittelbar wieder ein frem-
der Teſtator Erbſchaften oder Legate zuwendete; dieſes
Alles aber iſt den Römiſchen Juriſten nie in den Sinn
gekommen.

Die einfachſte und natürlichſte Behandlung dieſes Falles
wäre ohne Zweifel die, daß man von dem Tode an die
Erbſchaft als das Vermoͤgen eines noch unbekannten Herrn
anſähe, der aber doch einmal bekannt werden muß, und
auf welchen dann Alles zu beziehen iſt, was ſich in der
Zwiſchenzeit mit dieſem Vermoͤgen etwa zutragen mag.
Dieſe natürliche Behandlung der Sache iſt es, welche das
Römiſche Recht nicht gelten laſſen will, indem es an de-
ren Stelle eine Fiction unter zwey verſchiedenen Aus-
drücken ſetzt. Bald wird geſagt, die Erbſchaft ſelbſt ſtelle
eine Perſon vor, und habe die Herrſchaft über das Ver-
mögen, alſo über ſich ſelbſt (d); bald, die Erbſchaft ſtelle

(d) L. 22 de fidej. (46. 1.),
(Note a), L. 15 pr. de usurp.
(41. 3.) „nam hereditatem in
quibusdam vice personae fungi
receptum est.” — L. 13 § 5 quod
vi
(43. 24.) „dominae locum ob-
tinet,” L. 15 pr. de interrog.
(11. 1.) „domini loco habetur,”
L. 61 pr. de adqu. rer. dom.
(41. 1.) „pro domino habetur,”
L. 31 § 1 de her. inst.
(28. 5.)
ſ. u. Note f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0379" n="365"/><fw place="top" type="header">§. 102. Juri&#x017F;ti&#x017F;che Per&#x017F;onen. Erb&#x017F;chaften.</fw><lb/>
Fiction wird weder der Abwe&#x017F;ende durch &#x017F;eine Abwe&#x017F;en-<lb/>
heit, noch der künftige Erbe durch &#x017F;eine augenblickliche<lb/>
Verborgenheit: beide bleiben einzelne Men&#x017F;chen, natürliche<lb/>
Per&#x017F;onen. Wollte man die Behandlung der unerworbe-<lb/>
nen Erb&#x017F;chaft als einer juri&#x017F;ti&#x017F;chen Per&#x017F;on &#x017F;trenge durch-<lb/>
führen, &#x017F;o müßte man &#x017F;ie in Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;e aller Art<lb/>
eintreten la&#x017F;&#x017F;en, ja man ko&#x0364;nnte &#x017F;o weit gehen, zu ge&#x017F;tatten,<lb/>
daß der ruhenden Erb&#x017F;chaft unmittelbar wieder ein frem-<lb/>
der Te&#x017F;tator Erb&#x017F;chaften oder Legate zuwendete; die&#x017F;es<lb/>
Alles aber i&#x017F;t den Römi&#x017F;chen Juri&#x017F;ten nie in den Sinn<lb/>
gekommen.</p><lb/>
            <p>Die einfach&#x017F;te und natürlich&#x017F;te Behandlung die&#x017F;es Falles<lb/>
wäre ohne Zweifel die, daß man von dem Tode an die<lb/>
Erb&#x017F;chaft als das Vermo&#x0364;gen eines noch unbekannten Herrn<lb/>
an&#x017F;ähe, der aber doch einmal bekannt werden muß, und<lb/>
auf welchen dann Alles zu beziehen i&#x017F;t, was &#x017F;ich in der<lb/>
Zwi&#x017F;chenzeit mit die&#x017F;em Vermo&#x0364;gen etwa zutragen mag.<lb/>
Die&#x017F;e natürliche Behandlung der Sache i&#x017F;t es, welche das<lb/>
Römi&#x017F;che Recht nicht gelten la&#x017F;&#x017F;en will, indem es an de-<lb/>
ren Stelle eine Fiction unter zwey ver&#x017F;chiedenen Aus-<lb/>
drücken &#x017F;etzt. Bald wird ge&#x017F;agt, die Erb&#x017F;chaft &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;telle<lb/>
eine Per&#x017F;on vor, und habe die Herr&#x017F;chaft über das Ver-<lb/>
mögen, al&#x017F;o über &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t <note place="foot" n="(d)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L</hi>. 22 <hi rendition="#i">de fidej</hi>.</hi> (46. 1.),<lb/>
(Note <hi rendition="#aq">a</hi>), <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L</hi>. 15 <hi rendition="#i">pr. de usurp</hi>.<lb/>
(41. 3.) &#x201E;nam hereditatem in<lb/>
quibusdam <hi rendition="#i">vice personae</hi> fungi<lb/>
receptum est.&#x201D; &#x2014; <hi rendition="#i">L</hi>. 13 § 5 <hi rendition="#i">quod<lb/>
vi</hi> (43. 24.) &#x201E;dominae locum ob-<lb/>
tinet,&#x201D; <hi rendition="#i">L</hi>. 15 <hi rendition="#i">pr. de interrog</hi>.<lb/>
(11. 1.) &#x201E;domini loco habetur,&#x201D;<lb/><hi rendition="#i">L</hi>. 61 <hi rendition="#i">pr. de adqu. rer. dom</hi>.<lb/>
(41. 1.) &#x201E;pro domino habetur,&#x201D;<lb/><hi rendition="#i">L</hi>. 31 § 1 <hi rendition="#i">de her. inst</hi>.</hi> (28. 5.)<lb/>
&#x017F;. u. Note <hi rendition="#aq">f.</hi></note>; bald, die Erb&#x017F;chaft &#x017F;telle<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0379] §. 102. Juriſtiſche Perſonen. Erbſchaften. Fiction wird weder der Abweſende durch ſeine Abweſen- heit, noch der künftige Erbe durch ſeine augenblickliche Verborgenheit: beide bleiben einzelne Menſchen, natürliche Perſonen. Wollte man die Behandlung der unerworbe- nen Erbſchaft als einer juriſtiſchen Perſon ſtrenge durch- führen, ſo müßte man ſie in Rechtsverhältniſſe aller Art eintreten laſſen, ja man koͤnnte ſo weit gehen, zu geſtatten, daß der ruhenden Erbſchaft unmittelbar wieder ein frem- der Teſtator Erbſchaften oder Legate zuwendete; dieſes Alles aber iſt den Römiſchen Juriſten nie in den Sinn gekommen. Die einfachſte und natürlichſte Behandlung dieſes Falles wäre ohne Zweifel die, daß man von dem Tode an die Erbſchaft als das Vermoͤgen eines noch unbekannten Herrn anſähe, der aber doch einmal bekannt werden muß, und auf welchen dann Alles zu beziehen iſt, was ſich in der Zwiſchenzeit mit dieſem Vermoͤgen etwa zutragen mag. Dieſe natürliche Behandlung der Sache iſt es, welche das Römiſche Recht nicht gelten laſſen will, indem es an de- ren Stelle eine Fiction unter zwey verſchiedenen Aus- drücken ſetzt. Bald wird geſagt, die Erbſchaft ſelbſt ſtelle eine Perſon vor, und habe die Herrſchaft über das Ver- mögen, alſo über ſich ſelbſt (d); bald, die Erbſchaft ſtelle (d) L. 22 de fidej. (46. 1.), (Note a), L. 15 pr. de usurp. (41. 3.) „nam hereditatem in quibusdam vice personae fungi receptum est.” — L. 13 § 5 quod vi (43. 24.) „dominae locum ob- tinet,” L. 15 pr. de interrog. (11. 1.) „domini loco habetur,” L. 61 pr. de adqu. rer. dom. (41. 1.) „pro domino habetur,” L. 31 § 1 de her. inst. (28. 5.) ſ. u. Note f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/379
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/379>, abgerufen am 23.07.2024.